Wenn die Sonne nach abwesenden Ewigkeiten plötzlich wieder Muster auf die Wände zeichnet. Wenn der Morgenhimmel ein Feuerwerk aus Orange und Lila zündet. Wenn die Störche zurück sind und es überall zwitschert. Wenn zwischen dem Tristbraungrau der Beete plötzlich bunte Farbtupfer aus der Erde lugen. Wenn das Ende dieses abermals endlosen Winters besiegelt scheint – dann ist es Zeit für meinen Frühlingsschrei …

Zugegeben: Ich stelle mich nicht in Ronja-Räubertochter-Manier in die Landschaft und brülle mir den Winter aus dem Leib. Es ist eher ein inneres Jubilieren: Endlich wieder Helligkeit! Endlich wieder Farbe! Und hoffentlich endlich wieder Leichtigkeit, die selten so essenziell war wie dieses Mal.

Wir alle haben uns Frühlingsgefühle mehr als verdient.

Neue Energie, neue Impulse, neue Lebensfreude. Und von all dem lieber viel zu viel als schon wieder deutlich zu wenig. Ich mag am Frühling generell diese Aufbruchstimmung, die jetzt so viel präsenter ist als zu Jahresbeginn, wo sich neue Vorhaben doch meist winterschwer und zäh anfühlen. Nach durchhalten und dranbleiben müssen.

Zu Beginn der helleren Zeit kommt die Leichtigkeit fast von allein, selbst jetzt, wo wir mehr als sonst an den Grenzen des Machbaren gelebt haben. Mehr als sonst gestemmt, ausgehalten, Zähne zusammengebissen haben. Mehr als sonst über uns hinausgewachsen sind, das zweite Jahr in Folge. Selbst jetzt, wo die Welt von neuen Krisen geschüttelt wird – und wir die Gleichzeitigkeit der Dinge aushalten müssen.

Alles wird auf der Stelle einfacher, wenn die Sonne scheint.

Das Lächeln, der Alltag, alles. Vielleicht, weil Licht immer ein Versprechen ist, Hoffnung auf bessere Zeiten, die die trüben vergessen machen. All die Quarantänen und Kita-Schließungen, die nervigen Nasenpopeleien, all die Schultage am heimischen Küchentisch, die Beschränkungen im Außen und Innen. Das Licht blendet all das sanft, aber nachdrücklich aus. Wenigstens für den Moment.

Wenn die Sonne scheint, gehen die Kinder wieder freiwillig nach draußen, anstatt sich drinnen die Köpfe einzuhauen. Wenn die Sonne wärmt, schmeckt der Kaffee auf der Terrasse besser, drehen sich die Gedanken nicht dauernd im Kreis. Wenn es heller wird als Dämmerdunkel, kommt der Schwung zurück, kommen Lust und die Ideen wieder, das Leben neu am Schopf zu packen. Wenn die Winterblässe sich Rosa färbt, wenn im Schrank die schwingenden Röcke nach vorne rutschen, wenn Tulpen, Narzissen und Hyazinthen im Haus für Farbe und Frohsinn sorgen – dann sag ich dem Winter Adieu.

Und dem Ausnahmezustand gleich mit.

Damit unmissverständlich klar ist, dass ich auf immer und ewig mit dem mütend und frustriprimiert sein abgeschlossen habe, mit der Unsicherheit, der Unplanbarkeit und dem ganzen restlichen Un-Zeugs, mit der Erschöpfung und dem Ärger – muss ich dieses Mal vielleicht ein wenig lauter als sonst werden.

Ich glaube, ich geh jetzt doch meinen Frühlingsschrei machen. Manchmal liegen Freude und Frust nämlich nah beieinander. So oder so habe ich den Eindruck, es könnte ganz befreiend sein, einfach mal laut zu schreien. Und wenn es keine Leichtigkeit bringt, dann doch zumindest ein wenig Erleichterung.

Wie klingt Euer Frühlingsschrei?

PS: Dieser Text ist entstanden, bevor Russland einen absolut überflüssigen, entsetzlichen und beängstigenden Krieg begonnen hat. Zum damaligen Zeitpunkt stand ich nur unter dem Eindruck zweier verdammt zäher und anstrengender Pandemiejahre. Jetzt wünsche ich mir von Herzen, dass das die kritischsten Probleme wären, mit denen ich mich – und wir uns alle – gerade befassen mütssen…

Foto: Pat Moin/Unsplash

Alles Liebe,

Katia