In der sechsten Klasse hieß ich mal eine Weile Space Mouse. Warum, weiß ich nicht mehr genau. Aber ich fand meinen Spitznamen damals ziemlich cool. Weil er so besonders war. Weil es eine Art Auszeichnung war, gleichzeitig anerkennend und liebevoll. Weil er mich mit einer Gruppe Menschen verband, die mir damals sehr wichtig war…
Als Kleinkind hatte ich in meiner Familie den Namen Wühlfingerschnuffel weg. Entliehen aus einem fiktiven und sehr lustigen Tierlexikon. Dort wurde der Wühlfingerschnuffel als “gefräßig, aber harmlos” beschrieben. Und nein, diese Zuschreibung hat bei mir keinen bleibenden Schaden hinterlassen. Sondern vielmehr das gute Gefühl elterlicher Zärtlichkeit. Ein Gefühl von Wärme, Geborgenheit, gesehen werden. Die Verbindung aus Kosenamen und Liebe wird bis ins Erwachsenenalter abgespeichert, meint die Wissenschaft. Stimmt: Ich muss bis heute immer lächeln, wenn ich daran denke.
Spitznamen können so zärtlich sein.
Wie eine Umarmung mit Worten. Sie können einen größer, stärker, einzigartig machen. Weil sie manchmal etwas bezeichnen, das nur andere in einem erkennen. Weil sie einem verraten können, wieviel man anderen bedeutet. Und ich meine jetzt nicht die universellen Kosenamen wie Schatz oder Liebling. Ich spreche von den individuellen, nicht beliebig austauschbaren.
Klar, sag ich zu all meinen Kindern auch mal Mäusi. Aber die echten Spitznamen, das sind andere, prägendere. Die ihnen wirklich etwas bedeuten. Weil es eben nur Opa ist, der den Jüngsten lütt schietbüdel nennt – und überhaupt so nennen darf. Das macht ihn ja so außergewöhnlich.
Je mehr Spitznamen, desto besser, finde ich übrigens: Weil wir durch viele Spitznamen zu einer Art multipler Persönlichkeit werden können. Für meine Mutter war ich Kaddel. Für meine Tante Katia-Kätzchen. Für einen Freund Katjes, für meine Schwester als Kleinkind Dati. All das war, all das bin ich. Selbst, wenn mich schon lange niemand mehr so genannt hat: In diesen Namen wird immer ein Teil von mir bleiben. Und eine Verbindung zu den Menschen, die mich einmal so getauft haben.
Spitznamen können genauso verletzend sein.
Ähnlich schmerzhaft wie ein Schlag. Sie können einen kleiner, hilfloser, schwächer machen. Weil sie den Finger in eine offene Wunde legen. Oder ganz neue Schrammen schlagen. Streber-Katy ist der andere Spitzname, an den ich mich aus Schulzeiten erinnere. Auch wenn es unter Kindern fiesere Zuschreibungen gibt: Damals war ich darüber ziemlich geknickt. Weil ich nicht darüber definiert sein wollte: Als ehrgeiziger Lehrer-Liebling. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – auch ein Körnchen Wahrheit darin steckte.
Kürzlich erzählte mir mein Großer, dass eine Mitschülerin einen abschätzigen Spitznamen weghätte. “Alle nennen sie so”, sagte er ganz verwundert auf mein Nachbohren. “Sie hat nichts dagegen.” Da musste mein Trio erstmal eine Lektion in Sachen respektvollen Umgangs über sich ergehen lassen. Denn fiese Spitznamen sind nie, nie, nie egal. Auch wenn jemand sich alle Mühe gibt, sich nichts anmerken zu lassen – irgendwas bleibt immer hängen. Wenn es schlecht läuft, für sehr lange Zeit. Und wir alle wollen doch, dass der Blick der anderen auf uns schmeichelnd, nicht schmähend ist.
Meine Kinder hatten sogar Spitznamen, bevor sie überhaupt geboren waren.
Arbeitstitel, sozusagen. Ich weiß noch, wieso mein erstes Bauch-Baby Minimum hieß oder warum ich meine Tochter Krümel taufte. Wie ich aber auf Baby Couscous kam? Habe ich im Hormonrausch komplett verdrängt. Aber es war von Herzen – und hat sich eingebrannt. Vor allem bei meinem Jüngsten, der sich damit gerade eine Parallel-Identität aufbaut. Ich habe den Eindruck, er findet ihn sehr besonders. Und ich hoffe, dass damit für ihn immer ein warmes Gefühl von Geborgenheit und Zärtlichkeit verbunden bleibt.
Mögt Ihr ein paar Eurer familiären Spitznamen verraten?
PS: Mein Mann hat mit seinem Spitznamen übrigens den Vogel abgeschossen: Als Teen hieß er unter seinen Skate-Freunden “Dschungel-Joko, der Schlangenschmeißer”. Wenn ich schlechte Laune habe, bringt mich das auf der Stelle zum Lachen…
Alles Liebe,
Hach, da sind ja tolle Namen dabei – bei uns gibt es einen runnig gag zwischen dem Großen und mir: als Kleinkind hat er sich selbst “Moimoss” genannt, da er Moritz noch nicht aussprechen konnte. Wenn ich ihn dann aber “Moimoss” nannte, sagte er: “Ich heiße nicht Moimoss, ich heiße Moimoss!” (Er konnte also schon sehr gut hinhören ;-))
Mittlerweile ist er 12 und ab und zu nenne ich (und nur ich darf das) ihn Moimoss, worauf er so antwortet wie früher – gerade in dieser Vorpubertier-Phase immer wieder ein schöner Moment der Verbundenheit…
LG Andrea
Hej liebe Andrea, ja, es hat beim Schreiben richtig Spaß gemacht, mich an all diese tollen Namen wieder zu erinnern. 🙂 Moimoss finde ich auch sehr bezaubernd – wie schön, das Ihr ihn noch in Gebrauch habt, wenn Ihr Euch nahe seid. Ich blicker auch schon sehr gespannt auf diese (Vor-)Pubertierzeit, mein Großer wächst da auch langsam rein… Alles Liebe, Katia
Seit ich denken kann, heiße ich bei meinen Geschwistern “Suddel”. Es ist genauso,
wie du es beschreibst. Nur diese Gruppe von vier Menschen darf mich so nennen und nur
wir wissen, warum ich so heiße. Sobald mir dieser Spitzname entgegenfällt, weiß ich, ich bin
zuhause! Ein tolles Gefühl….
Liebe Grüße
Liebe Ute, ganz genau: Ein Zuhause-Gefühl. So schön! 🙂 Alles Liebe, Katia