Gestern kam eine Freundin zur Tür herein, während ich einen meiner Söhne gerade dazu überredete, noch kurz ein paar Wörter in den Lücken seines Hausaufgabenlückentextes zu verbessern. Ich sah meine Freundin durchs Wintergartenfenster breit grinsen. Ich hörte sie fröhlich meinen Namen rufen. Dann schaute ich auf, ganz sicher rot im Gesicht vom Überreden, schaute über die Kücheninsel, den Couch- und den Esstisch mit all den Haufen darauf und auf das dreckige Geschirr, dass auf der Spülmaschine aufs Aus- und Einpacken wartete. Meine Freundin stürzte auf mich zu, wehender Wollponcho hinter sich her, breitete die Arme aus und rief: “Herzlichen Glückwunsch…!” Ich schob den Stuhl an den Tisch und fragte: “Äh, wozu denn…?”

“Na sag mal!”, sie drückte mich fest an sich, ihr Poncho wie zwei Flügel von links und rechts um mich herumgewickelt. Sie strahlte. “Mensch, dein Kochbuch! Du hast es geschafft. Endlich. Ich bin so stolz auf dich! So viel Arbeit. So viel Liebe! Ich hoffe du feierst dich Tag und Nacht.” Ich winkte ab. “Ach so”, meinte ich, “das Kochbuch. Ja, das ist ganz schön geworden…” Dann griff ich nach der Kaffeedose. “Eigentlich denke ich ja gerade schon wieder an…. Und klar sorge ich mich, ob das alles so klappt.” Meine Freundin nahm zwei Kaffeetassen aus dem Schrank: “Stop”, sagte sie. “Jetzt feiern wir erstmal dein Buch.”

Als sie abends wieder ging, dachte ich zurück an den schönen Nachmittag, zwischen Haufen, ohne selbstgebackenen Kuchen, denn das hatte ich nicht mehr geschafft. Dafür mit der ersten Packung Lebkuchen in diesem Jahr. Zwei Lebkuchen hatten wir uns jeweils geschnappt, bevor unsere Kinder sich draufstürzten. Wir hatten beinahe den ganzen Nachmittag darüber gesprochen, wie verrückt es war, dass wir uns selbst so wenig feierten. Würde ich es von jemand anderem hören, ich würde mir an die Stirn tippen. Ist doch Wahnsinn: Da habe gerade ein Kochbuch geschrieben. Himmel, ich habe monatelang alles dafür gegeben. Aber statt mal eine Woche grinsend herumzutrödeln, plane ich schon das nächste Projekt. Und ganz viele kleine Drumherum. Das ist irgendwie schön. Aber auch ein bisschen anstrengend. Und irgendwie traurig. Bei anderen weiß man vieles besser. Bloß bei sich selbst braucht es öfter Freundinnennachhilfe.

So ist das nicht bloß in Sachen Kochbuch: Als meine Freundin und ich später im Garten standen und unseren jeweils Kleinsten Schaukelanschwung gaben, schielte ich genervt zum Spielhausfundament, was abgedeckt und mit Regenpfützen darauf da lag – bereit für einen Winterschlaf. Wir hatten es nicht fertig bekommen. Den Hühnerstall, die neuen Beete und den Kaninchenstall, die wir in diesem Jahr angelegt und aufgebaut hatten, sah ich nicht. Erst als meine Freundin mich an sie erinnerte, bemerkte ich sie.

Später im Bett atmete ich einmal erleichtert tief ein, bevor ich zu meinem Buch griff. Das Abend- und Insbettbringprogramm hatte nämlich wirklich ganz gut geklappt. Statt mich dafür aber selbst zu feiern, grübelte ich schon wieder über den chaotisch-zerstrittenen Nachmittag am Tag davor. An dem in und um die Tennishalle herum nicht nur die Bälle durch die Gegend sausten. Sondern auch Gemotze, Gejammer und jede Menge doofer Worte.

Ich musste daran denken, dass ich seit einer ganzen Weile einen blöden Satz von einer Bekannten im Ohr habe. All die schönen Sätze, die sie in den letzten Wochen gesagt hatte, erinnere ich kein Stück, aber die eine blöde Bemerkung, die klebt an mir. Scheinbar nicht nur an mir. In der Zeitschrift Flow habe ich vor kurzem gelesen, dass unser Gehirn von Natur aus auf Negatives eingestellt ist. In der Wissenschaft nennt man das den Negativitätseffekt. Der besagt, dass unangenehme Gedanken und Emotionen tatsächlich einen größeren Einfluss auf unser Fühlen und Denken haben als neutrale oder schöne Dinge. Diese Negativitätsverzerrung diente früher dazu, sich bei drohender Gefahr ausschließlich auf das jeweilige Problem konzentrieren zu können. Das ist hilfreich bei einem Wettlauf mit einem Säbelzahntiger. Aber nicht besonders schön in einem wilden Alltag oder Familienleben. Scheint so, als klebten nicht nur an mir etliche negative Bemerkungen, missglückte Nachmittage oder schnell abgehakte Erfolge.

Klar frage ich mich, warum ich so bin. Warum es mir so schwer fällt, eine Weile durchzuatmen und mich zu feiern. Weil ich immer bei denen schaue, die noch mehr reißen? Weil ich es meistens liebe zu reißen? Weil ich meine Bilderbücher, meinen Blog, unser Haus nicht hätte, wenn ich zu lange durchatmen würde. Weil ich immer eher bei denen schaue, die (scheinbar) noch mehr reißen. Ein gesundes Reißmaß – das wünsche ich mir zum Geburtstag. Und zu Weihnachten.

Ich habe gestern Nachmittag auf jeden Fall mit meiner Freundin mit einem Kaffee darauf angestoßen, ab sofort zu üben, das zu genießen, was wir haben, statt ständig dem nächsten Erfolgsmoment nachzujagen. Dabei ist es egal, ob der Erfolg ein Buch, ein Jobprojekt oder Bratkartoffeln zum Abendbrot sind. Auch der Neuropsychologe Rick Hanson schreibt, dass wir uns gegen den Negativitätseffekt bewusst wehren können, in dem wir uns intensiver mit schönen Erfahrungen beschäftigen (auch mit den kleinen). Auf diese Weise kann man dem Positiven einen Stups geben, unser Fühlen und Denken zu beeinflussen.

Ich habe also abends vor dem Kamin mein Buch genommen, meine Nase hineingesteckt und mit geschlossenen Augen den wunderbaren Buchduft eingeatmet. Ich habe über einzelne Seiten gestreichelt, wie ich abends immer noch mal über die Wangen meiner Kinder streiche. Und ich habe versucht, meine Texte so zu lesen, als wären sie nicht von mir. Ich habe an diesem Abend nicht mal mehr versucht, noch etwas zu reißen.

Was meine Freundin und ich uns noch überlegt haben? Dass wir jeden Abend vor dem Einschlafen kurz überlegen, was an dem Tag gut war. Muss gar nicht lang sein, es reichen drei Stichworte. (Gestern waren das: Freundinnenplausch, Nudelabendessen, Kuschelvorlesen). Verrückterweise mache ich genau das mit meinen Kindern ganz oft. Ab jetzt dann auch mit mir. Noch ein Trick, der heute morgen tatsächlich geklappt hat: Einen Ort ganz bewusst wie durch eine rosarote Brille anschauen (oder meinetwegen wie durch einen fancy Instagram-Filter). Das blendet Haufen, Geschirr und viel mehr aus. Und lenkt den Blick stattdessen auf meine Vanillekerze, die Kastanientiere meiner Kinder und die Muscheln aus dem Urlaub.

Meine neuen Ideen? Die kann ich ja auch noch Montag angehen. Oder im neuen Jahr. Und übrigens: Kennt ihr schon mein schönes, neues Kochbuch?

Ein wunderbares Wochenende für euch!
Liebe Grüße,

Claudi