Ehrlich: Das Schönste an den Sommerferien sind für mich immer noch Strandtage. Faul im Sand fläzen, Kindergekreisch und das Rauschen der Wellen im Ohr – und ein Buch vor der Nase. Ich erinnere mich an einen Kindheits-Sommerurlaub auf Korsika, in dem ich es auf einen Highscore von 25 Büchern in vier Wochen geschafft habe. Davon bin ich mittlerweile meilenweit entfernt (vor allem von faul…), aber die meisten Seiten verschlinge ich immer noch in den Ferien. Übrigens nach wie vor als reale Romane, nicht mit einem Kindle vor Augen – da bin ich gern altmodisch. Hier meine aktuellen Favoriten, aus denen immer noch ein wenig Sand rieselt, wenn ich sie aufblättere…

By the way: Die ich natürlich NICHT stundenlang ungestört auf meinem Strandhandtuch gelesen habe, sondern in den knappen Zeit-Slots zwischen Eincremen und Eiscreme, zwischen Bade-Beaufsichtigung und Beach-Trampolin, auf Spielplatzbänken und im schwiegerelterlichen Strandkorb. Diese gestohlenen Momente sind doch irgendwie das Beste an großen Ferien, oder?

Dieser eine Sommer, nach dem nichts mehr ist wie zuvor: “Der große Sommer” von Ewald Avarez.

Obwohl ich selbst mittlerweile ziemlich weit von meiner eigenen Pubertät entfernt bin: Ich liebe Coming-of-Age-Geschichten. Vielleicht, weil es um zauberhafte Anfänge geht. Um Aufbruch, um Neugier und ganz große Gefühle. Letztes Jahr habe ich hier “Hard Land” von Benedict Wells empfohlen – glücklich, wer es noch nicht gelesen und dieses rundum wunderbare Buch noch vor sich hat. In einer ähnlichen Liga spielt auch “Der große Sommer”:

Es sind die Anfang 80er-Jahre in einer süddeutschen Kleinstadt. Statt mit dem Rest seiner Familie in die Ferien zu fahren, muss der 15-jährige Frieder den Sommer beim strengen Großvater verbringen, um für Nachprüfungen zu lernen. In diese eher trostlose Planung kommt ihm das Leben dazwischen – so unnachgiebig, überwältigend und beglückend, wie es nur als Teen möglich ist: Mit Freundschaften und Freibad-Nachmittagen, mit Enttäuschung und Erkenntnissen, mit Liebe, Lust und Laster. Und auch, wenn ich selbst froh bin, diese Achterbahn der Emotionen schon lange hinter mir gelassen zu haben: In Buchform kann ich nicht genug davon bekommen…

Wem Ewald Arenz genauso gut gefällt wie mir: Sein Vorgänger-Roman “Alte Sorten” über eine Frauen-Freundschaft zweier Außenseiterinnen hat mich in all seiner Melancholie absolut glücklich gemacht – ein richtiges Wohlweh-Buch.

Deutsch-deutsche Geschichte in Bernhard Schlinks “Die Enkelin”.

Ich mag diese Romane, die historischen Begebenheiten einen fiktionalen Rahmen geben und beides kunstvoll miteinander verschlingen. Einer, der das besonders beherrscht, ist Bernhard Schlink, den ich schon seit “Der Vorleser” immer wieder feiere – für seine mitreißenden Geschichten, für seine präzise Sprache und für meine Geschichtslücken, die er mit seinen Plots spannungsreich füllt.

So wie in “Die Enkelin”, wo im Mai 1964 beim Deutschlandtreffen der Jugend in Ost-Berlin der westdeutsche Student Kaspar und die FDJlerin Birgit aufeinandertreffen – und sich verlieben. Die deutsch-deutsche Liebesgeschichte ist mehr als eine fürs Herz – es ist auch eine darüber, wie Parallelgesellschaften im Inneren eines in Teilen immer noch zerrissenen Deutschlands entstehen können. Es ist ein Buch über große Lebenslügen und kleine Neuanfänge, über das Vergessen, das Vergeben und das Leben drumherum. Ein schmaler Roman mit großem Nachhall.

Sätze zum an-die-Wand-schreiben: Sigrid Nunez Trauer-Roman “Der Freund”.

Es gibt so Bücher, die lese ich am liebsten mit einem Notizbuch anbei. Weil manche Sätze so klug, so überraschend, so weise sind, dass ich sie für mich und mein Leben festhalten muss. Bei “Der Freund” habe ich es irgendwann aufgegeben – andernfalls hätte ich den kompletten Roman transkribiert. Stattdessen habe ich beschlossen, den Roman über eine Frau, die um einen Freund trauert, einfach mehrfach zu lesen.

“Der Freund” ist der, der sich aus dem Leben gestohlen hat. Und “Der Freund” ist auch dessen Hund, den die Ich-Erzählerin nach dem Tod des Menschen-Freundes bei sich aufnimmt. Wie sie sich gegenseitig über den Verlust hinweghelfen, wie sie lernen, ohne denjenigen zu leben, der immer da war, hat mich sehr berührt. Vielleicht, weil es einen daran erinnert, dass Liebe und Freundschaft nie ohne Schmerz und Abschied auskommen, auch mitten im Leben nicht. Gleichzeitig ist es ein Buch, das um das Schreiben selbst kreist, um das, was Literatur vermag – und was nicht. Hat mich lange beschäftigt.

Gnadenlose Sehnsucht: “Three Women” von Lisa Taddeo.

Ich bin nicht immer ein Freund von expliziten Sex-Szenen in Büchern. Da ist viel Fingerspitzengefühl gefragt, damit die Chose nicht peinlich wird. “Drei Frauen” dreht sich aus drei verschiedenen Perspektiven um weibliches Begehren, um Lust und Leidenschaft, um Liebe, Macht und Vertrauen. Und obwohl es stellenweise so explizit ist, wie ich lange nicht mehr über Sex in all seinen Spielarten gelesen habe, musste ich es nie unangenehm berührt aus der Hand legen.

Im Gegenteil: Ich fand die drei unabhängigen Geschichten von Lina, die sich in eine Affäre stürzt, weil ihr Mann sie nicht mehr küsst, von Maggie, die ihren Lehrer liebt und von Sloane, die ihrem Mann zum Gefallen mit anderen Männern schläft, so spannend, dass ich atemlos Kapitel um Kapitel verschlungen habe. Sogar dann, wenn ich die Beziehungen der drei Frauen zu ihren Männern stellenweise bizarr fand – aber der Roman entwickelt eine große Faszination und Sogkraft.

Freunde fürs Leben: Richard Russos “Jenseits der Erwartungen”.

So sehr ich Coming-of-Age-Romane liebe, so sehr mag ich auch diese, die eher am Ende des Lebens angesiedelt sind. Lincoln, Teddy und Mickey treffen sich Jahrzehnte nach ihrer gemeinsamen College-Zeit für ein Wochenende auf Martha’s Vineyard wieder und lassen die Vergangenheit Revue passieren: Die Lotterie, die sie nach Vietnam beorderte – und vor allem die Erinnerung an ihre Freundin Jacy, die alle drei liebten und die damals spurlos verschwand.

Ich bin ein großer Fan der amerikanischen Erzähler, Jonathan Franzen, den ich hier kürzlich schon empfohlen habe, John Irving, T.C. Boyle – und seit einigen Jahren eben von Richard Russo, der Romane schreibt, die ich mir allesamt verfilmt wünsche. Weil sie immer vor wundervoller Kulisse spielen, weil ich die leicht melancholische Grundstimmung liebe, die sich durch seine Geschichten zieht. Und die immer von den großen Themen im Kleinen erzählen: Von Liebe und Tod, von Freundschaft und Familie, von Wendepunkten, alltäglichen Wundern und eben dem ganzen Wahnsinn, der sich Leben nennt. Wer mehr mag: “Diese alte Sehnsucht” und “Diese gottverdammten Träume” fand ich auch großartig.

Welche Bücher haben euch durch diesen Sommer begleitet?

PS: Ich muss dieses Post wegen der Verlinkungen als Werbung kennzeichnen, es ist aber ein ausschließlich redaktioneller Text, alle Empfehlungen sind meine persönlichen (und abermals mehrere Bücher aus der Bücherhalle oder von Freunden geliehen).

Alles Liebe,

Katia