Im Kreißsaal war es im Nachhinein leicht. Ich kreiste mein brennendes Becken, stöhnte und jaulte: “Ich – will – kein – Kind – kriegen.” Die Hebamme lächelte: “Was drin ist muss raus. Ganz einfach.” Danach fand ich es tatsächlich einfacher. Vielleicht weil mir klar wurde, dass die Entscheidung getroffen war – und zwar nicht von mir. Also irgendwie schon – aber schon vor Monaten…
Working Mama, Mama Erschöpfung
Seit ich Mama von Vieren bin, muss ich viermal so viele Entscheidungen treffen – und das ist verdammt anstregend. Es beginnt morgens: Handywecker nochmal auf stumm oder sofort aufstehen? Aufstehen wäre vernünftiger, stumm stellen kuscheliger. Geht weiter beim Wecken von Kind eins, zwei, drei. Welches wecke ich zuerst, mit Kuss oder mit Kitzeln? Locke ich mit der Aussicht auf eine nachmittägliche Spielverabredung (und nehme stundenlanges Fragen danach hin) – oder sage ich nichts? Ignoriere ich das Murren über Montag, Dienstag, Mittwoch einfach? Oder versuche ich das Schöne an Montagen, Dienstagen, Mittwochen herauszustellen? Auf jeden Fall verfluche ich die Entscheidung, gestern nicht entschieden früher ins Bett gegangen zu sein.

Geht weiter am Frühstückstisch: Mit dem einen Kind über das Muster der Müslischale diskutieren? Mich entscheiden, ob ich über Müsli essen oder Schokopaste essen oder über Überhauptwasessen diskutiere? Meine Entscheidung. Oder doch nicht? Entscheiden, dass sie zu Fuß gehen – trotz Regen. Mittags entscheiden, ob meine gute Laune hält, obwohl sie über das Nachmittagsprogramm maulen. Zuhause sagen, ob schon wieder Knusper-Müsli gegessen werden darf, immer bloß Müsli. “Ach bitte, Mama!” Engel links, Teufel rechts – und ich in der Mitte.

Nachmittags geht die Entscheidungsfrustkurve steil nach oben: Jacke an bei Kind eins, zwei, drei? Wasserschlauch an oder nicht? Mit dem Fahrrad allein zum Spielplatz fahren? Noch mehr Kekse? Nochmal Opas Apfelpflücker leihen dürfen (obwohl er beim letzten Mal beim Pflücken kaputt gegangen ist) – und meine Gießkanne oder Papas Monopoly? Beim Streit – eingreifen oder nicht? Mir einen Kaffee machen oder erst die Wäsche? Um 17 Uhr noch einen Kaffee trinken? Beim Abendessen machen ein Hörspiel erlauben? Schwere Entscheidung, ob ich lieber meine Kinder kreischen hören mag – oder Karla Kolumna.

Abends bereits Entscheidungskopfweh. Karla-Kopfweh. Kein-Kaffee-Kopfweh. Geht aber weiter: Ketchup – ja oder nein? Kinder bei Kapla an Tischdienst erinnern – oder nicht? Skateboard Workshop nächste Woche erlauben – oder sparen? Kippeln verbieten – oder einfach selbst mal essen? Ausrasten, weil die dritte Apfelschorle am Abend umkippt? (Psst, das haben meine Nerven ganz allein entschieden).

Was ich noch ungern entscheide:
– Rufe ich die Kinder samstags zum späten Frühstück, weil wir eigentlich ein gemeinsames Frühstück verabredet haben, sie aber jetzt so schön spielen und es wunderbar ruhig ist…?
– Darf ein Zweitklässler wirklich allein mit dem Fahrrad zur Schule fahren, bloß weil andere es dürfen?
– Sage ich was, wenn ich ein “doofe Mama” höre – oder ignoriere ich es einfach?
– Werfe ich den Kindern ihre gewaschene Wäsche aufs Bett, damit sie sie selbst zusammenlegen (und dauermotzen?) – oder mache ich es lieber schnell selbst (und motze in Gedanken)
– Müssen die Kinder beim Essen mit Freunden auf die Kinder warten – auch wenn eins im Schneckentempo isst?
– Verbiete ich meinem Sohn, sich mit einem Kind zu verabreden, das ich nicht mag, oder nicht?
– Mit wem fahre ich zuerst Karussell, wenn alle mit mir fahren wollen?
– Bin ich stundenlang böse mit mir, weil ich vielleicht etwas falsch entschieden habe. Oder entscheide ich, mir zu verzeihen und die Sache abzuhaken?

Manchmal bekomme ich es hin und erinnere mich daran, dass alles nicht so ernst zu nehmen. Einfach zack zack aus dem Bauch raus entscheiden. Ich bin schließlich keine Chirurgin, von meiner Entscheidung hängt kein Schnitt mit dem Skalpell ab. An die allermeisten Entscheidungen, werde ich mich bereits in ein paar Monaten nicht mehr erinnern. Lieber an Benjamin Franklin denken. Der hat gesagt: Die schlimmste Entscheidung ist Unentschlossenheit.

Was ich mir vornehme: Mich abends erinnern, milde mit mir selbst zu sein. Laut eines Artikels in der Zeit, spielt die Tageszeit nämlich eine Rolle, ob man leicht oder schwer Entscheidungen trifft. Israelische Forscher haben die Urteile eines Bewährungsausschusses in einem Gefängnis über den Tageslauf verfolgt und festgestellt, dass diese mit der Zeit immer härter wurden. Offenbar litten die Richter nachmittags an Entscheidungsübermüdung.

Nicht nur die.

PS. Keine leichte Entscheidung übrigens, meinem Sohn zu erlauben, so hoch in die Apfelbäume zu klettern.

Alles Liebe,

Claudi