Vor einer längeren Weile war ich ungefähr zwei Stunden lang ziemlich glücklich. Warum? Weil ich unverhofft in einer anderen Stadt ganz für mich allein war – und mir plötzlich vorkam wie eine digitale Nomadin. Ich saß im blühenden Innenhof eines Wiener Hotels, hatte meinen Laptop und ein Glas Soda Zitron vor mir auf dem Tisch stehen, schrieb an einer Geschichte für euch – und hätte plötzlich heulen können vor Glück: Weil es so selten vorkommt, dass ich komplett ungestört und ohne 1000 To-dos auf dem Zettel bin. Dass ich nur für mich mit meinen Gedanken und Gefühlen bin…
Bevor ich Kinder hatte, hätte ich steif und fest behauptet, ich sei ein sehr geselliger Mensch: Immer da, wo etwas los ist, mit Familie, Freunden, mit Fremden, auf jeden Fall mittendrin im Leben. Mittlerweile bin ich oft dann am glücklichsten, wenn ich allein bin. Nur für mich, ohne Freunde, Familie, Kinder. Fremde sind nach wie vor okay, weil: Die wollen ja nichts von mir. Die lassen mich einfach mit mir und meinen Gedanken und meiner Beschäftigung, ohne permanent dazwischenzufunken.
Alleinsein bedeutet Luxus für mich. Und vermutlich für alle anderen Eltern auf diesem Planeten auch.
Spannend, wie sich die Prioritäten im Laufe des Lebens verschieben. Früher war Alleinsein gleichbedeutend mit einsam. Ein Sonntag ohne andere Menschen war damals der Endgegner. Heute ist es ein Synonym für Freiheit. Dafür, unter all den verkrusteten Schichten des Familien- und Alltagslebens wieder mein Ursprungs-Ich herauszuschälen.
Vielleicht muss ich das präzisieren: Natürlich bin ich wochentags vormittags auch meist allein, zumindest wenn kein Infekt, kein Virus, keine Kinderkrankheit dazwischen grätscht. Aber das ist ein anderes Alleinsein: Ich arbeite, ich haushalte – in der Küche und mit meinen Ressourcen, die vom Mental Load sonst aufgefressen werden (habe ich hier kürzlich schon einmal drübergeschrieben). Ich funktioniere in Rollen, die oft wenig mit mir selbst zu tun haben.
Vielleicht muss ich nicht nur allein sein. Sondern allein woanders, ohne Alltag und den ganzen blöden Ballast.
Denn wann wird es sonst um einen herum so still, dass man sich selbst wieder hört? Wann sonst kommt man dazu, nur sich selbst zu erleben, nicht als Mutter, Trösterin, Managerin, Köchin, Chauffeurin, Freundin, Partnerin in crime? Das geht eigentlich nur, wenn ich mitunter von meiner Familie getrennt bin – und eine kleine Auszeit vom Alltag nehme.
Wenn ich allein mit mir bin, weiß ich erst wieder, wer ich mal war. Wer ich bin, wenn ich nicht nur funktioniere.
Dass ich eigene Gedanken habe, die nichts mit Kindern und Familien-Business zu tun haben. Dass ich Dinge mag, die nicht zu meinen drölfzig anderen Rollen passen, die ich tagtäglich ausfülle. Dass ich im Kern unvernünftig bin, abenteuerlustig, auf eine gesunde Art egoistisch. Ja, man zähmt und domestiziert sich, wenn man eine Familie gründet. Steckt seine Bedürfnisse zurück. Aber die sind ja nicht verschwunden! Und erst wenn ich allein bin, bekomme ich wieder eine Ahnung davon, dass ich eine Andere sein kann. Zwischendurch diese Andere sein muss, um mich nicht zu verleugnen.
Klar, dass ich mich dafür jetzt nicht jedes zweite Wochenende absetzen kann.
Obwohl ich dazu reichlich Ideen hätte – dieses digitale-Nomadin-Ding lässt mich gar nicht los. Das Wochenendhäuschen meiner Freundin an der Schlei auch nicht. Oder das Wellness-Resort am Neuklostersee. Dumm nur: Es fehlt an Budget und Ressourcen meines Mannes, den Alltag mit drei Kindern regelmäßig komplett allein zu wuppen (gilt übrigens auch umgekehrt).
Insofern muss ich wohl Raum schaffen für flinke Fluchten zwischendurch: Ich könnte schließlich auch hier vormittags mal zum Arbeiten ins Café gehen. Könnte statt eines abendlichen Dates mit Freundinnen eines mit mir selbst machen – und mich mal ganz allein durch die Stadt treiben lassen. Vermutlich würde es sogar schon reichen, nach Feierabend nicht reflexhaft ein Buch unter die Nase zu halten, Netflix anzuschmeißen oder im Handy zu scrollen, sondern mir, meinen Gedanken und Bedürfnissen auch innerhalb meines reglementierten Alltags einen Platz zu schaffen – am besten fett im Familienkalender markiert.
Denn von allein bin ich nicht allein. Alleinsein braucht Fokus, braucht Planung, Konzentration.
Zumindest zur Anbahnung. Danach kann ich es gern ein wenig laufen lassen, denn darum geht es ja schließlich genau beim Alleinsein, oder? Einfach mal sehen, was passiert. Welche Gedanken kommen, welche Gefühle, welche Bilder. Ohne Unterbrechung neue Ideen drehen und wenden, in mich hineinhorchen, spontan einer Eingebung folgen.
Ich glaube, ich plane jetzt einen wöchentlichen Jour Fixe mit mir – oder vermutlich eher einen Soirée Fixe, alles andere ist wohl eher utopisch. Ich hoffe bloß, ich bin dann nicht zu kaputt dafür. Als ich das letzte Mal ein Post-Feierabend-Date mit mir hatte, bin ich beim Hineinhorchen in mich direkt tief und fest auf der Couch eingepennt… Ich bleib dran.
Was bedeutet Alleinsein für euch? Schafft ihr das regelmäßig? Und welche Settings wählt ihr dafür: Zuhause oder möglichst weit weg von Familie und Alltag?
PS: Magst du uns ein zu ein wenig mehr Stabilität verhelfen? Dann freuen wir uns sehr, wenn du ein freiwilliges Abo für den Preis eines Latte Macchiatos im Monat abschließen würdest. Alle Infos findest du hier – und wir sagen von Herzen Danke!
Alles Liebe,
Liebe Katja,
so manches Mal denke ich “ich bin komisch”. Und dann lese ich eure Beiträge und stelle fest, dass es anderen Müttern GANZ GENAUSO wie mir geht: die gleichen Sorgen und Probleme!
Am Wochenende waren mein Mann und die Kinder (14 und 11) spontan alleine in Berlin. Ich hatte keine Lust und für Verabredungen mit Freundinnen war es auch schon zu spät. Und was soll ich sagen? Ich habe die Me-Time sooooo genossen. Das erste Mal seit 14 Jahren, dass ich zwei Tage und Nächte alleine mit mir war. Ich war kreativ, habe stundenlang im Garten gewuselt, gelesen, Filme geschaut, NICHT gekocht und es tat so verdammt gut. Die Stille, das Schweigen – niemand, der etwas will oder auf den ich mich einlassen muss. Alles in MEINEM Rhythmus. Toll!
Jetzt weiß ich nur noch nicht, wie ich solche Wochenenden öfter einfädeln soll …
Liebe Katja, ich wünsche dir und mir und vielen anderen Muttis, dass wir solche Tage in Zukunft öfter erleben werden!
Liebe Grüße aus Lüneburg
Christine
Hej liebe Christine, ja,ja, JAAA! Tut so gut, oder? Ich plane gerade ein Schwestern-Städte-Trip. Herrrlich! Alles Liebe, Katia
Oh ja, ich liebe es. Ich bin seit 20 Jahren Mutter und niemals in dieser Zeit konnte ich meinen Akku so gut aufladen, wie in der Zeit allein mit mir. Ein bis zweimal im Jahr fahre ich alleine in unser Mini-Ferienhaus. Ich brauche nicht viel: gemütliches Bett, gutes Essen, Bücher, Serien, Yogamatte. Ich schlafe viel, manchmal verlasse ich das Haus den ganzen Tag nicht. In den ersten Jahren habe ich mich oft schlecht gefühlt, wenn ich mich so deutlich besser erholte und den Familienurlaub unheimlich anstrengend fand.
Ich fühle oft sehr schnell, was mein Umfeld braucht und ich selbst kann mich manchmal kaum hören.
In der Zeit allein mit mir, gibt es nur meine Bedürfnisse und ich kann diese ohne Zurückhaltung ausleben.
Ich werde nie vergessen, als ich das erste Mal alleine verreist war. Ich kochte mir morgens einen Kaffee und überlegte,wo trinke ich den? Ah, ich bin allein und keine Regeln gelten. Also bin ich mit dem Kaffee zurück ins Bett und habe eine Serie geschaut. Ich liebe es.
Hej liebe Mel, manchmal würde ich viel um ein Mini-Frienhaus geben 😉 Ich nutze stattdessen mitunter das von einer Freundin – weil es so gut tut! Wobei: Ich muss mich erst immer daran gewöhnen, nicht mehr zu funktionieren, sondern nur auf mich zu hören – das braucht meist ein, zwei tage. Insofern muss ein verlängertes Wochenende schon sein, auf Knopfdruck das Alleinsein genießen schaffe ich irgendwie nicht. Alles Liebe, genieß deine Familien-Auszeiten! Katia
Liebe Katia,
du schreibst mir aus der Seele. In einer Familie ist es ein Privileg alleine zu sein…aber unbedingt müssen solche Privilegien geplant werden. Ich denke nur so kann man sie genießen und dabei Kraft tanken für die bunte Familienzeit.
Meine Kids, im Alter von 6, 11 und 14 sind wundervoll! Aber ja es ist auch oft laut, hektisch und in letzter Zeit nörgeln alle drei sehr viel. Ich sehne mich in letzter Zeit nach Minuten/Stunden alleine für mich…für meine Gedanken und meine Bedürfnisse. Ohne mich ständig zu erklären. Und mich persönlich nach so vielen Jahren wieder kennenzulernen. Es hat sich einiges geändert mit den Jahren…meine Prios haben sich verschoben, meine Ansichten sind entspannter, meine Bedürfnisse und Gefühle haben sich verändert.
Eigentlich brauche ich nicht viel…eine Tasse Kaffee, mein Buch und ein schönes Plätzchen dafür.
Deine und Claudias Beiträge passen so wunderbar in mein Leben. Danke dafür!
Liebe Grüße Sonya
Hej liebe Sonya, ja, es braucht Anbahnung, um mal mehr als einen Moment oder zwischen zwei Hobbyfahrten allein für sich zu sein. Da stecke ich gerade auch gern wieder Energie rein – es tut so gut! Und es ist genau, wie du schreibst: Gerade in dieser Lebensphase passiert so viel in uns selbst, das auch Fokus braucht. Wir bleiben dran! Alles Liebe, schön, dass du dabei bist, Katia
Meine Kinder sind schon ausgezogen, mir ging und geht es aber genauso. Ich geh gerne alleine spazieren, fahre mit dem Rad oder mache Handarbeit ohne Fernsehen, Radio oder sonstiges. Manchmal muss ich auch gar nichts tun. 😊🫶
Hej liebe Michaela, nee, gar nichts tun ist herrlich – aber für mich noch reichlich ungewohnt! 😉 Alles Liebe, Katia
So passend: ” sich nach den Jahren wiederkennenlernen” Das fühle ich auch so! Danke für den Artikel und die klugen Kommentare!
Hej liebe Henriette, man verliert sich ein wenig aus den Augen… 😉 Alles Liebe – ich freu mich auch immer wieder so sehr über diese tolle Community! Katia