Ein plötzlicher Wintereinbruch in Österreich ist ungefähr fünf Minuten lang schön. In diesen fünf Minuten blickt man verträumt aus dem Fenster, schaut diesen dicken, wattebauschartigen Schneeflocken beim Fallen zu und träumt sich mit einem guten Buch und einer Tasse Tee vor den Kamin. Man genießt die Ruhe, die sich nach und nach wie eine sanfte Decke über alles legt. Fünf entspannte Minuten…
Frau Freudig
Und dann, dann kommt der Blutsturz.

Denn der plötzliche Wintereinbruch fiel ziemlich zielsicher in eben genau die zwei Wochen, in denen die Schwiegereltern in Urlaub geflogen sind. Mit anderen Worten: Freudig war (fast) allein Zuhause. Mein Freund musste die meiste Zeit über arbeiten. An meiner Seite waren daher ‚nur’ zwei fleißige freiwillige Helferinnen, die ich über Instagram für die zwei Wochen anheuern konnte. Wie toll die beiden wirklich waren, muss ich Euch an anderer Stelle ausführlich erzählen. Doch nun erstmal zurück zu Gevatter Frost:

Sicherlich, alle hatten irgendwie mit ein bisschen Schnee gerechnet. Doch die Betonung liegt hier eindeutig auf ‚ein bisschen‘. Man hatte Puderzucker erwartet – und einen Berg Schlagsahne bekommen. Nach den fünf romantischen ach-schau-wie-schön-Minuten ist mir klargeworden: das wird viel. Zu viel. Bereits nach einer halben Stunde war alles weiß, die Sichtweite ging quasi gegen null. Wir saßen inmitten eines dichten Schneegestöbers. Sicherlich, auch das wäre nicht so tragisch gewesen; zieht man sich eben eine Schicht mehr an, was soll’s. Doch darum ging es nicht. Die Kälber standen auf der einen Weide, die Kühe auf einer anderen. Schnee macht den Damen im Grunde nichts aus – doch sobald eine geschlossene Schneedecke auf dem Weidegrund liegt wird es mit der Futtersuche recht beschwerlich. Wenn nicht sogar unmöglich. Jetzt galt es also zu pokern. Was machen wir? Abwarten und hoffen, dass es eher weniger als mehr wird und die Sichtweite wieder besser wird? Oder in einer Hauruck-Aktion alle Tiere sofort nach Hause holen? Der Schneefall wurde immer dichter und wir mussten schließlich noch die Schnellstraße überqueren und die Tiere nach Hause treiben. Wir entschieden uns daher für Letzteres.
Freu Freudig, Schnee, Winter in den Bergen
Nun muss man sagen, dass es an und für sich schon eine enorme Aufgabe ist, sieben aufgedrehte junge Kälber nach Hause zu treiben. Das erfordert viel Konzentration, Geduld und gute Nerven. Doch noch gepaart mit dem vielen Schnee und der Tatsache, dass ich mit meinen Helferinnen (die beide noch nie Kühe von A nach B getrieben hatten) alleine auf dem Hof war – das war wirklich knifflig. Doch es ist uns gelungen. Was soll ich sagen – uns ist alles gelungen. Die Kälber kamen ohne Zwischenfälle sicher zuhause an. Wir haben Zäune gezogen, Futter vorbereitet und die Kühe auch noch nach Hause gebracht. Es hat alles funktioniert. Innerlich lief ich jedoch gefühlt (und vermutlich auch tatsächlich) auf Hochtouren. Denn die Tiere waren nun zwar alle daheim – doch es schneite unablässig weiter. Und mittlerweile war die romantische Idee vom ‚Winterwonderland‘ in den geistigen Akten weit weit weit nach hinten gerückt.
Es war alles andere als lustig.

Auf dieses eine, erste Tiefdruckgebiet folgten drei weitere. Innerhalb einer Woche versanken wir nicht nur sprichwörtlich, sondern auch tatsächlich im Schnee. Zwischendrin schüttete es einen ganzen Tag lang wie aus Eimern. Tante Erika hat gemessen: 87 Liter (!) Regen an einem einzigen Tag.
Schnee in den Bergen, Winter
Der Schnee wurde also zu allem Überfluss auch noch bockschwer. Die Bäume gaben schließlich unter dem Gewicht der Schneemassen nach. Man hörte es immer häufiger, dieses schmerzende Geräusch, wenn Bäume brechen. Auf den Hängen lösten sich Lawinen, die Gott sei Dank weit genug von unserem Hof zum Stehen kamen. Irgendwann konnten wir die Tiere auch nicht mehr tagsüber auf den kleinen Auslauf unter dem Stall treiben – denn die Zäune waren verschwunden. Einfach nicht mehr da. Wir selbst versanken auf der Suche nach ihnen bis zur Hüfte im Schnee. Das alte Stalldach musste irgendwie gesichert werden, da lag einfach zu viel Schnee drauf. Der Strom, ja das gesamte Telefonnetz war phasenweise stundenlang, manchmal auch einen ganzen Tag lang, tot.

Melken konnten wir dann nur mithilfe des Notstromaggregats. Und auch das galt es mit Vorsicht zu nutzen. Nicht zu lange, nicht zu viel – bei jedem Flimmern der Stalllampe hat man kurz den Atem angehalten: hält alles? Oder ist der Strom gleich wieder weg und wir sitzen im Dunklen? Der Milchwagen kam auch nicht mehr durch, in den meisten Orten wurde der Zivilschutz ausgerufen. Ausgangssperre. Lukas, mein Freund, arbeitete quasi nonstop. Er ist Sani beim Roten Kreuz und auch die hatten Not am Mann. Da wurden aus 12 Stunden Arbeiten schnell mal 18. Oder 24. Wenn er Zwischendrin mal kurz Zuhause war, setzte er sich direkt in den großen Traktor und schob die ganzen Schneemassen aus der Einfahrt. Wir waren alle dauermüde.

Dieser Zustand hielt lange an. Irgendwann, nachdem alle Tiefdruckgebiete vorüber waren, konnte man nur noch abwarten. Mehr Schnee würde – fürs Erste – nun Gott sei Dank nicht mehr kommen. Und bald kämen die Schwiegereltern ja zurück. Doch weit gefehlt. Auch die steckten auf ihrer Rückreise irgendwo im Nirgendwo fest. Straßen, Bahnstrecken und ganze Ortschaften waren durch Lawinen und Muren gesperrt. Es gab kein vor und kein zurück.

Winter in den Bergen

Am Ende ist es eigentlich verwunderlich, dass wir so glimpflich davongekommen sind. Wenn man mal von den großen abgebrochenen Ästen der Obstbäume absieht. Alle Tiere und alle Menschen sind unbeschadet davongekommen, das Stalldach hat gehalten. Selbst die Schwiegereltern sind schließlich doch noch zuhause angekommen. Und zwar mit dem Hubschrauber. Kein Scherz. Der Ort, in dem sie festsaßen, war völlig abgeschnitten. Da wurden die Menschen, die dort wegmussten, schließlich tatsächlich mit dem Blackhawk des Bundesheers ausgeflogen. Fast abenteuerlicher als daheim bei uns.
Aber nur fast.
Die Schwiegermama war sich sicher: So bald fahren sie nicht mehr in Urlaub!

Danke Madeleine alias Frau Freudig, für diese spannende Schnee-Geschichte. Hier warten jetzt ehrlich gesagt alle auf Schnee.

Alles Liebe,

 

Madeleine