Du bist mein wildes, wunderbares Kind. Willensstark. Mit maximaler Wirkung. Wie sowieso alles an dir groß ist: Deine Sprünge, mit denen du das Leben eroberst. Dein Herz, dein Lachen, deine Ansprüche an dich und andere. Vor allem aber deine Gefühle. Unter “alles auf Anschlag” machst du es selten. Drehst an deinen emotionalen Reglern, bis der Verstärker jault: Voll aufgedrehte Lebenslust, laut wummernde Wut, ohrenbetäubender Frust, überbordene Trauer. Manchmal kann ich mit deinen Gefühlen umgehen. Und manchmal kann ich es nicht…
An solchen Tagen denke ich: Hollywood wär genau dein Ding: Maximal viel Drama in minmal viel Handlung. Dann nervt es mich, wenn du zeterst und schreist. Wenn Nichtigkeiten zu Totalausfällen führen. “Musst du so ein Drama machen…?!”, frage ich wütend. Der Satz hängt zwischen uns – und ich wünschte, ich hätte ihn nicht gesagt. Obwohl ich ihn genau so meine. Weil du an solchen Tagen wie ein kleiner Vulkan bist – jederzeit bereit für eine Eruption mit fatalen Folgen. Weil es mich wütend macht, wenn deine Laune unser Familien-Kompass ist. Und weil ich meistens nicht mehr weiterweiß.
Ich wär gern manchmal einfühlsamer.
Hätte gern mehr Verständnis, auch wenn ich dich gerade nicht verstehe. Um dir gerecht zu werden, wenn dich wieder ein Gefühlsausbruch durchrüttelt. Aber manchmal werden deine Launen mir nicht gerecht. Schließlich bin ich nicht nur deine Mutter, sondern auch noch die von zwei anderen wunderbar eigensinnigen Kindern. Habe einen Job, keine Engelsgeduld und viel mehr um die Ohren als der Tag Stunden hat. Und dann fehlt mir mitunter die Empathie und Energie, dein Drama in zig Akten geduldig zu begleiten. Vor allem, wenn es um falsche Socken geht.
Natürlich weiß ich, dass du all das nicht tust, um meine Nerven zu strapazieren. Nicht, um mich zu ärgern, zu provozieren, zu verletzen. Sondern einzig und allein, weil du gerade überwältigt wirst von Empfindungen, die neu, unheimlich, zu groß für dich sind. Und doch gibt es diese Tage, an denen die Summe deiner Ausbrüche meine Nerven strapazieren, mich ärgern und provozieren. Auch wenn ich es besser wissen sollte. Was du aber wissen sollst:
Selbst wenn meine Geduld manchmal am Ende ist – meine Liebe für dich ist es nie.
Und auch, wenn mir das ad-hoc-Verständnis für deine Launen mitunter abgeht, eines verstehe ich im Kern immer: Dass du wie ein Schwamm Stimmungen aufsaugst, die nicht deine – und dir dann zuviel sind. Dass hinter deiner Pippi-Attitüde ein Kind steckt, dass sensibler ist als seine “Hallo Welt, hier komme ich!”-Haltung vermuten lässt.
Will ich eine Idee davon haben, wie es in dir ausschaut, wenn wieder ein Gefühlssturm tobt, male ich mir die Kommandozentrale aus “Alles steht Kopf” aus. Wie Wut, Freude, Trauer und Angst nebeneinander am Schaltpult sitzen und sich gegenseitig in Rage bringen – und das Kind, das sie steuern, gleich mit. Stelle mir dich vor, wie du nicht weißt, was dir geschieht, wenn all die großen Gefühle miteinander im Clinch liegen. Und dann kann ich wieder besser damit umgehen.
Jedes deiner Gefühle hat seine Berechtigung – und seinen Ursprung.
Das zu sehen, auch wenn ich gestresst, abgelenkt, abgenervt bin, ist immer wieder meine große Herausforderung. Kein rationales Handeln erwarten oder einfordern, denn du bist ein Kind und ich bin deine Mutter. Durchatmen, einen Schritt zurücktreten, nicht selbst auch noch im Affekt ein Drama draufsetzen. .
Dein Papa ist häufig viel besser darin als ich. Ihn kann ein familiärer Wirbelsturm umtosen – er kniet sich vor dich und dein Gefühlschaos und findet oft Zugang. Ihn stört keine tickende Uhr, kein “aber eigentlich müssten wir längst…”. Er hat die Geduld und das dicke Fell, das mir in solchen Momenten häufig fehlt.
Ich bin gut darin, später nachzufragen.
Zu bohren, wenn nichts kommt. Zu trösten, die Welt wieder schöner und dir neuen Mut zu machen, blöde Gefühle aufzulösen. Und ich werde immer besser darin, dich mit deinen Dramen zu lassen. Denn sie gehören zu dir wie dein Lächeln, wie dein Witz und deine Energie. Und wenn du es willst, schenke ich dir in solchen Momenten eine große Umarmung. Das ist nämlich immer ein guter Anfang, wenn die Welt aus den Fugen ist.
Du bist mein wunderbar wildes Kind mit großen Gefühlen. Du machst es mir nicht immer leicht. Ich bin deine absolut unperfekte Mutter mit großer Ungeduld. Ich mache es dir nicht immer leicht. Aber das ist kein Drama. Denn du bist gut so wie du bist. Und ich bin es auch.
Habt ihr auch solche Emotionsbomber?
Foto: Nathan Dumlao/Unsplash
Alles Liebe,
Oh, danke für den klugen Text! Mein großer Sohn (6) ist genauso – ein bisschen was von hochsensibel und gefühlsstark – und er treibt mich regelmäßig in den Wahnsinn. Denn ich war genauso- durfte es aber eher nicht sein. Wie du schreibst gelingt mir auch die Begleitung der Gefühle regelmäßig nicht so gut – aber ich kann die Situation hinterher mit ihm besprechen, mich ggf. entschuldigen. Und das ist schon mehr als meine Eltern konnten und gemacht haben – und damit versuche ich mich aufzubauen, wenn mir mal wieder ein „mach nicht so ein Theater“ rausgerutscht ist, das ich am liebsten zurückholen würde…
Hej liebe Mareike, danke für dein nettes Feedback 🙂 Ja, dieses in-den-Wahnsinn-treiben ist echt ne harte Nuss – gerade an Tagen, wenn man selbst nicht so auf der Höhe ist. Aber es ist doch unglaublich viel Wert, wenn du dich hinterher entschuldigen kannst! Viel Courage weiterhin! Alles Liebe!
Liebe Katia,
das ist ein ganz wunderbarer Text mit vielen starken Worten und Zeilen. Ein spannendes Thema!!!
Ich, Mama von zwei gefühlsstarken Mädchen, finde, dass die allergrößte Herausforderung darin besteht, diese Gefühlswellen mit „Leichtigkeit“ zu begleiten. Für mich ist es eigentlich das A und O. Bin ich zu müde, gelingt es mir nur schwer. Bin ich gestresst, noch schwerer. Das alles nicht zu sein (müde, gestresst, abgelenkt, nicht im hier und jetzt …), keine einfache Aufgabe. Auch wenn ich theoretisch weiß, wie es geht oder klappen könnte, ist es an manchen Tagen, vor allem in der Alltagsmühle, schwierig diszipliniert zu sein und auch zu bleiben (bspw durchatmen, Pause machen, auf mich achten …).
Als ich zum allerersten Mal Mama wurde und mein erstes gefühlsstarkes Kind mit einem Blutschwämmchen geboren wurde, war ich von jetzt auf gleich neben all den vielen anderen Dingen, die auf frischgebackene Eltern und das Baby so einprasseln, zum allerersten Mal mit dem Thema „Hochsensibilität“ konfrontiert. Neben all den vielen Ärzten, die mit den unterschiedlichsten Methoden das Blutschwämmchen wegmachen lassen wollten, landete ich eines Tages bei einer ganz tollen Ärztin. Die neben einem ganz wunderbaren Gespräch nur eins machte: uns, vor allem das Baby beobachten. Nach einer Weile sagte sie sehr einfühlsam: „Über das Blutschwämmchen an sich, brauchen Sie sich medizinisch gesehen absolut keine Gedanken machen. Es hat nur einen einzigen Zweck da zu sein. Es ist das sichtbar machen dafür, dass ihre Tochter – so wie der Name es schon sagt – ein lebender Schwamm ist. ALLES aufsaugt. Viel zu viel und in einer erhöhten Intensität als bei anderen vielleicht. Was sie also machen können, ist da sein. Ganz viel Geborgenheit geben. Rituale schaffen, feste Abläufe. Reize mindern. Ein verständliches Umfeld schaffen. Liebe schenken, so viel wie es nur geht!“
Das war also der Beginn UNSERER „Reise“! Anfangs war es alles andere als einfach. Ich war gefühlt die Einzige. Später half es mir, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Offen, in meinem Familien- und Freundeskreis damit umzugeben, auch sie sensibel zu machen für gefühlsstarke Situationen.
Das Blutschwämmchen war nach einiger Zeit weg. Ganz von allein. Die Gefühle, die sind geblieben. Sie sind stark, an manchen Tagen sehr stark sogar. Was uns hilft, sind tatsächlich kleine Miniauszeiten. Eine gute Balance aus Allem zu halten. Das klappt mal so, mal so. Was natürlich auch sehr hilft, das ist bei den Kleineren ja leider nicht so möglich, sind die gemeinsamen Gespräche darüber. Mit 10 und 7 Jahren ist das heute sehr viel einfacher als „damals“.
Allen Mamas, Papas und Begleitern von gefühlsstarken Kindern wünsche ich ganz viel Kraft und Energie für besonders „wilde“ Tage. Ein tolles Umfeld und ausreichend kleine Auszeiten, um mit Leichtigkeit begleiten zu können.
Herzensgrüße
Liebe Madlen, einfach nur “Danke” für dein tolles Feedback und dass du deine Geschichte hier teilst. 🙂 Tatsächlich habe ich mich noch nie mit dem Thema Hochsensibilität beschäftigt, höre heute rund um diesen Text aber von vielen Leserinnen Anregungen zu dem Thema. Total spannend! Ich werde mich da mal reinlesen, habe auch schon Literaturtipps dazu bekommen.
Leichtigkeit ist auch das, was ich mir täglich wünsche/verordne- und doch klappt es einfach nicht immer. Abre die Anregungen deiner Ärztin werde ich mir zu Herzen nehmen – das sind wichtige Anker! Ich wünsche euch weiterhin alles Liebe!
Genau so:
“Selbst wenn meine Geduld manchmal am Ende ist – meine Liebe für dich ist es nie.”
Es gibt Momente der Verzweiflung und im anderen Moment bin ich einfach so unglaublich dankbar für dieses Kind und seine Stärke, Gefühle so gut zum Ausdruck zu bringen.
Ich hatte Tränen in den Augen ob deiner Worte, die so absolut treffend sind.
Danke!
Hej Marie, vielen lieben Dank! 🙂 So lange wir große Gefühle für diese kleinen, wilden, wunderbaren Wesen haben, sind wir die besten Eltern, die sie haben können. Alles Liebe!
Oh, ja mein 5 jähriger kennt auch nur Vollgas oder stehen bleiben. Und macht mich damit wahnsinnig. Mit seinen Wutanfällen, mit “Ich-will-aber” Gebrüll und seinen “Ich-Ag” Anfällen, wenn er nicht bereit ist, eine Sache zu unterbrechen und z.B. seine Schuhe anzuziehen.
Und leider sehe ich gerade diese Dinge so viel besser, als die schönen und tollen Momente, wenn wir basteln oder spielen und er hochkonzentriert und voll dabei ist.
Ich wäre gerne geduldiger, auch mit mir selbst….
Ach, ja, die Geduld… 😉Ich hätte auch gern viel mehr davon, aber ich werde nie die tiefenentspannte Mutter werden, die ich lieber wäre. Aber ich kann hinschauen und die schönen Dingen sehen. Das fällt mir häufig total schwer, vor allem wenn ich gerade in so einer Negativ-Spirale gefangen bin. Aber ich übe gerade hart, weil ich nicht abends dauernd mit dem Gefühl ins Bett gehen mag, dass außer Drama nicht viel gewesen ist. Denn das stimmt nie. Es gibt so viele von diesen anderen kleinen, schönen Momenten. Ich halte die Daumen , alles Liebe!
Toll!
Durch deinen Text merke ich wieder, dass bei mir selbstgemachter Zeitdruck der limitierende Faktor bei der Ko-Regulation meiner Emotions-Bombe ist.
Danke für die Erinnerung.
Hej Magda, ja, der Zeitdruck ist der Killer! Ich muss mich selbst auch immer wieder daran erinnern… 😉 Alles Liebe für euch!
Katis, danke für deinen wunderbaren Text. Ich fühle mit dir.
Mein Sohn ist die Oberbombe. Ich liebe ihn so dafür und schaue staunend zu, wie sehr er sich aufregen kann und alle im Umfeld mitzieht. Ich bin sanftmütig und flippe seltenst aus genau wie sein Zwillingsbruder. Mir fällt es im Gegensatz zu meinem Mann leicht in diesen Situationen ruhig und besonnen zu bleiben. Nie beziehe ich die Wut, die Energie und das ausrasten auf mich, ich beobachte ihn, liebe ihn unendlich und staune über soviel Energie. Ich bin stolz auf ihn und denke, dass er es später leicht haben wird sich durchzusetzen und ein wunderbar liebender Mann, Papa, Bruder sein wird. Als er noch recht klein war durfte ich mir immer von anderen Müttern Sprüche a la: das würd ich nicht mitmachen! …du musst konsequent bleiben! Etc… anhören. Mit seinen nunmehr 7 Jahren ist er gerngesehener Stürmer auf dem Fußballplatz, wird von der Lehrerin für seinen Einsatz und Ehrgeiz gelobt und hat viele Freunde, die er in der Not verteidigt. Ab und an lässt er noch den Familien Tyrann raushängen, treibt uns und seinen Bruder in den Wahnsinn, aber er ist und bleibt das Herz der Familie. Go Emotionsbomber!
Hej Mathilda, und Chapeau für deine Ruhe, von der ich eine gute Portion mehr vertragen könnte, wenn mein Emotionsbomber wieder steil geht. Und wie schön, dass du es schaffst, all die Eigenschaften ins Positive zu drehen – das ist ein sehr schöner Ansatz, wie ich finde. 🙂
Da nehm ich was von mit! Alles Liebe!