Letzte Woche habe ich etwas Beklopptes gemacht. Ich habe mich gleich schlecht gefühlt. Aber ich konnte nicht anders. Ich habe mein Team zusammentelefoniert und ihnen mitgeteilt, dass ich keine Umweltthemen mehr auf diesem Medium möchte. Weder die Nennung von Fridays For Future, Ökoverbänden oder grünen Parteien. Grün wird ab jetzt ausgeklammert. Was war passiert?

Ich hatte einen halben Vormittag damit verbracht, meine Mails und Nachrichten zu lesen. Darin: Jede Menge Vorhaltungen darüber, dass meine öffentliche Unterstützung für Umweltmaßnahmen, die Wahl meiner Kooperationspartner und mein Verhalten nicht zusammenpassten. Ja, es sind 20 Nachrichten von 100. Dennoch treffen sie mich. Sehr sogar. Manchmal denke ich, meine Reichweite ist mir über den Kopf gewachsen. Ich erreiche fast so viele Menschen wie ein großes Magazin. Aber ich bin immer noch ein Mensch, der allein am Esstisch sitzt und sowas liest. Um mich herum sitzt keine große Redaktion.

Ich frage mich: Wo bitte ist das Grau?

Ich interessiere mich unter anderem für Umweltthemen, also schreibe ich darüber. Wie über fast alles, was mich bewegt. Ich versuche in meinem Alltag Tag für Tag mein Bestes zu geben, damit diese Welt grün und sicher bleibt. Aber ich bin nicht perfekt. Aber wer ist das schon?

Was ist eigentlich passiert, dass wir alles nur noch in schwarz oder weiß sehen wollen? Da sind die Klimaschützer und die Klimaverpester. Die Vielflieger und die Nichtflieger – für alles suchen wir einen Begriff. Was aber ist mit all den Menschen, die eine heiß ersehnte Flugreise im Jahr machen, weil sie trotz Klimakrise den Wunsch haben, die Welt zu sehen? Was mit denen, die ab und zu Bio-Fleisch essen, oder mit denen, die ganz selbstverständlich vegane Produkte kaufen – sich aber ab und zu gern ein Ei aufschlagen? Und wäre es für die Umwelt wirklich so viel schlimmer, zwei Mal im Jahr bei Zara shoppen zu gehen, als jede Woche Dutzend neue Klamotten bei hippen Ökolabels zu ordern?

Leben ist umweltschädlich. Darf ich ernsthaft nicht mit zur Umwelt-Demo gehen, nur weil ich es dorthin nur mit dem Auto schaffe? Oder auf dem Weg dahin eine Leberwurststulle esse? Ist das wirklich gewollt?

Ist das nachhaltig – also rein menschlich betrachtet?

Mich erinnert vieles daran an früher, wenn ich meinen Eltern besser nicht von meinen Partyplänen erzählt habe, weil sie ganz sicher dagegen gewesen wären. Das Ergebnis: Bloß noch oberflächliche Gespräche. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir gruselt es vor einer Gemeinschaft, in der keiner mehr offen und ehrlich sagen mag, was er macht und denkt. Weil er immerzu Angst haben muss, einen draufzukriegen.

Ich finde es nicht überraschend, dass sich die allermeisten im Internet bloß noch durch Reels ulken, oder oberflächliche Well-being-Zitate posten, bei deren Anblick ich meist frustriert in meinen Wäscheberg springen will, weil mein Alltag damit so gar nichts zu tun hat.

„Fahr doch einfach mehr Velo!“, stand in einer dieser Mails an mich. Ich frage mich, was für ein engelsgleicher Mensch sich wohl hinter diesen Worten verstecken mag, der offenbar alles zu 100 Prozent so richtig macht, dass er sich rausnimmt, Autoren im Internet für die angebliche Häufigkeit ihrer Fahrrad-Nutzung anzugehen. Und arbeiten diese Engel tatsächlich alle bei Firmen, die 100 Prozent ökologisch agieren?

Können wir uns nicht bitte gegenseitig wieder mehr lassen?

Und dadurch bestenfalls ein Gemeinschaftsgefühl auslösen, das viel Konsum überflüssig machen würde? Ich – und wir alle – sind doch so viel: Glückliche Mama, frustrierte Mama, glückliche Texterin, unglückliche Texterin, Umweltschützerin, Umweltverpesterin, ich esse mal gesund, mal nicht, mal Fleisch, mal nicht. Ich habe mir letztes Jahr einen Flug zu meiner Freundin auf Mallorca gegönnt, aber mindestens fünf geschäftliche Flüge zu einer Lippenstiftpräsentation oder sonst was abgesagt. Was und wer bin ich? Und braucht es für mich wirklich einen Begriff? Darf ich nicht einfach grau sein?

Muss ich mit einem Medium wie diesem aufhören, ein echter Mensch mit Fehlern und Ecken und Kanten und einer Tonne Restmüll zu sein? Für mich ist dieses Ausprobieren, Straucheln, Fehler machen, Alternativen suchen genau das Besondere, was das Medium Blog von all dem Hochglanz am Kiosk unterscheidet.

Ich räume vor Insta-Stories längst das Nutellglas vom Tisch, weil ich keine Lust auf Diskussionen habe.

Aber außer Nutella an den Sonntagen mache ich verdammt nochmal auch viel richtig in Sachen Umwelt. Da halte ich aber nicht immer meine Kamera drauf. In letzter Zeit frage ich mich: Wie authentisch will und kann ich sein? Denn eigentlich sehne ich mich so sehr nach ungefilterten Schnappschüssen aus dem Alltag.

Nachdem ich allerdings an Ostern genau so ein Foto von uns am Osterfeuer gepostet hatte, dauerte es keine fünf Minuten, bis mehrere nach der Feuer-Genehmigung fragten, an die armen Igel erinnerten und mich eine Insektenmörderin nannten. Ich löschte den Post und packte Osterfeuer auf meine No-Post Liste, die immer länger wird. Du denkst jetzt vielleicht: „Naja, aber sie ist nun mal öffentlich. Also muss sie eben damit umgehen…“

Muss ich das wirklich? Und: Kann ich das dauerhaft?

Fühlt sich nicht jeder doof, der kritisiert wird im Job? Möchte nicht jeder es danach „besser“ machen? Das Problem ist, dass sich in meinem Fall Job und Privatleben vermischen. Das macht es so schön, das macht es so schwer. Handele ich der Kritik entsprechend, gibt es ab jetzt bei uns kein Osterfeuer mit Freunden mehr.

Kleiner Blick hinter die Kulissen: Diesen kleinen großen Medienbetrieb am Laufen zu halten, kostet wahnsinnig viel: Geld und Nerven und Arbeitszeit. Und wie jedes Magazin lebt auch meins von Werbung. So traurig es ist, der regionale Obsthof, auf dem ich meine Äpfel am liebsten kaufe, hat kein Budget, um unsere professionellen Texte und Fotos als Werbepartner zu finanzieren.

Bislang habe ich noch keine Lösung für dieses Problem gefunden. Hast du eine Idee?

Ich habe dieses Jahr bereits zig Dutzend Kooperationsanfragen für irgendwelchen überflüssigen Konsumscheiß abgesagt, obwohl ich von dem Honorar locker hätte auf die Malediven fliegen können. Und ja, in letzter Zeit schiele ich öfter neidisch zu den Jetsetter-Kollegen, die eben kein grünes Image haben und einfach täglich Polyesterzeug in die Kamera halten und dafür geliked werden. Wenn ich öffentlich grün denke, kann ich nur verlieren.

Bescheuert, ich weiß. Aber ich sag‘s jetzt einfach mal, wie es ist: Ich möchte kein grünes Image mehr, einfach, weil ich dauerhaft keine Kraft dafür habe. Ich mag nicht länger öffentlich die Umwelt schützen, weil ich mich schützen mag. Ist das nicht traurig?

Foto: Louisa Schlepper

Claudi