Letzte Woche war ich mit der U-Bahn unterwegs. Einmal quer durch Hamburg, zweimal umsteigen. Ich hatte mir vorher überlegt, es ganz entspannt anzugehen. Wollte nicht arbeiten, hatte ein Buch eingepackt. Doch dann passierte etwas, was für mich in letzter Zeit zu häufig passiert…

Am Ziel angekommen, hatte ich über eine Stunde nichts anderes gemacht, als in mein Handy zu glotzen. Ich hatte aus dem Fenster schauen wollen, ganz oldschool und irgendwie romantisch, und lesen, aber wie batteriebetrieben rutschte meine Hand immer wieder in meine Jackentasche und grabschte nach dem kühlen Plastik. Ich habe mich über mich selbst erschrocken. Und das Schlimmste: Ich konnte mich direkt danach schon nicht mehr erinnern, was ich eigentlich gesehen hatte.

Meine kostbare Zeit, ich habe sie verscrollt.

Was hätte ich da alles Tolles reißen können!!! Oder endlich mal entspannen. Stattdessen kann ich mich wirklich immer schlechter konzentrieren.

Ich weiß vormittags, dass ich bloß vier Stunden Ruhe zum Arbeiten habe, freue mich drauf, richtig was zu schaffen, und dann? Wischt mein Daumen übers Handy. „Nur mal kurz“, denke ich und tippe auf Instagram. Dann ist eine halbe Stunde vorbei. Die Gedanken im Kopf für einen Text sind durchtrennt, ich muss sie erst mühsam wieder zusammenknoten. Das ist anstrengend.

Fakt ist, beim Schreiben, beim Wäsche machen, sogar beim Übungsdiktat diktieren mit meinen Kids, greife ich oft wie automatisiert zum Handy. Ich checke Mails, obwohl ich sie eben erst gecheckt habe. Ich gehe auf meine Liebingsinsta-Profile, obwohl ich gerade eben erst drauf war. Ich habe gefühlt keine Kontrolle über meinen Daumen. Ich merke, wie bescheuert das ist, was ich mache. Und mache es trotzdem.

Warum eigentlich? Es ist eine Flucht, denke ich.

Ich flüchte vor den vielen To-dos, weil ich genau weiß, dass ich mir mal wieder viel zu viel vorgenommen habe. Ich flüchte vor meinem Anspruch geniale Dinge tun und zu schreiben und drücke mich durch daddeln vor meinem eigenen Druck. Ich  bewundere stattdessen Leute, die etwas Gutes schreiben statt zu daddeln. Bescheuert.

Ich gestehe: Auch nachmittags ist Social Media oft ein Fluchtort. Ich flüchte aus dem hochprozentigen Cocktail aus Langeweile und Überforderung, wenn die Kids mal wieder streiten, wenn einer das fünfte Brot will und alles wieder vollgekrümelt ist, wenn ich einem Englischvokabeln abfrage und warten und warten muss, weil sie noch nicht sitzen. Bloß ein Klick und ich bin da raus. Leider bin ich dadurch auch nie so richtig drin.

Ich spüre, dass ich bei Serien und Büchern schnell aufgebe, wenn sie mich nicht sofort catchen. Ich gehe nicht mehr laufen ohne Podcast auf den Ohren. Ich habe definitiv das Nichtstun verlernt.

Ich nerve mich selbst mit meiner Unaufmerksamkeit.

Meine Familie auch, Hilfe! Die Experten bezeichnen eine andauernde Aufmerksamkeit trotz eintöniger Reize übrigens als Vigilanz. Die ist also mein Must-Have im Herbst. Im Gegensatz zu mir betonen sie übrigens, dass wir Menschen selten wirklich unaufmerksam sind. In Wahrheit liegt die Aufmerksamkeit einfach bei etwas anderem.

Bei mir blöderweise meistens bei meinem Handy. Übrigens muss ich Telefon-Entzug regelrecht üben und über einen längeren Zeitraum machen, damit ich es hinkriege. Nur mal eben so das Handy weglegen klappt kaum. Es reicht auch nicht, das Handy umzudrehen, es muss weit weg. Und selbst dann ist es wirklich anstrengend, mich darauf zu konzentrieren, nicht ans Handy zu denken.

Am besten klappt es, wenn ich es schaffe, Instagram am Freitag Mittag zu löschen und es erst Montagmorgen wieder hochzuladen. Diese Wochenenden ohne haben gefühlt so viel mehr Stunden. Richtige Adrenalinstöße bekomme ich, wenn ich im Januar und Februar richtig Digital Detox mache. Ich freue mich jetzt schon wieder drauf. Danach will mich nie wieder davon verschlingen lassen. Und hänge kurz darauf dennoch wieder im Media-Maul.

Weil mein Handy auch mein Job ist, ist es natürlich nicht leicht, es lange wegzupacken. Überhaupt: Habe ich es gerade wütend auf den Flurschrank verfrachtet, will ich Musik hören, etwas auf die Einkaufsliste schreiben oder einen Termin eintragen. Alles ist in meinem Handy. Und ja, irgendwie genieße ich diese Fluchtmöglichkeit ja auch. Ein Nachmittag mit Schularbeitenbetreuung und Mama-Taxi-Fahrten ist nun mal oft öde und anstrengend. Ab und zu ein paar Reels gucken oder sich unter einem Post zu einem Thema austauschen, macht meinen Alltag bunter.

Ich merke übrigens immer mehr, wie man sich  an mehr Medienkonsum gewöhnt. Muss ich besonders viel am Handy arbeiten, daddele ich auch viel darauf herum. Ich habe daher mein Sommerritual, nämlich abends zu lesen, statt zu netflixen, noch nicht aufgegeben. Wenn ich nämlich erstmal drauf bin, bin ich drauf. Ohnehin will ich es auch danach so machen wie letztes Jahr: Erst ein Kapitel lesen, dann eine Folge gucken. Wenn ich mit den Jungs rausgehe, lasse ich immer öfter mein Handy zuhause. Erschreckend, wie oft ich dennoch dran denke.

Experten raten zu kleinen Tricks. Zum Beispiel dazu, mit den Zehen zu wackeln, sobald man spürt, dass die Aufmerksamkeit abgleitet. Das könne reichen, sich wieder um das zu kümmern, um das man sich eigentlich kümmern will. Werde ich heute glatt mal ausprobieren. Außerdem hilft es mir, mir einen Timer für konzentriertes Arbeiten zu stellen. Keine Dreiviertelstunde – und dieser Text ist fertig.

PS. Hier gibt’s noch den Motivationstrick in Sachen Aufmerksamkeit.

PPS. Ich habe mir dieses Buch bestellt, und freue mich drauf.

Sagt doch mal ehrlich, wie aufmerksam seid ihr?

Claudi