Normalerweise weiß ich genau, wo es hingeht. Wenn ich einen Text beginne, ist mir klar, wie er enden wird. Achtung, Spoiler: Dieses Mal nicht. Dieses Mal schlinger ich rum. Knalle mit Karacho gegen Angst, rumse mit Krawumm in meine Selbstliebe. Auch nach einer wilder Gedankenspritztour weiß ich immer noch nicht, was ich denken will. Bloß eins weiß ich: Ich habe hier ein Experiment gemacht, das mich so richtig Überwindung gekostet hat: Willkommen im Fegefeuer der Eitelkeiten…

Von Anfang: Alle zwei Wochen sitze ich mit einer Freundin auf dem Sofa und finde eine Geschichte. Ich suche nicht danach, ich besuche sie bloß. Meistens inspirieren mich unsere Gespräche still und heimlich zu einem Text. Dieses Mal nicht. Dieses Mal hatten wir zusammen gesessen und gegessen. Gummizeug und ruhige Gespräche vernascht. Irgendwann malten wir stumm nebeneinander mit Acryl. “Na los, komm und inspirier mich zu einer Geschichte!”, witzelte ich. Sie überlegte nur kurz. “Lass doch mal die Filter weg!” Ich verschluckte mich fast an meiner Limo. “Auf keinen Fall.” Und sie so:

“Dein Patenkind erkennt dich nicht!”

“Was?”, fragte ich. “Ja echt!”, meinte sie. “Wenn wir deine Story gucken, meinte er immer, dass das ein bisschen nach Claudi aussieht. Und unsere alten Kolleginnen bekommen schlechte Laune, wenn sie dich sehen, weil sie dadurch an sich zweifeln. Die haben doch keine Ahnung von Filtern.” Ich zog die Stirn in Falten. In tiefe. “Das kann ich nicht.” “Warum nicht?” “Weil ich das nicht ertragen kann…!” “Aber das bist doch du. Du und ich und wir alle können dich doch ganz wunderbar ertragen.” Ich schluckte. “Ja, ihr!”

Sie lächelte. Ungefiltert.

“Ich glaube, die Leute würden es lieben.” Ich setzte einen möglichst professionellen Medienmensch-Blick auf: “Ja, ein paar vielleicht. Viele schreien ja danach. Aber dann wollen sie doch lieber einen Hauch von Hochglanz. Den harmonischen, cremefarben gefilterten Feed. Mit fetten Wimpern statt Falten…” Plötzlich fiel mir etwas ein: “Und halleluja, was würden die Werbekunden sagen!”

Zwei Tage schloss ich das Ganze aus. Dann machte ich mich auf die Suche nach meiner Meinung. Ich recherchierte. 2015 launchte Snapchat den ersten AR-Face-Filter. AR, das steht für Augmented-Reality, also computergeschützte Techniken, die die Realität um eine virtuelle Ebene erweitern, schreibt DIE ZEIT in ihrem Artikel “Gefiltert sind wir alle gleich”. Außer Katzenohren, kann man sich seither Pickel wegmachen und Wimpern dran. Mit einem Wisch.

Als ich vor Jahren mit Instagram anfing, hatte ich eigentlich gar keine Lust darauf. Ich dachte, ich müsste die Plattform nutzen, um meine Artikel auf dem Blog zu promoten. Musste ich auch. Ich war aber nie scharf darauf, mich zu zeigen. Ich sehe mich nicht gern selbst, nicht mal meinem Schaufensterspiegelbild schaue ich zu. Und ich wollte im Gegensatz zu vielen Kollegen mein ganzes Volontariat lang garantiert nie zum Fernsehen.

Mit der Zeit fing meine kleine Show dann aber doch an, mir Spaß zu machen. Man kann dort auf ganz eigene Weise Geschichten erzählen. Das mag ich. Anfangs sprach ich nicht, war mir zu unangenehm. Mein Gesicht zeige ich erst seit ein paar Jahren. Irgendwie rutscht man da so mit rein. Im wahrsten Sinne. Und ich mag den direkten Kontakt mit Lesern.

Ohne Filter siehst du bei der Aufnahme einer Instastory aus, wie sonst bloß im Umkleidespiegel bei H&M.

Von Anfang an nutze ich einen Filter. Jetzt überlegte ich warum: Weil ich es mich ohne nie getraut hätte? Weil es alle machen? Weil… Ist dir beim Handy auch schon mal aus Versehen die Kamera angegangen und du hast dich völlig überraschend auf dem Bildschirm gesehen? Dann weißt du, was ich meine. Fakt ist: Vier von fünf Deutsche sind laut einer Studie des Instituts myMarktforschung mit ihrem Aussehen unzufrieden.

Die Zahlen sind ungefiltert gruselig.

85 Prozent der Chirurgen sind laut der Deutschen Gesellschaft für plastische Chirurgie der Meinung, dass bearbeitete Selfies die Ansprüche von Patienten an den eigenen Körper verändern. Seit 2018 hat das Phänomen einen Namen: Selfie-Dysmorphia. Zwei Drittel aller jungen Menschen fühlen sich laut ZEIT vom Beauty-Standard auf Social Media unter Druck gesetzt. Eine Erhebung unter britischen Teenagern ergab sogar, dass Social-Media-Konsum das Risiko erhöhe, depressiv zu werden.

Beautydruck gab es schon immer. Früher waren es die Supermodels, Zeitschriften, Leinwandstars. Heute sind es Influencerinnen, ihre trainierten Körper und ihre Face-Filter. Ich zähle mich kein Stück zu dieser Druck auslösenden Gruppe. Dennoch möchte ich hier vor allem Frauen eine gute Zeit bereiten. Und klar, auch Akzeptanz gegenüber dem eigenen Körper vermitteln. Geht es nicht weniger um die Frage, wer am wachsenden Druck Schuld ist? Sondern vielmehr darum, wie wir damit umgehen?

Muss ich nackt da raus, um anderen gute Gefühle zu machen?

Ich überlege das seither. Habe es getestet. Ein paar Tage filterlos ins Handy gequatscht für eine Story. Gepostet habe ich sie nicht. Erst gestern habe ich mich getraut. Ich habe mich dabei gefühlt, als könnten mir meine Zuschauer unter die Haut schauen. Wie verrückt surreal echte Haut in diesem Medium aussieht! Ein Gefühl wie nackt an einem unpassenden Ort in aschfahlem Licht, in der U-Bahn vielleicht.

Es fühlte sich an, als erzähle mein Gesicht ohne Filter Geschichten, die ich in dem Moment gar nicht erzählen mag. Über die schlechte letzte Nacht, über eine Sache, die mir heimlich Sorgen macht und die durch die Stirnfalten plötzlich an die Öffentlichkeit kriecht.

Ein Filter fühlt sich für mich an, wie die Maske beim Werbefilmdreh oder Shooting. Da gehe ich unsicher rein, den Kopf voll mit Alltag. Aber dann schminken, föhnen, frisieren die Profis alles weg und hinterher gehe ich raus und bin professionell. Wie ein Lichtschalter.

Filter erlauben mir, aus verschiedenen Filmfetzen eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen. Die Kinder brauchten mich und  nachher ist das Licht anders? Egal. Der Filter macht die Harmonie. Außerdem kaschiert er nicht bloß Pickel, sondern auch Krümel auf dem Fußboden. Bringt Atmosphäre in Momente, in denen sie fehlte. Lässt einen kleine Filmchen kreativ gestalten. Als ich gestern die Follower nach der nackten Story fragte, was anders an mir sei, meinte eine: “Du bist nicht so klar wie sonst.”

Ich schreibe hier über viel Privates und habe kein Problem damit. Aber jemanden in meine Poren gucken zu lassen, finde ich wahnsinnig intim.

Vorgestern Abend schrieb ich meiner Freundin: “Meine Meinung steht fest. Ich kann nicht ohne Filter.”  Gestern Abend fragte ich meine Userinnen hinterher, ob ihnen etwas an mir aufgefallen sei. Verrückterweise hatten 69 Prozent nicht mal bemerkt, dass etwas anders war. Andere schrieben: “Kein Filter? So frisch und so gut!” Und: “Kein Filter steht dir fabelhaft.” Und: “Du bist ungeschminkt oder ungefiltert, ist mir gleich positiv aufgefallen.” Aber auch: “Siehst müde aus.”

Es ist es jetzt zwanzig nach zwölf, ich habe meine Lieblingsfilter nicht gelöscht, schließe aber auch nicht aus, dass ich mich vielleicht öfter mal ohne zeige. Ich suche noch nach meiner Meinung in Sachen Filter. Vor dem Insbettgehen schaue ich mich auf jeden Fall kurz im Spiegel an und finde mein rein privates Gesicht gar nicht so schlecht.

Was denkst du über Filter und Selbstliebe?

Alles Liebe,

Claudi