Ein paar ausnahmsweise friedliche Minuten beim Abendbrot. Und dann fällt das Wort. Es wirbelt Entsetzen hoch, groß und grau wie ein Atompilz, erst erschrockenes Schweigen, dann ein mahnendes: “Also wirklich, GEIL, das sagt man doch wirklich nicht!” Bäh, widerlich. Wer hat es gesagt? Ich…!
Ich liebe Sprache. Ich liebe es mit Wörtern, Sätzen und Texten Bilder zu malen, ich verdiene damit sogar Geld. Aber wenn ich wirklich begeistert von etwas bin, sage ich: “GEIL!” Ich versuche es abzulegen. Finde selbst, dass es nicht mehr wirklich zu meinen Ü-40-Lippen passt. Aber ich kann es mir einfach nicht abgewöhnen. “Schön!” oder “Echt gut!”, wie mir meine beide kleinen Söhne als Alternative vorschlagen, hätte einfach nicht die selbe Aussagekraft. Leider sage ich auch ALTER, wenn ich mich über etwas ärgere.
Dabei macht mich genau das bei meinen Kindern und anderen Menschen wahnsinnig. Genau wie der Begriff “Gönnjamin!” Puh, “da krieg ich Plaque!” (Noch so einer!) Aber dann passiert etwas echt Blödes und das “ALTER” purzelt einfach heraus und dann ist es wieder einmal zu spät. Alter, man. Ich weiß noch, als ich das Wort “NICE” das erste Mal in live gehört habe: Ein Filmteam drehte in unserem Haus einen Spot und all die Mitte zwanzig Jährigen sagten es die ganze Zeit. “Ey, euer Haus ist echt nice.” “Hast du noch eine helle Leinentischdecke, das wär so nice!”
Ich hatte mich ehrlich gesagt vorher ein wenig drüber lustig gemacht.
Hinterher sagte ich es selbst. Sprache steckt an. Ja, vielleicht fühlte ich auch wieder ein paar äußerst angenehme Mitte-20-Vibes. Ich erinnere mich auch noch genau an das Gefühl, von einer Klassenfahrt wieder zu kommen und plötzlich bestimmte Wörter sinnflutartig oft zu benutzen. Und an das Gefühl, sich dadurch im warmen Gemeinschaftsgefühl zu wälzen. Seit mein Sohn in der fünften Klasse und auf einer neuen Schule ist, flattern auch bei plötzlich ganz neue Begriffe ins Haus: “Mein Tag war so random, Mama!” Aha.
Im Spiegel gibt es aktuell einen spannenden Artikel zum Thema Jugendsprache und wie sich daraus neue Sprachtendenzen entwickeln. Wie lustig auch, dass jahrelang eine erwachsene Jury das “Jugendwort des Jahres” bestimmt hat und damit Begriffe wie “Gammelfleischparty” wählte, die vermutlich nie ein Jugendlicher benutzt hat. Höchstens ironisch vielleicht. Heute gibt es keine Jury mehr, es gewinnen nun die Begriffe, die von Usern am häufigsten vorgeschlagen werden.
Übrigens widerlegt der Spiegel-Artikel die Angst vieler Erwachsener, Jugendliche würden die Sprache mit Anglizismen überfluten, weil sie lieber “chillen” statt “entspannen”. Tatsächlich liege der Anteil an englischen Wörtern laut Studien bei gerade 0,05 Prozent. Und auch die Angst, die Sprache würde durch die Jugendlichen “verkiezen”, weil sie zum Beispiel vermehrt Artikel und Präpositionen weglassen, wie bei “Wir gehen Stadtpark!” oder bei “Hast du Handy!” widerlegt die Linguistin Heike Wiese. Diese Variante der Sprache “sei kein gebrochenes Deutsch. Kein Zeichen von Integrationsverweigerung. Kein Sprachstil, der nur aus Beleidigungen besteht und ausschließlich von türkischen, männlichen Jugendlichen gesprochen wird. Und keine Mischung aus Türkisch und Deutsch.” Im Gegenteil.
“Kiezdeutsch ist sogar ausgesprochen deutsch!”
Die Linguistin betont, dass Kiezdeutsch im Grunde wie ein deutscher Dialekt betrachtet werden müsse. “Dabei werden die grammatischen Möglichkeiten auf neue Zusammenhänge angewendet.” Verkürzungen seien zum Beispiel ein natürlicher Prozess der Sprache – auch außerhalb von Kiezdeutsch. Auch viele Ältere Menschen würden zum Beispiel bereits am S-Bahnhof sagen: “Wir fahren bis Hauptbahnhof.” Wiese wirft Kritikern der Kiezsprache vor, sich nicht wirklich an der Sprache, sondern an ihren angeblichen Sprechern zu stören und nennt das “Stellvertreterrassismus.” Die allermeisten Menschen könnten nämlich sehr wohl je nach Gesprächssituation von einem Sprachstil in einen anderen wechseln und wüssten auch, wann etwas angemessen ist und wann nicht.
Mir rutscht das GEIL zum Glück auch meist bloß bei uns am Esstisch oder bei guten Freunden raus. Mit meinen Kindern über Sprache sprechen ist einfach so spannend. Ich erkläre ihnen beispielsweise, dass es für mich nicht schön klingt, wenn der Mund eines Sechsjährigen “GEIL” zu einem Playmobilhelikopter sagt. “Sagst du doch selbst dauernd!”, ruft dann mein Achtjähriger. “Klingt bei dir auch nicht schön!” Wie gesagt hat er leider Recht. Ich fasele noch etwas von: “Manche Dinge sind einfach nichts für Kinder, so wie Cola, versteht ihr…”
“Blödsinn!”, ruft der Achtjährige. “Gib doch einfach zu, dass du auch Fehler machst.”
Mache ich. Ich vergeige auch manchmal den Genitiv und kann trotzdem doch nicht aufhören, ihn bei meinen Kindern zu verbessern. (Altes Lehrer*innen- Problem!). Und dann erklären mir meine beiden großen Söhne noch: “Mama, GEIL ist sowieso ganz schön Neunziger.” Hach, Sprache ist so schön lebendig und man kommt so schön ins Gespräch durch Sprache.
Und welche Wörter rutschen euch so raus? Oder welche schleppen eure größeren Kinder an?
Foto: Louisa Schlepper
Liebe Claudi,
Ich habe das “Alter” meiner Sechsjährigen, das sie neulich aus dem Kindergarten mitgebracht hat, in “Alter Schwede” umgewandelt und rolle jedes Mal mit den Augen, wenn meine Mutter (Ü 70) “geil” sagt…
Im Grunde genommen muss ich aber eher auf mich selbst schauen, denn ich ertappe mich ab und an beim lauten Fluchen im Auto, beim Aufräumen oder auch am Handy. Meine Tochter nennt nun auch schon andere Autofahrer “Trottel”…das hab ich dann wohl zu verantworten.
Sehr schöner Artikel, liebe Grüße Claudia
Haha, bei uns zu Hause bin aich ich die mit den Jugendworten. Krass und Alter benutze ich fast täglich und manchmal kommt mir auch ein Geil über die Lippen. Finde es auch gar nicht schlimm. Solange es natürlich ist und nicht darum geht,mit der Jugend mitzuhalten 😉
Bin eben auch voll 90er.
Was ich aber gar nicht mag,sind beleidigende Schimpfworte. Da bin ich streng, beim Rest bin ich ganz gechillt 🙂
Liebe Claudi,
geht mir genauso. Geil rutscht mir auch oft raus. Meine 7 jährigen benutzen es auch oft, von den Klassenkameraden haben sie Alter, Digga, krass, ernsthaft?, Joo wahrscheinlich??? Und Ehrenmann aufgeschnappt.
Finde es manchmal richtig niedlich, wie sie sich so cool unterhalten und doch noch meine süßen kleinen Buben sind. Ich achte ab und an darauf nicht zu locker, lässig mit Sprache umzugehen. Super, dass deine Söhne schon so ein Gefühl für Sprache haben und ihnen auffällt wie du sie verwendest. Da warte ich bei meinen noch drauf :).
Grüße, Mathilda
Hach, was fuer eine toller Artikel. Als Sprachwissenschaftlerin und selbsternannte Sprachkritikerin kann ich meine Liebe fuer die Sprache genauso bestaetigen. Und ich merke gar nicht, wie ich staendig analysiere, kritisiere und hinterfrage. Was mir bei mir am meisten auffaellt, ist der unterschiedliche Ansatz zu den jeweiligen Sprachen, die ich benutze. Ungarisch ist meine Muttersprache und ich spreche sie mit meinen Kindern. Mir ist aber vollkommen bewusst, dass mein Ungarisch nicht den sozialen Normen in Ungarn oder Rumaenien entspricht. Wir leben nicht dort, ich bin seitdem ich sechs bin im deutschsprachigen Raum aufgewachsen und stecke wahrscheinlich immer noch in dieser “Epoche” fest. Diese “Epoche” lernen meine Kinder, was wahrscheinlich sehr altmodisch und kindlich ist.
Dann mein Deutsch. Total eingerostet 🙂 Ich benutzte die Sprache so selten. Aber ich weiss, mir rutscht “Geil” genauso raus, wie dir. Wir stecken dann doch in der Judendepoche 90er fest 🙂
Und dann die englische Sprache, meine Alltagssprache, wenn ich nicht mit meinen Kindern spreche. Als “erlernte” Sprache (nicht erworben), sind mir die Regeln am meisten bewusst. Und da wacht in mir die Kritikerin auf. Bei der Jugendsprache stehen mir die Haare zu Berge, weil sie ein grammatikalisches Schlachtfeld ist. Auch, wenn ich weiss, dass sich die Sprache staendig weiterentwickelt und neue Ausdruecke entstehen, die spaeter als normal gelten, ich will mich nicht mit Akronymen anvertrauen, wenn es ein Wort dafuer gibt und ich kann mich mit grammatikalischem Versagen nicht anfreunden. Selbst, wenn unsere Generation redet, da ich nicht hier in Australien aufgewachsen bin, hoert sich die 90er Epoche einfach nur bescheuert an.
Und mit dem Gedanken kehre ich dann wieder auf unsere deutschsprachige 90er Epoche zurueck. Die Sprache ist eine soziale, regionale und Generations- Evolution und diese Aenderungen werden einem nur Bewusst, wenn man eine neue Generation trifft, in eine andere Region faehrt oder eben eine neue Sprache lernt. Und was ungewohnt ist, klingt eben ur / sau / total / verdammt komisch und hat in unserem Kopf keinen platz. Aber mit der Zeit, kann das Ungewohnte eben doch Teil der Sprache. Ich frag mich oft, wie Goethe ueber die Sprache der Jugend in seiner Zeit dachte. Er hat vielleicht genauso gedacht, wie wir jetzt, haette wahrscheinlich nie gedacht, dass diese Jugendsprache heute als eine “Hochsprache” gilt. Weisst, was ich meine?