Wenn sie morgens aufwachte, sah Tatiana Timmann die Elbe und ihren Traum: ein uraltes, frisch saniertes Haus, eine große Partydiele und vier hübsche Ferienwohnungen. Wenn Tatiana heute aufwacht, hofft sie, dass alles vielleicht doch nur ein Albtraum war. Ist es aber nicht: Tatiana führt einen Gastronomie-Betrieb in Zeiten von Corona…
“Gestern war der Himmel hinter unserem Haus rosa!”, erzählt Tatiana. “Wunderschön eigentlich. Und doch fällt es mir so schwer, das zu sehen. Nicht mal das Lächeln meiner Tochter bringt mich noch zum Lächeln.” Corona hat sich wie eine dichte, dunkelgraue Nebelwolke vor alles geschoben. “Ich will ja optimistisch bleiben, vor allem für meine Kinder”, seufzt Tatiana. “Aber langsam kann ich nicht mehr. Wenn morgens der Wecker klingelt, frage ich mich: Warum stehe ich überhaupt auf? Das alles hat doch sowieso keinen Sinn.”
“Wir hatten fünf Jahre gesucht. Erst dann haben wir endlich das Haus für unseren Traum gefunden.”
Dabei hatte alles mal so viel Sinn gemacht. Ihr Mann Stefan hatte immer von Gastronomie geträumt, Tatiana auch. Dann trafen sie sich – und in 2017 auf das alte Haus am Elbdeich. Ihr Haus. “Die Sanierung war heftig – aber wir haben es geschafft.” Mit Mut und unendlicher Geduld eröffneten Tatiana und Stefan 2018 ihr Haus Anna Elbe. Sie vermieten vier Ferienwohnungen, vier Hütten im Garten, zwei Baumzelte und eine Partydiele für Hochzeiten und andere Feiern. “Jeden Balken haben wir berührt, jeden Stein in der Hand gehabt. 2019 lief gut. “Unser Plan ging auf.”
Für ihren Traum waren die beiden bereit, große Opfer zu bringen: Ihre Privatsphäre zum Beispiel. Um möglichst viel Platz für die Gäste zu schaffen, leben die beiden mit ihren drei Kindern auf knapp 80 Quadratmetern. In der kleinen Küche trafen sich vor Corona auch die beiden Putzhilfen, im winzigen Wohnzimmer lagern die beiden statt privaten Kram die zahlreichen Bezüge, Kissen und Laken für ihre Gäste.
Damit die Kinder zwei eigene Zimmer haben, schlafen Tatiana und Stefan auf einer Matratze auf einem Brett über dem offenen Küchen- und Wohnbereich. Statt Knistern Kriechhöhe. Meistens steht ein Kind mit im Raum. “Das geht schon”, findet Tatiana. “Nein es ging. Solange wir wussten, wofür!” Die Timmanns haben das gern in Kauf genommen für ihren großen Traum vom Ferienhof. “Aber der ist jetzt seit einem Jahr geplatzt.” Sie seufzt, schaut auf den Boden. “Neben all den finanziellen Sorgen macht uns die Enge hier fertig.” Ein Ende ist nicht in Sicht.
“Auch dieses ganze Jahr und wohl das nächste werden ein Verlust. Wer bitte plant jetzt seine Hochzeit? Niemand.”
Während halb Deutschland mit seinen Kindern stöhnend Matheaufgaben fürs Homeschooling ausrechnet, berechnet Tatiana die Monate, die sie als Familie noch durchhalten können. Die Privatinsolvenz schwebt über allem. Tatiana seufzt, als sie gesteht: “Wir hauen hier all unsere Sicherheitspuffer raus. Das hier ist ein altes Haus, es kann immer mal was sein. Jetzt darf nichts sein. Und unsere Altersvorsorge geht gerade für unser Essen drauf. Wenn Stefans Eltern uns nicht helfen würden, ginge es schon lange nicht mehr.”
Es ist still im idyllischen Garten hinter dem alten Haus. Nur die Vögel zwitschern. Tatianas Augen schimmern rosa. Sie fühlt sich so sehr im Stich gelassen. Von der Regierung, von ihrem Land. Von allen. Manchmal sogar von Freunden und Bekannten. „Ach kommt, ihr kriegt doch 70 Prozent!”, sagen die, wenn Tatiana jammert. “Chillt doch einfach und genießt die Zeit.” Tatiana schlägt beide Handflächen vors Gesicht, reibt über ihre müden Augen.
“Ich weiß dann immer gar nicht, was ich dazu sagen soll.”
Mir erklärt sie es nochmal. “Die Hilfen sind ein Witz. Die decken nicht mal die Hälfte unser monatlichen Ausgaben. Weder die Tilgung des Kredits für unseren Traum können wir davon zahlen, noch ist ein Verdienst für Stefan und mich einkalkuliert. Es reicht einfach hinten und vorne nicht.” Und überhaupt: “Ich will nicht chillen. Wir wollen nicht chillen. Wir wollen einfach nur arbeiten.”
Der Ruf der Bevölkerung nach einem harten Lockdown zur Zeit klingt für Tatiana wie Hohn. Denn: “Wir sind seit November im harten Lockdown!” Überhaupt versteht sie nicht, dass die Gastronomie und Hotellerie so anders behandelt werden, als andere Branchen. “Überall sonst wird bloß um Homeoffice gebeten. Ich sehe in den sozialen Netzwerken ständig Leute im Büro zusammen, die haben Meetings, die lunchen sogar zusammen. Aber wir dürfen niemanden beherbergen. Obwohl wir Hygienekonzepte haben. Und vier Wohnungen mit extra Eingängen. Ohne Kontakt. Das kann doch nicht wahr sein.”
Surreal fühlt es sich an, nur noch mit Plan in den Supermarkt zu fahren. “Da steht genau drauf, was eingekauft wird. Mehr gibt’s nicht. Mehr geht nicht!” Worauf jemand gerade Appetit hat, zählt nicht. Noch härter findet sie es, für die Kinder optimistisch zu bleiben. “Ich will ihnen keine Angst machen. Aber ich kann nicht verhindern, dass sie mich gerade ständig weinen sehen.”
“Ich kann einfach nicht mehr.”
Obwohl sie so müde sind, versuchen Tatiana und Stefan doch immer wieder etwas Neues. Tatiana hat bereits versucht, ihre Lizenz zu erweitern. Aus der einfachen Schanklizenz wollte sie eine Lizenz machen, mit der auch Essenslieferungen möglich wären. “Aber das wäre mit viel zu vielen Kosten verbunden. Dafür haben wir kein Geld.” Das Schild für ihr Sonntagscafé baumelt wie vergessen gegen ein Fahrrad vor dem Haus. “Bei dem Wetter der letzten Wochen kamen keine Radfahrer vorbei um bei uns Kuchen zu holen. Aber bald wieder, vielleicht. Falls dann nicht eine Ausgangssperre kommt.”
Jetzt haben Tatiana und Stefan nach unendlich vielen Gesprächen sogar Partner gefunden, Spenden zusammengetrommelt und bauen in Kooperation mit zwei Vereinen aus dem Ort eine kleine Scheune als Treffpunkt hinter dem Haus. “Wir haben immer noch die Vision, dass sich hier Menschen begegnen”, seufzt Tatiana. “Und gerade stören die Bauarbeiten wenigstens keinen Gast!”
Kurz nach unserem Gespräch geht hinter dem frischen Fundament im Garten die Sonne unter. Heute mal wieder rosarot. Tatiana sieht es nicht. Sie prüft in der Partydiele die Getränke. Gleich mehrere Kisten laufen demnächst ab. Ob und für wann sie neue bestellen soll? Tatiana weiß es nicht.
Danke an Tatiana vom Haus Anna Elbe für das Gespräch!
Hallo Claudia, ein trauriger Post. Ich erinnere mich an unseren letzten Sommerurlaub an der Ostsee. In unserem Lieblingslokal fragte ich die Kellnerin wo sie am liebsten baden geht. Sie sagte sie ist froh wenn sie abends ihre Ruhe hat und sich nicht an die Strände mit den vollen Urlaubern legen muss. Sie hat es freundlich gesagt und ich dachte wenn wir nicht mehr herkommen wäre es für Sie auch nicht gut. Ich habe dann noch lange darüber nachgedacht und konnte sie auch verstehen, wie es ihr zumute ist so von Urlaubern in einem kleinen beschaulichen Ort überrannt zu werden. Ich träume schon wieder von der Ostsee und werde trotzdem wieder hinfahren, da der Kuchen dort so toll ist. Zeit heilt Wunden, das habe ich nach deinem Bericht wieder mal erkannt.Hoffentlich können wir auch diese Zeiten hier geheilt überstehen. Ich wünsche dem Gastronomenpaar alles Liebe , viel Durchhaltevetmögen und dass Sie alle Hilfen bekommen die sie benötigen damit es gut wird. Liebe Grüße von Elke
Hallo Claudia!
Ich lese deinen Blog normalerweise sehr gerne.
Allerdings ist mir bei diesem Artikel nicht klar, warum du einen Vergleich ziehst zum Homeschooling und warum es so klingt, als sei Homeschooling ein Spaziergang.
Ich finde Homeschooling mit meiner Tochter meist sehr anstrengend, weil sie ohne Schulkameraden einfach nicht lernen mag.
Und es erschwert die ohnehin schwierige Arbeitssuche sehr, wenn ich nur jeden zweiten Tag Zeit habe zum bewerben (Wechselunterricht).
So gut es ist, über ein persönliches Schicksal in Corona-Zeiten zu berichten…
Ich denke, man muss nicht Schwierigkeiten gegeneinander aufwiegen.
Liebe Claudia, danke für diesen Artikel! Ich wünsche den beiden ganz viel Kraft zum Durchhalten auf allen Ebenen und dass sich der Wind bald wieder dreht!
Schon komisch, dass es manchmal 50 und mehr Kommentare gibt und ich nun hier erst der 4. bin…
Solche Artikel relativieren unsere eigene Situation, den Spagat zwischen Job mit Abgabeterminen u teils ausgefallenem Team, weil wieder eine Kita zu ist und einem Kind zu Hause, das sein homeschooling Programm oft alleine absolvieren muss. Ja- Gastronom oder Ladenbesitzer oder selbständiger Künstler zu dieser Zeit ist weitaus schlimmer als “nur” homeschooling! Wenn man seit Wochen und Monaten Zukunftsangst hat, alles was man aufgebaut hat plötzlich in Gefahr ist oder alle Ersparnisse aufgebraucht sind und ein Ende nicht in Sicht ist… und viele dieser Menschen haben auch Familie und Kinder, also homeschooling in top.
Oder aber die Krankenschwester, die seit 1 jahr im Dauerwahnsinn Schichten schiebt, die eigenen Kinder in die Notbetreuung schicken muss oder darf und niemand fragt, ob sie die Kraft hat, noch Hausaufgaben zu kontrollieren…
Aber Claudi- gib deiner Bekannten mal den Tipp, ob sich ihr Projekt vielleicht als Co-working space eignet? Ich sah gestern einen Bericht aus Brandenburg- Berliner, die dort derzeit auf einem Gutshof die Landflucht genießen. Da es beruflich genutzt ist, ist es derzeit erlaubt.
Viele Grüße und Kraft!
Hallo Claudi, Danke für diesen Artikel.
Alles Gute für die Zwei und das es ein baldiges Ende hat.
Hallo Antje,
mir geht es genau wie dir. Ich habe auch eben gedacht, nur so wenige Kommentare und auch sonst deine Gedanken.
Alles Gute,
Heike
Liebe Claudi,
das treibt mir die Tränen in die Augen, und bestimmt nicht nur mir. Ich bin froh und dankbar , daß ich nicht in so einer Zwickmühle stecke. Mein Sohn ist groß, er darf und kann zum Glück seiner Arbeit nachgehen. Meine Schwiegertochter ebenfalls. Unser Enkelkind darf in Kindergarten gehen und kann es auch, dank der Notbetreuung. Mein Mann und ich dürfen auch jeden Tag, seit Beginn dieses Coronaalptraum zur Arbeit, so daß jeden Monat Geld fließt. Viele Menschen vergessen in der nervenaufreibenden Zeit ganz oft einfach mal dankbar zu sein. Dankbar für die vielen kleinen Selbstverständlichkeiten des Alltags, wofür andere kämpfen müssen. Allen, die Angst haben wünsche ich ganz viel Kraft🍀, vor allem, daß sie nicht die Hoffnung verlieren.
Herzlich Romy
Liebe Claudi,
mir geht es wie Antje – nur so wenige Kommentare.
Mir hat dieser Artikel Tränen in die Augen getrieben und ich finde es so wichtig genau solche Geschichten zu hören und warum muss man denn immer Vergleiche anstellen nur weil man das Wort Homeschooling erwähnt?
Man sieht doch in seiner Welt oft nur seine eigenen Probleme und das ist ja auch nicht verkehrt, nur gibt es eben auch Schicksale die haben außer den ganzen Einschränkungen noch ganz andere Probleme.
Dann noch diese bodenlose Ungerechtigkeit der Regierung.
Nein, das kann man einfach nicht verstehen.
Diese Machtlosigkeit, dieses Gefühl von immer stark sein müssen und doch einfach nicht mehr zu können.
Ich hoffe so sehr auf ein Wunder für diese Familie und viele echte Freunde, die nicht solche Sprüche loslassen.
Danke für diesen Bericht!
Heike
Das tut mir so so leid!! Und vorallem ist es absolut nicht nachvollziehbar warum kontaktlos in einem Ferienhaus übernachten nicht möglich sein soll!
Oh da haben wir vorletztes Jahr noch übernachtet, es ist so ein schöner Ort. Ich hoffe sehr, dass die Zwei einigermaßen durch diese Zeit kommen. Ganz viel Kraft!