Gestern war einer hier ziemlich durcheinander. Eigentlich nicht bloß gestern. Es ist viel für ihn, ich verstehe das: Schulanfang und Wackelzähne und drei Brüder und eine schwer beschäftigte Mama und Regen und grüne Bohnen in der Schulmensa. Trotzdem würde ich manchmal am liebsten mit motzen, wenn er motzt. Oder ihm helfen. Ich mag immer helfen. Vielleicht bin ich deshalb mal Lehrerin geworden. Jemand hat ein Problem – mit der Rechtschreibung, mit einem offenen Schnürband, mit Kindern auf dem Schulhof – und ich mag es lösen. Seine Probleme mag ich auch gern lösen…
Ich versuche also ruhig zu bleiben, egal was ist. Wenn er motzt, wenn er jault, wenn er seinen kleinen Bruder schubst. Wenn er in der Küche Fußball spielt. Und ich versuche, ihm zu helfen, indem ich ihm gute Tipps gebe, zu all den Dingen, die ihn gerade beschäftigen. Ich hocke mich regelmäßig zu ihm, ich drücke ihn ganz fest und haue ein paar Ratschläge raus. “Dann schau halt nochmal in der Fundkiste..!”, sage ich, wenn er sagt, seine neue Uhr sei weg. Und: “Dann entschuldige du dich doch einfach nochmal…”, wenn er mir von einem Streit erzählt. Nebenbei versuche ich, weitere Probleme zu lösen. Das der vollen Geschirrspülmaschine zum Beispiel.
Es wird nicht besser. Sein Gesicht wirkt angespannt, die Stirn in Falten, seine Füße treten immer wieder gegen den schwarzen Hochstuhl aus Metall. Mir fällt gerade wieder ein neuer guter Tipp ein und ich lege los mit: “Da würde ich an deiner Stelle….”, da fällt mir noch etwas anderes ein. Etwas, das ich vor einer Weile irgendwo auf einem dieser dutzenden amerikanischen Mama-Instaacoounts mit hippen Witzen und schlauen Sprüchen gelesen habe. Ich lege endlich das Geschirrhandtuch weg und schließe die Spülmaschine. Ich setze mich zu ihm. Ich kraule ihm den Nacken, dort, wo er immer kichert, weil es kitzelt, aber trotzdem sagt: “Weiter machen…”
“Sag mal, möchtest du überhaupt Tipps von mir – oder möchtest du einfach nur, dass ich dir zuhöre…?”, frage ich. Er schaut mich an, die weißblonden Augenbrauen bis an die Stirnfalten gezogen. “Nur zuhören…!”, sagt er dann und gräbt seinen Kopf in meine Seite. Und ich höre zu. Höre all den Mist über eine vergessene Hausaufgabe und ein Forderheft, was er noch nicht hat, aber zu gern hätte und diesen einen doofen Zahn und seinen Bruder, der das Legohaus kaputt gemacht hat. Als er fertig ist, drücke ich ihn noch mal ganz fest. Und gebe ihm einen Kuss auf sein Blondhaar.
“Ich gehe draußen Fußball spielen, Mami”, ruft er und rennt raus. Er lächelt mir noch einmal zu, als er seine Schuhe anzieht.
Schönes Wochenende!
Da kommen mir die Tränen!
Wie oft plappert man auf das Kind ein, weil man es eben gut meint und dabei könnte es manchmal noch viel einfacher und sinnvoller sein ❤️
Ich muss mich auch häufig zurücknehmen und daran denken, dass manchmal einfach nur ein Zuhörer gebraucht wird. Ist bei uns Erwachsenen ja ganz ähnlich. Eigentlich ganz einfach, aber als Mama möchte man eben nicht, dass das eigene Kind unglücklich ist…
Oh Mann, den Tipp hab ich gebraucht. Danke.
Dankeschön du Herz, genau das brauchten wir genau jetzt!!!
Hier gerade genau so. ??
Nur die Bohnen kann man durch Reibekuchen ersetzten!
Manchmal gehen deine Worte direkt ins Herz, kurz durch die Tränenkanäle und stecken dann in meinem Kopf fest!
Ach Claudi. Ich sitze hier und heule. Weil ich auch viel zu oft mit Ratschlägen ankomme oder sogar mit Maßregelungen wie „hättest du nur mal…“ statt einfach auf mein Mutterherz zu hören. Und mitfühlend zu sein (bin ich oft, glaube ich, aber noch nicht oft genug), großzügig, wertfrei (bin ich auch oft, aber sicher nicht oft genug!) und einfach da. Mit offenem Ohr und noch offenerem Herzen.
Danke Danke mal wieder für den Anstoß!
Oh man. Hier auch. Mein großer erfindet seit neuestem kleine Notlügen oder Halbwahrheiten, die nicht schlimm sind, mich aber ärgern. Aber er erklärt auch, dass er einfach keine Lust auf Streit und Diskussionen hat und ich gebe zu, dass ich viel auf ihm einrede (weil die Hausschuhe in der Schule schon wieder verschwunden sind, weil die Kappe vom Füller nicht auffindbar ist, weil er seine zweite Jacke nun auch an der Garderobe hängen lassen hat…). mein Mann und ich waren gerade zusammen frühstücken und haben darüber gelacht aber auch erkannt, dass ich öfter mal die Klappe halten muss.
Danke für den großen Tipp.
Ich hab auch Pippi in den Augen, weil es so wahr ist… Dank dir!
Wie schön noch mehr Heulsusen hier. Und ich bin gerade im Büro. Schnell wegblinzeln…
Danke für die Anregung das probiere ich nächstes Mal auch.
So ein toller Text Claudi! Einfach und gut der Tipp! Ich bin begeistert!!! Wenn ich deinen Blog lese, freue ich mich aufs eigene Kinder kriegen! 🙂
Euch auch ein schönes Wochenende.
Luisa
Vielen Dank auch von mir. Es ist wohl bei vielen grade dieses wilde Gefühlschaos zuhause bei den frisch eingeschulten, kleinen grossen Kindergartenkindern oder Schulkinder mit Lehrerwechsel…. ich versuche mich auch in Ruhe und Verständnis, gelingt mir aber nicht immer so wie ich es von mir erwarte. Da ist dein Text grad einfach nur SCHÖN. Vielen Dank für den kleinen wundervollen Lese-Moment und die guten Gedanken!
Schönes Wochenende euch!
Hier genauso. Ein Schulanfänger, der sich an all das Neue gewöhnen muss, ein kleiner Bruder, der nun im Kindergarten der Große ist, ein anderer Kleiner, der gerade in den Kindergarten kommt, ein Großer, der in der neuen Klasse ankommen muss, ein ganz Großer, der nicht viel sagt und vor sich hin pubertiert und ein zahnendes Baby. Dazu ein Papa auf Dienstreise.
Danke fürs Erinnern, was wirklich wichtig ist!
LG von Maria ( mit 6 Jungs: 14,10,7,5,3 und 0,5 Jahre alt:)
Ach du bist einfach die Beste!! Mal wieder auf den Punkt.
Danke
Ich mag deine Texte!
Ich bin jemand, der gerne immer direkt mit einem Lösungsblumenstrauss um die Ecke kommt. Mein Kleiner ist sehr sensibel und schnell frustriert wenn irgendwas schief läuft, so dass ich bei ihm erst recht immer das Bedürfnis hatte direkt zu helfen und meinte es ja auch nur gut. Durch eine Kindertherapeutin habe ich gelernt, dass dadurch die Kinder verlernen sich selbst zu helfen und ich sollte ihn in “hilflosen” Situationen doch mal fragen was er jetzt tun könnte. Für mich eine Umstellung. Aber dadurch lernt mein Sohn, dass er Kontrolle über die Situation hat und er lernt sich selbst zu helfen und das gibt ihm auch ein Gefühl von Sicherheit.
So so schön geschrieben! Bei dir möchte man nochmal Kind sein!!!
Der Tipp kommt ganz oben auf meine Mama-to-do-Liste!!
Zuhören – der wichtigste Tipp überhaupt und wieder so wundervoll geschrieben!
Ich hätte einen Buchtipp dazu: “How to talk to kids so they will listen, how to listen to kids so they will talk.” Das finde ich einfach grossartig, auch wenn ich im Alltag nicht immer alles umsetzen kann…
Liebe Claudi,
als meine Kinder jünger waren ( so bis ca. 10), haben wir jeden Abend vor dem Schlafen eine Erzählzeit gehabt (jedes Kind extra). Es wurde darüber erzählt, was war heute gut, was schlecht….einfach erzählt…manchmal wurde darüber geredet, wie man das beim nächsten Mal anders lösen könnte ( das war aber seltener).
Aber meine Mädels konnten immer sicher sein, wenn der Tag anstrengend gefüllt war….es wenig Zeit für Zwischendurch reden gab, Abends war immer Zuhörzeit für jede Exklusiv und nur bei Wunsch für Ratschläge….
Ganz liebe Grüße
Coco
Wie wahr und fich manchmal so schwierig! ❤
ah, ein echter Claudi-Text, einfach nur schoen!
Ich habe hier ja schon lange keinen Kommentar mehr hinterlassen, aber jetzt muss ich doch mal wieder. Danke für diese Worte und ja , das ist genau das, was unser jüngster oft zu wenig bekommt…das einfach zu hören, wenn er sich auskotzt. Abseits von meinem Empfinden, dass er eine Mimose ist und sich sowieso immer beschwert…
Hallo Claudi!
Schöner Artikel – sind auch gerade mitten drinnen im “Wackelzahn-auf-ab-auf-ab” … danke für den lieben Anstoß!
Noch was: Ihr habt so tolle Regalwandsysteme (rechts im Bild) – wo bekommt man sowas bzw. hat das System einen Namen? würde mich sehr freuen, wenn wir für unser “Chaos” eine schöne Umgebung schaffen könnten … leider hab ich so was schönes noch nicht selbst gefunden.
DANKE und einen wunderschönen Spätsommertag
Regina
Toller Tipp und der gefällt mir richtig gut, weil ich nämlich gar nicht so eine Ratschlag Mama bin! Dann brauche ich kein schlechtes Gewissen mehr haben:-)
Hallo,
würdest Du mir verraten, was das für eine Jeans ist, die Du trägst?
Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen!
VG
Das ist eine Closed, den Namen müsste ich nachschauen, wenn ich wieder zuhause bin. Sie ist aber leider auch schon sehr alt.
Liebe Grüße aus dem Urlaub!
Claudi