Früher hätte ich über jemanden wie mich vermutlich ein wenig belustigt den Kopf geschüttelt: Die ist nie für lange aus ihrer Heimat weggekommen. Lebt als Erwachsene wieder fast am gleichen Ort wie früher schon. Und hat nicht mal Sehnsucht nach einer Veränderung… Ja, ich habe auch mal gedanklich gehadert mit diesem Lebensmodell. Mich gefragt, warum aus mir keine ordentliche Kosmopolitin geworden ist. Oder zumindest eine Wahl-Berlinerin. Warum ich dem Hamburger Umland schon so lange die Treue halte. Die Antwort fällt mir heute leichter: Weil ich gern irgendwo so tief verwurzelt bin…

Dieses Gefühl von lange gewachsener Verbundenheit zu einer Stadt, einem Landstrich, den Menschen und Erinnerungen, die daran hängen. Das dachte ich auch kürzlich wieder, als ich im Freibad meiner Kindheit einen Uralt-Freund von damals traf – und es sofort wieder klickte. Wir fielen uns um den Hals – und ich wurde prompt zur anstehenden Geburtstagsparty mit lauter Leuten aus meinem früheren Leben geladen.

Heimat ist für mich maximale Vertrautheit – mit Orten und Weggefährten seit Kindheit an.

Aber ich musste erst weggehen, um das wirklich zu begreifen. Denn mit Anfang 20 wollte ich sehr dringend raus in die Welt – und das hieß: Vor allem erstmal raus aus Hamburg. Es wurde dann Berlin – und war ein Schock (über meine Hauptstadt-Krise habe ich hier schon einmal ausführlicher geschrieben). Erst aus der Distanz habe ich auf die harte Tour begreifen müssen, dass ich niemand bin, den man einfach so verpflanzen kann. Und das, obwohl ich nichts lieber wollte, als in der Hauptstadt Wurzeln zu schlagen!

Aber Heimat ist keine Frage des Wollens – es ist ein elementares Gefühl. Und mein vorrangiges war damals eines von Verlust: Der vertrauten Orte, der Freunde, der Haltung zum Leben. Natürlich kann man sich fragen, ob das als reserviert verschriene Norddeutsche besser ist als die Berliner Rotzigkeit – aber für mich machte es einen himmelweiten Unterschied.

Ich wollte es nicht cool, ich wollte es kuschelig. Ich wollte mich nicht verloren fühlen zwischen Fremden und in gigantischen Straßenschluchten. Ich wollte Wege im Schlaf zurücklegen können und Freunde, die meine Sprache sprachen. Eine Sprache der Heimat. Wo jeder weiß, wo das Waldbad liegt, das immer noch mein Seelenort ist, wo wir früher illegale Partys gefeiert haben und dass das Eiscafé mit 80er-Charme noch immer das beste Spaghettieis der Welt serviert.

Ist es peinlich, sich so an die Orte seiner Kindheit zu klammern? Vielleicht. Aber ich hatte keine Wahl. Andernfalls wäre ich todunglücklich geworden, da bin ich mir sicher.

Ich erinnere mich noch so genau an das Gefühl nach meiner Hamburg-Rückkehr. Ich wollte Laternenpfähle umarmen, die mir so viel freundlicher vorkamen als die in Berlin. Monatelang war ich völlig euphorisch – das Licht, die Leute, das LEBEN hatte mich endlich wieder! Auch Jahre später ist es mir schwergefallen, Hamburg für mein Volontariat zu verlassen: Die Monate in Magdeburg und München zogen sich wie Kaugummi, ich vermisste alles und alle und zählte die elendig zähen Tage rückwärts, bis ich endlich wieder in meinen Heimathafen einsegeln konnte.

Manchmal wundere ich mich dabei ein wenig über mich selbst. Schließlich bin ich gut darin, schnell mit neuen Menschen warm zu werden. Als wir mit unserem ersten Sohn hier raus aufs Land zogen, kannten wir schließlich auch niemanden in unmittelbarer Umgebung. Die Freunde in Hamburg-Downtown waren rund eine Stunde entfernt – zu viel, um einen Alltag zu teilen. Und doch habe ich hier, an einem neuen Ort, den ich als Kind nicht mal dem Namen nach kannte, eine Heimat gefunden. Eine erweiterte.

Denn vielleicht muss ich dazu sagen, dass sich mein Heimat-Radius ein wenig erweitert hat.

Immerhin habe ich lange Jahre mitten auf Hamburg St. Pauli gelebt – und wohne auch jetzt nicht im Ort meiner Kindheit. Aber eben auch nur 20 Minuten entfernt. Und weil wir dort am Elbdeich ein hübsches Holzhaus gebaut haben, ist das wohl eine Entscheidung auf Dauer.

Ich genieße es immer wieder, auf vertrauten Wegen unterwegs zu sein. Weil es mir eine Sicherheit gibt, die ich offenbar brauche wie andere die Veränderung. Und ich bin nicht allein mit diesem Wunsch nach Stabilität, die sich aus einer Vergangenheit mit all ihren Erinnerungen speist: Die meisten meiner Freunde und viele Bekannte sind nach und nach hierher zurückgekommen. Nicht zwingend in ihre Elternhäuser, aber ebenso wie ich in einem Dunstkreis drumherum, der ein eigenständiges Leben garantiert, ohne dafür die Annehmlichkeiten des Altvertrauten aufzugeben.

Fernweh habe ich übrigens trotzdem dauernd. Aber das bezieht sich eben nicht auf den Ort, an dem ich leben will.

Sondern auf die Welt, die ich nach wie vor entdecken will. Ich liebe es, unterwegs zu sein, aber ich kehre immer wieder gern an diesen Ort zurück, den ich nicht erst erobern und mir zu Eigen machen muss. Heimat ist im Herzen, klar, aber für mich einfach auch Hamburg. Und nach langjähriger Erfahrung kann ich sagen: Es gibt schlechtere Orte, um dort fast sein ganzes Leben zu verbringen…

Jetzt bin ich sehr gespannt: Was ist Heimat für euch? Seid ihr noch oder wieder am Ort eurer Kindheit? Oder habt ihr für immer das Weite gesucht und eine Wahl-Heimat gefunden?

Alles Liebe,

Katia