Ich weiß noch, dass ich auf dem Klo saß und lauthals “Fuck!!!” brüllte. In meiner Hand der positive Schwangerschaftstest, der mich komplett aus der Fassung brachte. Diesmal aber nicht aus Freude, wie die beiden Male zuvor. Sondern aus purer Verzweiflung. Denn so dringend, wie ich meine ersten beiden Kinder wollte, so wenig wollte ich dieses, das sich so plötzlich und unerwartet in mein Leben zu drängeln versuchte. Ein Leben, in das einfach kein weiteres Kind mehr passte, davon war ich überzeugt…
Mutter, die ihren Säugling hält
Mein Mann sah das allerdings komplett anders. Als ich ihm den Test mit den zwei Strichen unter die Nase hielt, schloss er mich freudestrahlend in die Arme – er hatte meine Tränen komplett missverstanden. “Aber ich will kein drittes Kind!”, heulte ich haltlos an seiner Schulter. “Das schaffen wir schon”, tröstete er mich. “Ob nun zwei oder drei – das ist doch eigentlich fast egal.” Ich wusste nichts darauf zu sagen. Ich wusste nur:

Mein Gefühl sagte klipp und klar “Nein” zu diesem Kind. Nicht “Vielleicht”, nicht “Mal schauen”, einfach nur “Nein”.

Da war eine absolute Gewissheit in mir. Die schon jetzt mit meinem Gewissen kämpfte. Denn was hieß es, dieses Kind nicht zu wollen? Es hieß, dieses Kind abtreiben zu müssen. Etwas, über das ich in meinem ganzen Leben noch nicht nachgedacht hatte. Vor diesem Moment wäre mir es mir auch absolut falsch vorgekommen, undenkbar. Nicht unbedingt aus ethischen oder moralischen Gründen – sondern einfach, weil ich selbst so lange für meine beiden Kinder gekämpft hatte. Weil ich mir so lange Kinder gewünscht hatte und einfach nicht schwanger wurde.

Hätte mir in dieser Zeit des Wartens und Hoffens und Bangens eine andere Frau erzählt, dass sie vorhätte, ihr Kind, das sie einfach so empfangen, ja GESCHENKT bekommen hatte, dass sie dieses Kind abtreiben wolle – ich wär ihr vermutlich an die Gurgel gesprungen. Und jetzt ging es mir genauso. Ich war das erste Mal einfach nebenbei schwanger geworden – und es war mir zu viel. Zu viel Verantwortung, zu viele Gedanken, Gefühle – zu viele Kinder.

Vielleicht lag es daran, dass ich das Gefühl hatte, als Familie komplett zu sein.

Nach meinem ersten Kind hatte ich alles darangesetzt, noch ein weiteres zu bekommen. Und war überglücklich, als es vier Jahre später tatsächlich klappte. Ich wollte immer zwei Kinder. Über mehr hatte ich nie nachgedacht. Zwei war meine Glückszahl in Sachen Familienplanung. Eine mögliche Drei brachte alles durcheinander. Ich wollte das Gleichgewicht aus zwei Eltern und zwei Kindern – und keine Zwerge in der Überzahl.

Ich war durch, in vielerlei Hinsicht: Mit der Anzahl meiner Kinder, mit dem Leben als Säuglings- und Kleinkind-Mama. Gerade nahm ich wieder vorsichtig Kurs auf mich selbst, auf mein Leben, meine Bedürfnisse. Ein Baby hätte all das zunichte gemacht. Ich wollte meine Freiheit zurück und keine durchwachten Nächte mit brüllendem Säugling mehr. Ich wollte arbeiten und nicht schon wieder pausieren. Ich wollte unvernünftig sein dürfen, mal wieder meine niederen statt meine Mutterinstinkte ausleben dürfen.

Also machte ich einen Termin in der Abtreibungsklinik aus.

Mein Mann hatte nach vielen Gesprächen meine Entscheidung akzeptiert, auch wenn er darüber traurig war – das spürte ich. Ich aber war erleichtert. War mir meiner Wahl sicher. Er fuhr mich zu meinem Termin, in die Klinik wollte ich allein. Vorher ging ich noch ein paar Runden im nahen Park spazieren, fragte mich ein ums andere Mal: “Ist es die richtige Entscheidung, willst du das wirklich…?” Auch wenn ich ein unbehagliches Ziehen in der Magengegend verspürte, war ich überzeugt: Ja, das ist jetzt mein Weg.

Ich schaffte es bis ins Wartezimmer – wo ich in Tränen ausbrach. Ich weinte eine geschlagene halbe Stunde, bis ich ins Behandlungszimmer gerufen wurde. Dort saß ich dann schniefend und schluchzend vor dem Schreibtisch der Ärztin, die sehr mitfühlend war und mir sagte: “In ihrem psychischen Zustand nehme ich heute keine Abtreibung vor. Fahren Sie nach Hause, lassen Sie es sich noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen – wir haben noch ein wenig Zeit, bevor sie sich endgültig entscheiden müssen.”

Also fuhr ich aus der Klinik zurück nach Hause, noch immer schwanger, noch immer todunglücklich.

Denn obwohl ein Teil von mir erleichtert über den Aufschub war, fühlte ich immer noch kein “Ja” zu diesem winzigen Wesen in mir. Es war kein kathatischer Moment, der mir endlich die Augen öffnete. Ich wollte immer noch kein weiteres Kind. Aber abtreiben auch nicht wirklich. Zwei Wochen später nahm ich dennoch einen neuen Anlauf. Wieder fuhr mich mein Mann in die Klinik, wieder ging ich allein hinein, wieder heulte ich im Wartezimmer Rotz und Wasser.

Der Arzt, vor dem ich diesmal mit verquollenen Augen und roter Nase saß, tätschelte mir väterlich die Schulter und sagte: “Was soll ich denn bloß mit Ihnen machen…? Sie sitzen hier bereits das zweite Mal komplett aufgelöst – was wollen Sie denn wirklich…?” Und obwohl ich bislang kein einziges Mal wirklich über dieses Kind, über MEIN Kind nachgedacht hatte, brachte ich nur hervor: “Kann ich es sehen…?” Als der Arzt dann mit dem Schallkopf mein Kind auf dem Ultraschall zum Leben erweckt, ihm eine Gestalt, ein Gesicht gab, war mir klar:

Jetzt ist die Entscheidung gefallen. Für ein weiteres Kind. Für das Leben.

Ich würde gern erzählen, dass sich danach alles leicht und richtig anfühlte. Dass ich glücklich war über dieses unerwartete Geschenk. Aber in Wahrheit habe ich die nächste Nacht noch einmal durchgeweint. Vor Sorge, ob ich das wirklich packen würde. In Wahrheit war ich diesmal froh über die Länge der Schwangerschaft. Ich brauchte diese verbleibenden sieben Monate, um mich an den Gedanken gewöhnen, dass ich bald drei Kinder haben würde. Dass ich wieder ganz von vorn beginnen würde – mit Fläschchen und Frust, mit Kuscheln und Kinderkotze, mit Ankommen und Augenringen.

Hatte ich Sorge, dieses Kind nicht so lieben zu können wie seine großen Geschwister? Natürlich. Der Start dieses neuen Lebens war eine Buckelpiste mit kratergroßen Schlaglöchern. War geprägt von Zweifeln und Zaudern, von Angst und Ablehnung. Aber ich habe die Entscheidung damals nie wieder in Frage gestellt.

Als ich meine Tochter das erste Mal in den Armen hielt, wusste ich, dass ich intuitiv die einzig richtige Entscheidung getroffen hatte.

Fand ich die Vorstellung plötzlich absurd, dieses wundervolle Kind nicht lieben zu können. Sie war perfekt. Sie war ein Geschenk. Sie hat uns erst komplett gemacht. Sie hat so viel mehr Leben in unsere Familie gebracht, so viel mehr Liebe. Das ist wundervoll – und manchmal dennoch ziemlich anstrengend, bis heute. Ich würde es niemals anders haben wollen, aber es ist eben nicht egal, ob man nun zwei oder drei Kinder hat. Es macht einen großen Unterschied – in jeglicher Hinsicht. Es ist ein wilder Ritt.

Unsere Tochter war zwar kein Wunschkind – aber sie ist ein Wunderkind. Sie ist unser Sonnenschein. Bringt uns dauernd zum Lachen. Sie hat uns Wege gezeigt, die wir sonst nie beschritten hätten. Sie weiß nichts von alledem. Nur, dass wir sie alle von ganzem Herzen lieben.

Standet ihr auch schon mal vor dieser schweren Entscheidung…?

Foto: Shutterstock

Alles Liebe,

Insa