Mein Blick fällt auf den zerbrochnenen Kerzenständer. Ein Lieblingsstück, klar. Wandert weiter über das Chaos-Inferno, das wir Zuhause nennen. Bleibt hängen an den zerfetzten Büchern. An der Tür, deren Kassetten säuberlich mit knallrotem Filzstift umrandet sind. Ich fühle mich plötzlich sehr müde. Kleinkindmüde. Betreuungsmüde. Tatortreinigermüde. Bis mich eine energische Stimme ins Hier und Jetzt zurückholt: “Mama, ich hab Kacka gemacht. Brauch’ JETZT eine neue Windel!”

Die Wahrheit ist: Ich fühl mich immer häufiger zu alt. Nicht generell zu alt, 43 ist super. Aber doch zu alt für ein kleines Kind. Für ein drittes kleines Kind von nicht mal drei Jahren. Das macht einen Unterschied. Es ist nicht nur so, dass ich biologisch über den Zenit bin. Kräftemäßig bin ich es häufig  auch. So, wie ich nach einer Party-Nacht (ok, ist auch schon länger her) mittlerweile das komplette Wochenende zum Regnererieren brauche.

Kaum anders fühlt es sich an, wenn ich mehrmals die Nacht aufstehe wegen Schnuller raus/Durst haben/Kuschelschaf verschollen. Es ist wie ständig feiern gehen, nur ohne den Spaß dabei. Verkatert bin ich trotzdem. Denke dabei oft: “Ich hab keinen Bock mehr. Ich hab das alles schon zu oft gemacht.” Und erschrecke mich darüber. Weil ich das nicht denken will. Weil ich meinen Kleinen doch so unendlich lieb habe.

Ich war dreimal risikoschwanger

Was für ein bescheuerter Ausdruck. Nur, weil ich schon beim ersten Kind 35 war, beim zweiten 38. Bei der Geburt unseres Überraschungsbabys hatte ich die 40 schon länger geknackt. Ich fand es nie schwierig, eine späte Mutter zu sein. Weil ich mein kinderloses Leben davor mit jedem Atemzug genossen habe: Freiheit, Jobs, Reisen. Zeit, unvorstellbar viel Zeit für mich. Aber ich hatte mir Kinder sehnlichst gewünscht. Und so stürzte ich mich mit übervollem Herzen in meine erste, später  meine zweite Mutterschaft.

Genoß nach Kräften all die Wunder, die Babys und Kleinkinder mit sich bringen: War wie betrunken von ihrem Anblick, ihrem Geruch, all den ersten Malen – krabbeln, laufen, sprechen. Und irgendwann doch insgeheim froh über die zarte Abnabelung. Denn jeder Schritt in ihr selbständigeres Kinderleben bedeuetete wieder mehr Raum, Zeit, Durchschnaufpause für mich. Ohne Wehmut verscherbelte ich Kinderwagen, Maxicosy, Tripp-Trapp-Bügel.

Doch das Leben hatte andere Pläne

Bescherte uns noch einen Wurm, den wir niemals erwartet hatten – waren doch die ersten beiden Schwangerschaften schon keine Selbstverständlichkeit. Ich war überrumpelt. Vor Freude und vor Furcht. Kann ich, können wir das schaffen, fragte ich mich insgeheim. Ich hatte nie über mehr als zwei Kinder nachgedacht. Nicht darüber, dass sich meine persönliche Ü40-Party als wilder Tanz um die Erziehung eines lebhafter Kinder-Trios drehen könnte. Drei ist immer einer mehr, als Eltern da sind. Drei heißt, von der Mann- in die Raumdeckung überzugehen. Und das in einem Alter, wenn andere Leistungssportler längst in Rente sind.

Was soll ich sagen: Ich liebe mein drittes Kind über alles. Seine weißblonden Strubbelhaare. Sein kehliges Lachen, das jeden ansteckt. Keines meiner Kinder bringt mich so schnell zum Strahlen. Drückt mir so oft klebrige Marmeladenküsse auf die Wange. Mein Sohn ist ein Geschenk.

Was manchmal fehlt, ist schlicht Energie. Und Motivation. Denn all das hat eben nicht mehr der Zauber des Anfangs. Der auch trübe Tage pastellig machen kann. Und es waren immer schon zwei Vorturner da. Was heißt, dass ich jede neue Errungenschaft – wasserfallartig reden, Salto auf dem Trampolin – immer noch nach Kräften feiere. Aber meine Frustrationstoleranz in Sachen mühsamer-Kleinkind-Alltag rapide gesunken ist. Wutanfälle unterm Abendbrottisch? Schnulleralarm? Badüberflutung? Danke – hatte ich schon zur Genüge. Brauch ich nicht mehr.

Meine Frischzellenkur…

…heißt Selfcare. Yoga. Solo-Kaffee in der Sonne. Ein Glas Rotwein am Abend. Kurze Momente, in denen ich Herrin über mein Leben bin. Was auch immer hilft: Ein wenig mehr Laisser-faire. Manchmal wickelt die große Schwester den kleinen Bruder. Hält nicht Bombe, aber egal. Räumen die Großen mit dem Kleinen sein Tohuwabohu weg, auf ihre Art. Passt der Achtjährige auf, dass der Dreijährige im Garten nicht stiften geht.

Und ich schaue zu. Sehe die Sprünge, die er auf dem Trampolin macht und denke: Mit solch großen Sätzen erobert er gerade sein Leben. Dass ich verdammt stolz auf ihn bin. Und plötzlich ein wenig wehmütig. Denn mit ihm gibt es zwar keine ersten, dafür verdammt viele letzte Male. Und dafür will ich dringend wach bleiben.

Und dann fällt mir ein, dass späte Mehrfach-Mütter ja auch einen enormen Vorteil haben: Sie greifen auf einen reichen Erfahrungsschatz zurück. Ich weiß daher mit Sicherheit: Trocken werden alle Kinder irgendwann. Durchschlafen tun sie meist auch. Ich muss nur noch ein wenig Geduld haben, mit mir, meinem Jüngsten, dem Leben. Und vielleicht in eine gute Anti-Aging-Pflege investieren.

Ehrlich: Fühlt ihr euch auch manchmal zu alt für eure Kleinen?

PS: Drei ist eigentlich Pillepalle. Claudi hat vier solcher Kracher – und schreibt hier eine Liebeserklärung an ihr finales Kind. So schön!

Katia