Unser Lieblingsstrand auf Korsika. Vier meiner Lieblingsköpfe hüpfen als dunkle Bälle auf dem Funkelmeer, ab und zu winkt einer und ich wink zurück. Ich liege auf meinem Handtuch im Sand und spiele Klavier – die Zehen meines Babys sind die Tasten und sein Jauchzen, sein „Da“ und „De“ die Musik. Mein Sommerhit. Und obwohl das alles so schön ist, bin ich ein bisschen traurig…
Mama Melancholie
Weil dieser schöne Moment gleich wieder vorbei sein wird. Ich versuche den Moment zu genießen, so richtig, den Kopf in den Nacken zu legen, die Sonne im Gesicht zu spüren, die Wärme meines Babys in meinem Schoß und mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Trotzdem werde ich es dort lassen müssen: den Strand, die Insel, die federleichten Urlaubstage. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich sie zum Glück mitnehme, meine vier Lieblingsbälle und mein Klavier, trotzdem ist sie da, die fiese kleine Melancholie im Bauch, die mich zwickt und kneift immer dann, wenn es am allerschönsten ist.

Ich war richtig erleichtert, als ich in der Zeitschrift Flow gelesen habe, dass das was ich da fühle, viele Leute fühlen und dass das sogar erforscht ist und sich „Antizipatorische Nostalgie“, also „vorweggenommene Nostalgie“, nennt. Es meint das traurige Gefühl darüber, dass etwas Schönes zu Ende geht – obwohl es gerade noch andauert. Ist das nicht verrückt? Gerade in der heutigen Zeit, wo ich genauso wie viele andere um mich herum besonders achtsam leben möchte, also ganz bewusst im Hier und Jetzt, schaffe ich es nicht, diesen Wehmutknopf auszuknipsen.

„Das ist auch gar nicht schlimm!“, zitiert die Flow-Autorin den Psychologie-Dozenten Tim Wildschut von der Universität Southhampten. Dieser Wehmut sei nichts anderes als die Erkenntnis, dass ich gerade etwas Wunderbares erlebe. Mein Gehirn fahre in solch schönen Momenten oft bereits vor, wie in einem knallroten Käfer-Cabriolet, schaue dann zurück und stelle sich vor, wie ich mich in der Zukunft an diesen Moment erinnern werde. Mein Gehirn auf mentaler Zukunftsreise – und ich noch auf dem Strandtuch. Klar, dass das für ein wenig Gefühls-Chaos im Kopf sorgt.

Dabei ist das sogar nützlich. Unser Gehirn speichert nämlich solche Wehmut-Momente laut Flow-Artikel ganz besonders sorgfältig – für schlechte Zeiten. Die Antizipatorische Nostalgie motiviere uns dabei auch dazu, Fotos zu machen, Tagebuch (oder Blogposts) zu schreiben und Andenken zu kaufen. Alles Dinge, die uns und unserem Gehirn später helfen uns zu erinnern.

Das Gehirn schreibt also in Glücksmomenten quasi Post-its, die uns in Momenten der Trauer oder einfach im trüben Alltagswahnsinn an das Schöne erinnern und durchhalten lassen.

Noch was: Im Mittelalter galt Melancholie als besondere Form der Tiefsinnigkeit, schreibt die Flow-Autorin. Aus ihr entstanden bei Dichtern, Musikern und Malern die besten Bilder, Kompositionen und Texte. Vielleicht sollte auch ich also noch öfter versuchen, in oder kurz nach melancholischen Momenten kreativ zu werden. In Form unseres Reisetagebuchs zum Beispiel – oder Babyalbums. Auch im Buddhismus wird Wehmut geschätzt. Wenn wir uns nämlich bewusst machen, dass ein Moment nicht ewig dauert, neigen wir weniger dazu, ihn als selbstverständlich hinzunehmen. Und das macht uns tatsächlich achtsamer.

Übrigens, die intensivste vorweggenommene Melancholie empfinden wir bei Ereignissen die vielleicht – wahrscheinlich – nie mehr wiederkehren: die letzte Geburt, das letzte Mal Stillen, die letzten ersten Schritte des eigenen Babys – oder wie bei mir, der letzte Sommer mit Baby am Strand. Fühlt sich komisch an manchmal. Zum Glück kenne ich jetzt den Sinn meines wehmütigen Bauchwehs: Es hilft meinem Gehirn später zu genau diesen Glückmomenten zurückreisen zu können. Vielleicht ja sogar im knallroten Cabrio.

Was sofort hilft: Ins Wasser laufen und mitbaden, tauchen, planschen. Oder bei Baby die Kitzeltaste drücken. Und dann mit ihm mitlachen.

Alles Liebe,

 

Claudi