Ich kann mich einfach nicht daran erinnern, wann ich meinen Ältesten das letzte Mal auf dem Schoß hatte. Wann dieser Riese, dessen Scheitel mittlerweile nur noch ganz kurz unter meinem endet, sich das unwiderruflich letzte Mal vertrauensvoll an mich geschmiegt hat, wie es Kinder eben tun, bevor sie zu groß dafür werden…
Ich weiß auch nicht mehr, wann wir das letzte Mal Hand in Hand gelaufen sind, wann ich ihn das letzte Mal getröstet habe. Wann all diese Dinge, die lange so selbstverständlich und alltäglich waren, dass man ihnen kaum noch Beachtung geschenkt hat, eingestellt wurden. Und zwar für immer.
Gerade habe ich überraschend heftigen Herzschmerz wegen all dieser letzten Male, die einfach unbemerkt vorbeigezogen sind.
Ich meine: Was haben wir all die ersten Male als Meilensteine abgefeiert! Das erste Lächeln, der erste Zahn, die erste Nacht allein im Kinderbett. Erste Male stehen im Spotlight auf dem Podest und sind auf ewig in unser familiäres Gedächtnis gebrannt: “Weißt du noch, wie M. genau an seinem ersten Geburtstag auch seine ersten Schritte gemacht hat…?” Erste Male kommen mit Konfetti und Raketen daher, mit Hurra und Pfeifkonzert.
Ganz anders die letzten Male: Die verkrümeln sich heimlich, still und leise, sind in keinem Fotobuch festgehalten, sind keine Anekdote, die man sich immer und immer wieder erzählt. Letzte Male sind die auf den abgeschlagenen Plätzen, ohne Pokal und Medaille. Und doch sind es genau diese letzten Male, die unser Leben noch mehr verändern als alle ersten Male zusammen…
Erste Male sind ein Auftakt – letzte Male Abschiede, die man erst im Nachhinein realisiert.
Erste Male erfüllen einen mit Stolz, fluten einen mit Liebe, manchmal mit Erleichterung. Erste Male sind nur der Anfang – nach dem ersten Schritt kommen 1000 weitere, nach der ersten Nacht ohne Schnuller folgen unzählige mehr. Letzte Male markieren ein Ende. Bei letzten Malen schwingt ein “nie wieder” mit. Letzte Male erfüllen einen eher mit Wehmut, machen melancholisch, werfen den Nostalgie-Motor an: “Weißt du noch, als M. immer zu uns ins Bett kam…?”
Selbst wenn es im Sepia-getönten Damals nicht immer die reine Wonne war, einen zusätzlichen Mitschläfer zu beherbergen: Allein der Umstand, dass es endgültig vorbei ist, erfüllt einen plötzlich mit Sehnsucht. Und mit dem Wunsch, für einen Tag die Zeit zurückdrehen zu können.
Ich muss gestehen, ich bin ein wenig überrascht von mir selbst.
Weil: Bislang war ich die Mutter, die jeden Meilenstein jedes Kindes auf dem Weg zum Großsein abgefeiert hat. Ich habe nicht dem Stillen hinterhergetrauert, nicht den Babyjahren oder dem Ende der Kita-Zeit. Lange Zeit war jedes Ende der Anfang von etwas Größerem, Besserem. Von mehr Selbständigkeit der Kinder. Von mehr Freiheit für mich.
Vielleicht hat dieses große Verlust-Gefühl gerade etwas mit meinem eigenen Alter zu tun. Mit den Wechseljahrs-Hormonen, die mir klipp und klar machen: Du wirst nie wieder neues Leben erschaffen. Nie wieder kleine Kinder haben. Das ist ein für alle Mal vorbei. Und selbst wenn unsere Familienplanung definitiv und schon seit Jahren abgeschlossen ist: Vielleicht muss ich das gerade noch einmal für mich verarbeiten, dass die nächsten kleinen Kinder, die ich schunkeln werde, meine Enkel sind.
Bestimmt liegt diese wilde Wehmut auch daran, dass selbst mein Jüngster so rasend schnell groß wird.
Bei drei Kindern kommt lange Zeit immer wieder einer nach, der all die Meilensteine noch mal von vorn durchmacht. Die man zwar nicht mehr in der gleichen Intensität bejubelt, auf die man sich aber gern verlässt. Der Erste will nicht mehr kuscheln? Wir haben ja noch zwei Schmusekinder mehr. Nur: Wenn auch der Letzte lauter letzte Male abliefert, wird’s plötzlich ernst. Wenn ein “nie wieder” nicht nur für ein Kind, sondern plötzlich für alle gilt.
Natürlich sind auch letzte Male der Beginn von etwas Neuem.
Von einem Leben, dass ich mir in den zähen Momenten der Kleinkindjahre immer sehnsuchtsvoll ausgemalt habe: Mehr Raum, mehr Zeit, mehr Fokus für mich und uns. Kinder, die sich selbst versorgen, die ihr Leben eigenständiger leben. Ein guter Freund, der zwei schon fast erwachsene Kinder hat, sagte mir dazu kürzlich: “Klar genieße ich diese Freiheiten sehr – aber ich würde häufig viel darum geben, für einen Tag noch mal kleinere Kinder zu haben.”
Nun, die habe ich noch. Und vielleicht soll mir diese Sehnsucht gerade einfach ein Zeichen sein, diese endliche Zeit so gut es geht zu genießen. Und dabei die letzten Male nicht aus dem Blick zu verlieren. Oder zumindest zu realisieren, wenn vermeintlich Alltägliches wie ein Kind auf dem Schoß oder im Bett sich langsam ausschleicht.
Den Duft kleinerer Kinder einsaugen, bevor sie anfangen zu müffeln. Klebrige Kinderhände nicht ans Waschbecken schicken, sondern in meiner festhalten, einen Moment länger als gedacht. Und mich gleichzeitig daran zu erfreuen, wie entspannt das Leben mit größeren Kindern ist – wie ich es kürzlich hier schon mal aufgeschrieben habe.
Es ist die Gleichzeitigkeit der Dinge und der Gefühle, die mich auch im Familienleben immer wieder überrumpelt.
Dass ich froh und traurig zugleich sein kann. Dass ich etwas herbeisehnen und die Abwesenheit trotzdem genießen kann. Familie heißt eben einfach große, konkurrierende Gefühle, zu jeder Zeit.
Wie geht es dir mit den letzten Malen? Wehmütig oder erleichtert…?
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Alles Liebe,
Aber du hast doch auch noch eine kleine… . Meine großen sind 22 und 18 und glaub mir, es ist so toll mit großen! Tolle Gespräche und sie kommen ja doch dauernd zu einem mit diversen Sachen. Meine Freundinnen und ich sind immer noch total busy mit denen.
Hej liebe Julia, ja, bislang ist immer einer nachgerückt. 😉 Aber auch der Jüngste wird gerade so rasend schnell groß und unabhängiger. Gepaart mit diesen seltsamen Wechseljahrshormonen ist das gerade so ein Wehmuts-Booster. Aber ich weiß ja auch schon aus den erfahrungen mit dem teen: Große Kinder sind richtig cool! 🙂 Alles Liebe, danke für dein Dabeisein, Katia
Liebe Katja,
diese letzten Male…bei uns ist es gerade der Kindergarten, der nun unwiederbringlich endet, da nun auch meine zweite Tochter in die Schule kommt. Bei der Verabschiedung standen mir zwar auch ein paar Tränen in den Augen, aber noch überwiegt die Erleichterung, dass wieder ein Schritt geschafft ist. Ich habe das Gefühl, dass diese Traurigkeit der letzten Male, oder das Sehnen danach, etwas wieder zu haben, immer erst später kommt.
Trotzdem würde ich mir wünschen, dass ich die ganze Zeit jetzt, wo die Kinder noch relativ klein sind mit 6 und 9 Jahren, einfach mehr genießen könnte. Das, was sie jetzt erleben, fühlen, lernen mehr genießen könnte. Und mich nicht gerade jetzt nach mehr Zeit für mich sehnen würde. Da spielt bei mir auch die Müdigkeit und Kraftlosigkeit, die du gestern in deinem Post so schön beschrieben hast, momentan eine viel zu große Rolle. Schwierig im Moment alles unter einen Hut zu bringen.
Dabei gibt es gerade in diesem Alter bei meinen Töchtern so viele letzte Male.
Liebe Grüße, Sonja
Hej liebe Sonja, ja, die Sehnsucht kommt mit Verspätung. 😉 Bislang hab ich auch jeden Meilenstein abgefeiert, aber plötzlich ist sie da, die Wehmut. Aber eben auch nur partiell. Zwischendurch wünsche ich mir auch sehr, dass alle schon erwachsen und ausgezogen wären, damit ich meine Ruhe hab. Ist ein Auf und Ab gerade, wie so oft im Familienleben. Alles Liebe, wie schön, dass du dabei bist! Alles Liebe, Katia
Liebe Katja
Meine Kinder sind 15 und 17 und ich bin 51. Ich verstehe die Sehnsucht nach dem Kleinkindalter, für einen Tag sie nochmal so klein zu haben.
Tatsächlich ist mein Sohn der in wenigen Monaten 18 wird immer noch total kuschelig. Er kommt fast jeden Abend zu mir aufs Sofa und wenn es nur zehn Minuten sind. Er redet tatsächlich auch viel mit mir, vielleicht weil ich seit dem er vier Jahre alt ist von seinem Vater getrennt lebe. Zwischenzeitlich hat er das allerdings auch nicht mehr gemacht, da habe ich ihn einfach im vorbeigehen kurz mal in den Arm genommen, ihn der fast einen Kopf größer ist als ich.
Liebe Grüße Sandra
Hej liebe Sandra, wie schön zu hören! Ich habe auch die Hoffnung, dass unsere gute Beziehung bestehen bleibt. Noch darf ich den Teen in den Arm nehmen (zumindest, wenn keiner zuschaut 😉 Alles Liebe, danke für diesen schönen Ein- und Ausblick, Katia
Wie schön geschrieben, da hab ich gleich einen Kloß im Hals und gelobe, meinen Dritten (und doch noch Kleinen) im Alltag doch noch mehr zu genießen!
Hej liebe Caro, ich danke dir für dein liebes Feedback! Hab einen guten Sommer! Alles Liebe, Katia
Liebe Katja,
danke für deinen Artikel. Ich kann die vielfältigen Gefühle gut nachvollziehen.
Oft denke ich, dass es gut ist, dass wir in diesen Momenten nicht wissen, dass es grade ein letztes Mal ist.
Es macht mich immer wieder froh, dass bei den Kindern danach neue Entwicklungen gibt, die ihrerseits schön sind und eine andere Ebene des Kontakts mit Ihnen ermöglichen.
Liebe Grüße
Agnes
Hej liebe Agnes, grundsätzlich bin ich auch meist SEHR froh, wenn die Kinder größer und selbstständiger werden! Nur gerade spüre ich diese kleinen Abschiede viel mehr als sonst. Aber gerade an meinem Teen merke ich auch immer, wie toll große Kinder sind. 🧡Wie schön, dass du hier bist. Alles Liebe, Katia
Liebe Katia, nicht alle vermeintlich letzten Male sind es auch wirklich! Mein Großer ist 15. Natürlich obercool, Mama ist oft peinlich. Aber ab und an, da kommt er aufs Sofa, kuschelt sich an. Oder will unbedingt mit mir einen Film sehen. Das sind dann die Momente, die ich einsauge. Und ich lasse alles stehen und liegen, wenn sie sich andeuten 🙂
Liebe Grüße, Ulrike
Hej liebe Ulrike, darauf hoffe ich natürlich insgeheim auch… ☺️ Man muss tatsächlich nur bereit sein, dann sofort alles andere hintenanzustellen – es lebe der unerwartete Moment! 🧡Alles Liebe, das macht mir Hoffnung, Katia
Ich (*1962) habe 4 Kinder in den 80igern und ein Kind Anfang der 90iger bekommen. Damals gab es noch kein Internet und höchstens mal ein Gespräch mit einer Freundin oder die Zeitschrift ELTERN. Dass bestimmte Entwicklungen bei Kindern vorbei sind, habe ich immer begrüßt und habe mir darüber nie groß Gedanken gemacht… Heute, mit dem Web und den Möglichkeiten der Information, bin ich viel empfindlicher geworden… Wenn ich dann solche Beiträge lese, stelle ich mir die Frage, wo wir Frauen solche Gefühle damals losgeworden sind? Wer hat uns damals gehört und gesehen, wer hat uns aufgefangen in unserem Familienwahnsinn und mit all den ganzen Problemen…? Ich habe vieles mit mir alleine ausgemacht und heute lese ich mit Bewunderung solche Blogs, in denen diesen Gefühlen Raum gegeben wird. Für mich sind sie Erinnerung, Reflexion und Heilung zugleich, denn das Mama-Sein hört nie auf. Danke dafür!
Hej liebe Melibo, was für ein schönes Feedback! 🙂 Alles Liebe, Katia