Dass ich Anfang des Jahres mit  This is us” Schluss gemacht habe, war schrecklich und schön zugleich. Einerseits hatte ich wirklich Herzschmerz, all diese Menschen, die mir im Laufe von sechs Staffeln so vertraut geworden waren, zu verlassen. Andererseits war ich plötzlich wieder frei, abends andere Dinge zu tun als Folge um Folge durchzubingen. Mein Seelentröster war daher nicht der Gang zum Eisfach, sondern der in die Buchhandlung. Und da habe ich ein paar echte Schmöker-Entdeckungen gemacht, die euch bestimmt auch interessieren…


Mit “Altes Land” hatte mich Dörthe Hansen damals ab Satz eins. Ich mochte die Geschichte, ihren Stil, ihren norddeutschen Witz. Der Nachfolger “Mittagsstunde”, sehnsüchtig erwartet, war mir dann ehrlicherweise irgendwie zu karg, zu mühsam. Ich habe es nie zu Ende gelesen, obwohl ich eigentlich gern wollte. Aber dann kam “Zur See” – und eine Lesung von Dörthe Hansen auf Föhr.

Dörthe Hansens “Zur See” ist eine poetische Perle von einem Roman.

Das wusste ich schon, bevor ich sie live auf ihrer Lesetour traf – denn ich hatte ihren dritten Roman verschlungen: Wort für Wort ein Ausnahmebuch, das die Geschichte der Seefahrer-Familie Sander erzählt, die seit Generationen auf einer kleinen Insel lebt – und den Stürmen auf See und des Lebens selbst trotzt.

Da ist Hanne, die Familienpatriarchin, die kein Wort zu viel verliert und die Familie eisern zusammenhält, obwohl sie längst zerbrochen ist. Da ist Ryckmer, ihr ältester Sohn, der sich lieber an Flaschen als an Menschen hält und Tochter Eske, deren großflächige Tattoos und Fahrstil nicht recht zu den beschaulichen Reetdachkaten des kleinen Dorfes passt. Die Protagonisten sind rauh, die Geschichte wie ein Gedicht – nicht ganz unbeabsichtigt, wie Dörthe Hansen auf ihrer Lesung erzählt: Sie habe unter anderem deshalb so lange Zeit dafür ihr Buch gebraucht, weil es einen bestimmten Rhythmus haben sollte. Und das sei verdammt knifflig gewesen! Aber es hat sich gelohnt: Ein Buch von großer Schönheit und Klarheit. Wie ein Morgen an der See…


Witzig, anrührend, klug: Bonnie Garmus “Eine Frage der Chemie”.

Was für eine unglaubliche Frau, dachte ich beim Lesen immer wieder! Elizabeth Zott ist eine der hinreißendsten Heldinnen, der ich jemals auf Buchseiten begegnet bin: Forscherin, Feministin, Fernseh-Star und alleinerziehende Mutter – all das vor dem Hintergrund der noch sehr konservativen 60er-Jahre, weit entfernt von Frauenbewegung und Freiheit.

Wie sie trotz aller Hürden – Mansplaining, dem Verlust ihres Mannes, ihres Arbeitsplatzes – unbeirrt und mit hoch erhobenem Kopf ihren Weg geht, hat mich absolut begeistert. Einzig ihr altkluger Hund ist mir zwischendurch immer mal wieder auf die Nerven gegangen, aber der schlaue Schmöker ist dennoch völlig zurecht der Bestseller der letzten Saison!

Familiengeschichte mit Abgründen: “Unsere verschwundenen Herzen” von Celeste Ng.

Heile Familien sind nicht das Spezialgebiet von Celeste Ng, deren Vorgänger-Romane “Was ich euch nicht erzählte” und “Kleine Feuer überall” (toll auch als Serie, bei Amazon Prime) ich in einem Rutsch verschlungen habe. Oft geht es dabei auch um mehr oder minder versteckten Rassismus, so auch in diesem Roman, der in einem Amerika in einer nicht allzu fernen Zukunft spielt.

Es ist eine Mutter-Sohn-Geschichte, die zugleich beklemmend und poetisch ist: Der zwölfjährige Bird macht sich auf die Suche nach seiner Mutter, die drei Jahre zuvor plötzlich aus dem Leben der kleinen Familie verschwunden ist. Sie ist untergetaucht, um ihn und seinen Vater zu schützten – denn als Asiatin gerät sie ins Visier der Regierung, die ihre uramerikanischen Werte schützen will. Ich mochte vor allem die Idee, wie Rebellion durch die Kraft von Literatur genährt wird – Birds Mutter ist Dichterin und ihre Worte werden die Parolen des Widerstandes. Dennoch ist das Buch keine ganz leichte Kost, aber es muss ja nicht immer alles happy-clappy sein.

Heckenrosenhäuser und große Geheimnisse: “Sommer auf Solupp” von Annika Scheffel.

Solupp hat dieses Saltkrokan-Flair: Eine Insel im Nirgendwo, wochenlang Sommerferien – und die Erwachsenen spielen darin kaum eine Rolle. Und doch ist die Geschichte von Mari und ihrer Familie, die zur Erholung auf die abgeschiedene Insel kommt, nicht immer nur heiter: Über allem schwebt die gerade überstandene Erkrankung des Vaters, die allen Familienmitgliedern unterschiedlich zu schaffen macht.

Aber schon bald nimmt Anderes Raum ein: Der stets gut gelaunte Joon und Ema, die im gleichen Alter wie Mari ist – und mit denen Mari gemeinsam einem Insel-Geheimnis auf die Spur kommt. Dabei muss viel Solbeer-Eis gegessen und auf wilden Ponys geritten werden und ohne nachts im Meer zu schwimmen ist natürlich kein Insel-Sommer-Buch komplett.

Ich habe es mit meiner Siebenjährigen gelesen – mitunter war es noch ein wenig hoch, aber wir sind beide so hin und weg, dass jetzt “Winter auf Solupp” dran ist – und gerade ist noch “Frühling auf Solupp” erschienen. Erinnert mich an Kirsten Boies “Sommerby”-Reihe, nur zuweilen einen Deut düsterer und mystischer. Und übrigens, psst: Habe gerade aus sicherer Quelle erfahren, dass 2023 der vierte Sommerby-Band erscheint…

Das erste Mal so richtig verknallt: Der wunderbare Coming-of-Age-Roman “Man vergisst nicht, wie man schwimmt” von Christian Huber.

Wer meine Bücher-Empfehlungen kennt, weiß ja, dass ich ein großer Fan von Coming-of-Age-Romanen bin: Weil all diese ersten Male des Lebens sich so sehr einbrennen, so überwältigend, groß und wichtig für den Rest unserer Tage sind. Deswegen habe ich “Hard Land” von Benedict Wells geliebt oder auch “Black Bird” von Mattthias Brandt.

In “Man vergisst nicht, wie man schwimmt” ist es eine Kleinstadt-Jugend, die an einem einzigen Tag des letzten Jahrtausends das Leben des 15-jährigen Pascals, genannt Krüger, auf den Kopf stellt. Der sich Hals über Kopf in ein wunderbar wildes Mädchen verliebt. Der an diesem 31. August 1999 in einen Gefühlsstrudel gerät, in dem sich Freundschaft, Liebe, er selbst für immer verändern. “Ein Tag wie ein Leben” heißt es irgendwann gen Ende dieses Romans, den ich wegen seiner leisen Melancholie mochte und auch wegen des Sommers und all den Dingen, die man eben so tut, wenn man 15 ist und das ganze Leben noch vor sich hat.

Erdbeerlaune und Freunde für immer: Der erste Band von Claudis bezaubernder Kinderroman “Die Geburtstagsbande”.

Kleiner Spoiler vorweg: Kinder, die dieses wunderschöne Buch in die Finger bekommen, wollen das dann auch: “Auf die Plätze, fertig, feiern!” Also jeden Tag Geburtstag feiern, ganz gleich mit wem. “Oh, Mama, das ist doch eine super Idee!” juchzte meine Tochter direkt, als wir die ersten Kapitel von Claudis allererstem Kinderroman gelesen hatten.

Und ich musste ihr zustimmen, wenn auch aus anderen Gründen. Ich war direkt so verliebt in das Setting, den Sommer und die Stimmung in dieser Feelgood-Geschichte um die drei Freunde Lu, Pelle und Rio! Die sich als Geburtstagsbande dauernd selbst bei anderen Kindern einladen und mit ihrem Huhn Chickaletta viel Chaos anrichten. Ich hatte direkt Sehnsucht nach diesen unbeschwerten Kindertagen, die endlos sind und voller Abenteuer. Ein perfektes Buch für Kinder und deren Eltern, zum Selber- und gemeinsamen Vorlesen. Und wer am Ende direkt wieder von vorn loslegen möchte wie wir: Im Herbst erscheint Band 2, der dritte ist auch schon fertig!

Eine Dorf-Kindheit im Nachkriegsdeutschland: Volker Widmans herzzerreißender Roman “Die Molche”.

Vermutlich müsste man für den Buch-Auftakt eine Art Trigger-Warnung aussprechen: Gleich zu Beginn stirbt nämlich ein Kind, und zwar ziemlich brutal: Der kleine Bruder von Max wird von anderen Dorf-Kindern zu Tode gesteinigt. Warum es sich dennoch lohnt, nach diesem krassen Auftakt weiterzulesen?

Weil wir durch Max eine intensive kindliche Sicht auf das Leben erleben: Ein Leben, das geprägt ist von der Härte der aus dem Krieg zurückgekehrten Väter. Ein Leben, in dem Freundschaften und wie man sie findet, essenziell sind. Und es ist ein Leben kurz vor der ersten Liebe, die in keinem guten Coming-of-Age-Buch fehlen darf. Mich hatten auch gleich die Naturbeschreibungen am Haken, die mich in ihrer atmosphärischen Dichte immer wieder an “Gesang der Flusskrebse” erinnert haben.

Definitiv aber kein Buch für Helikopter-Eltern – die Erwachsenen sind hier meist abwesend im negativen Sinne, schweigen, übergehen, ducken sich, während die Kinder sich selbst überlassen sind. Wenig bullerbüesk, aber dennoch sehr kraftvoll.

PS: Ich muss diesen Beitrag als Werbung kennzeichnen, weil ich zu allen vorgestellten Büchern verlinke. Es ist aber ein rein redaktioneller Post, alle Bücher sind aus eigenem Leseliebe gekauft oder geliehen.

Alles Liebe, schmökert schön,

Katia