Ich hätte mir in den Hintern beißen können. Wir sind gerade bei den Wölfen angekommen, die Taschen haben wir auf dem Weg abgestellt, die Kinder toben sich kurz auf dem Wasserspielplatz aus. Ich will bloß noch schnell meinen Föhn aus dem Auto holen und laufe zurück zum Parkplatz. Als ich im Kofferraum herumkrame, höre ich Wolfsgeheul. 1-A-Wolfgeheul wie aus dem Geräuschebilderbuch. Ich schaue kurz rüber zu meinen Jungs an der Wasserpumpe – sie winken wild. „Ach, wie nett“, denke ich. „Die Pumpe macht hier Wolfgeräusche.“ Ich winke zurück, dann höre ich weg – und krame weiter…

Als ich zurückkomme, hüpfen mir meine Kinder entgegen. Sie wackeln mit der Hüfte – es sieht beinahe aus, als wedeln sie. Sie jubeln: „War das nicht absolut irre?“ An ihren leuchtenden Augen sehe ich es. Ich lasse meine Föhn auf den Weg fallen. „Das Heulen war echt?“, frage ich.  Sie schauen mich verdattert. „Na klar, Mama! Was denn sonst?“ Ich fasse mir an den Kopf, ich war so doof: Ich hatte die Magie verbaselt. Aber dieses Heulen war einfach zu perfekt, um wahr zu sein.

Auf dem Weg zum Baumhaus begleitet uns einer der Grauen. Schlank, aufrecht und wolfsstolz läuft er neben uns her, Vorderpfote direkt vor Vorderpfote, mit lässigem Hüftschwung, wie auf dem Laufsteg. Sein Fell unten hell, oben graubraundunkel. Bildschön wie im Buch. Schon wieder zu perfekt, um wahr zu sein. Zu nah, zu offenbar. Dieses Mal lasse ich ihn nicht eine Sekunde aus den Augen.

Will keine Sekunde Wolfswirklichkeit mehr verpassen.

Zu unserem Baumhaus über den Wölfen wackeln wir über eine Hängebrücke. Die Kinder machen ein paar unsichere Schritte, laufen dann sicher und jauchzend. Ich halte die Luft vor lauter Wackeln an – und schnappe drinnen endgültig nach Luft: Die riesengroße Glaswand mitten in den Wolfswald nimmt mir den Atem. Die beiden weißen Hudson-Wölfe toben direkt unter uns. Wir schieben die zwei Ausklappmatratzen für die Kinder vor das Schaufenster, beziehen sie fix, ohne die beiden Tober aus den Augen zu lassen und kleben anschließend unsere Nase an die Scheibe.

Irgendwann packen wir unser Picknick aus und essen mit den Wölfen. Wir machen mit Blick auf Wölfe Pipi. Wir spielen zwei, drei Gesellschaftsspiele – und es ist ausnahmsweise egal, wer gewinnt. Als es dämmert, nehmen wir die Taschenlampen aus der Nachttischschublade und gehen auf Wanderung. Wir sind ganz allein im Park – nur die Wölfe und wir – und ich bin nicht unglücklich, als einer meiner Söhne meine Hand nimmt, um sich und mich festzuhalten. Ich hoffe, er hört mein Herz nicht rasen. Es ist eine Sache, die Tiere am Tag zu sehen. Aber etwas anderes, sie im Dunkeln zu treffen. Die Nachtschwärze schluckt die Zäune. Man steht ihnen direkt gegenüber.

Auge in Auge, nur die Wölfe und wir. Ihre Augen leuchten, unsere auch. Sie schleichen, sie gucken. Sie fiepen. Ausgerechnet in der Nacht fange ich an zu glauben, dass sie tatsächlich nicht die Monster sein könnten, zu denen sie viele Geschichten machen. Mein Sohn ist schon lange Fan, das hier ist sein (verspätetes) Geburtstagsgeschenk.

Uns schenkt er, dass wir uns alle neu verlieben.

Wir haben so viel über Wölfe gelernt an diesem Tag und dem nächsten. Dass sie fast nur alte und kranke Tiere reißen und man sie mit Elektrozäunen und Schutzhunden gut von Nutztieren fernhalten kann. Dass es keinen Angriff auf Menschen gab, seit es in Deutschland wieder Wölfe gibt. Dass Wölfe unglaublich schlau und sozial sind. Dass Wölfinnen immer gleich zwei Wurfhöhlen für ihre Jungen bauen, eine als Ersatz. Dass sie zu den Höhlen meterlange Zugänge buddeln. Dass sich Wolfseltern rührend und absolut gleichberechtigt um ihre Welpen kümmern. Dass sogar die Jungen vom letzten Jahr ab und zu babysitten und auf die neuen Geschwister aufpassen. Dass die Wölfinnen im Wolfscenter leider die Pille nehmen müssen, weil das Züchten in Tierparks ausgerechnet im Raum Verden nicht gern gesehen wird.

Als wir zurück zu unserem Baumhaus kommen, begrüßen es die Kinder mit Taschenlampenkreisküssen. Im Bauch kribbelt die Aufregung – wir grinsen müde. Langsam steigen wir die steilen Holzstufen hoch und schaukeln uns heim über die Hängebrücke. Ich gähne. Als der Wind leise in den Blättern raschelt, mein Sohn laut ruft: „Ich bin mude“ und ich das übliche Feierabend-Bettzeit-Gerede anstimme, zischt mein Großer plötzlich: „Still!“

Überraschenderweise hören wir alle.

Also alle Zweibeiner in diesem Wald. Die Wölfe aber fiepen, jaulen und heulen. Erst leise, dann laut. Dann sehr laut. Es rauscht, er röhrt. Sie gurren. Sie meckern und kichern. Und sie heulen. All das klingt so unecht echt nach Wolf – ganz und gar unglaublich. Ich stehe da oben und fröstele und schwitze, beides auf einmal. Und ich habe Gänsehaut, die eigentlich Wolfshaut heißen müsste. Weil eine Gans sowas bei mir noch nie geschafft hat.

Als die Tiere fertig sind mit ihrem Konzert, raschelt der Wald, als sei nichts gewesen. Wir schleichen ins Baumhaus, um die Magie-Decke noch nicht von uns abzuwerfen. Mein Wolfsfan kuschelt mit seinem Stoffwolf und mit mir. Wir alle kuscheln. Und dann brauchen wir ein Stück Magie-Verdauungs-Schokolade, bevor meine Jungs in die Blubberbadewanne vor dem riesengroßen, nachtschwarzen Fenster steigen, um die Schafskälte aus sich herauszuwärmen. Ich rubbele sie hinterher trocken.

Ich fühle mich plötzlich nicht nur den Wölfen, sondern auch ihnen noch näher.

Am nächsten Tag beim Frühstück im Ausstellungsgebäude grinsen wir uns zu. So eine Wolfsnacht verbindet. Auf völlig verrückte Art fühlen wir uns fremd zwischen den Tagestouristen und den Wölfen näher. Wir verbringen noch den ganzen Tag im Park. Die Kinder spielen auf dem Abenteuerspielplatz, wir gucken uns die kleine Ausstellung an, sitzen bei den Wölfen und machen schließlich die Führung durch den Park mit.

Bei der Fütterung kommen die Wölfe angewetzt, fangen Fleischbrocken und drehen danach elegant eine Revierrunde. Als die Wolfsexpertin fast fertig ist, kommt die graubraune Wölfin nochmal zurück. In ihrem Maul ist etwas. Ein Stück vom eben verfütterten Fleisch ist es nicht. „Manchmal schnappen sie sich einen Vogel, ein Nutria oder eine Ratte“, erklärt die Expertin durchs Mikrofon. „Manchmal..“ Die Wölfin läuft noch eine Extrarunde. Sie scheint sehr stolz, auf das in ihrem Maul zu sein.

Ich sehe einen daumendicken Schwanz aus ihrer Schnauze baumeln und schüttele mich. „Was für eine Pechvogelratte“, flüstere ich meinen Männern zu. „Da kommst du aus deinem Loch und stehst blöderweise im Wolfgehege.“ Meine Männer kichern. Unserer Führerin tippt jetzt an ihrem Handy herum. Durchs Mikro hören wir sie seufzen. Als sie wieder hineinspricht, hat sie einen Frosch im Hals. „Ich muss da gerade noch was klären…!“, entschuldigt sie sich. Sie räuspert sich. „Ich, ich glaube nämlich, dass da im Maul, das ist ein Baby.“

Ein Baby. Es ist ein Baby!

Was haben wir alles gelernt an diesem Wochenende: Wie viel Magie in 24 Stunden passt. Dass Wolfs- im Gegensatz zu Gänsehaut nicht so schnell vergeht. Und dass Wölfinnen trotz Pille Welpen kriegen können. Es fühlt sich fast ein wenig an, als wäre es unser Baby. Falls ihr dort auch mal schlafen wollt, hier geht’s zur Buchung.

 

Claudi