Wir diskutieren sehr viel über Gerechtigkeit derzeit. Nicht mehr nur darüber, wer zuerst Kartoffelbrei bekommt oder wer am meisten. Sondern neuerdings besonders darüber, wer mehr Spaß hat. Das größte Problem: Spaß lässt sich noch weniger gerecht verteilen als Kartoffelbrei…
Geschwister
Es beginnt schon morgens, wenn die drei Großen an der Kücheninsel sitzen: Einem fällt ein, dass heute eine Theatergruppe in den Kindergarten kommt. Die beiden anderen fangen an zu jaulen. Manchmal beginnt dann ein Battle an Spaß-Vergleichen, einer ruft: “Dafür habe ich morgen Chor!”, ein anderer: “Aber ich bin mit Leo verabredet.” Der erste wieder: “Aber wir machen am Freitag Räuberfrühstück!” Es kann minutenlang so gehen, ich erwische mich dabei zu denken, was für ein schönes, spaßiges Leben meine Kinder glücklicherweise haben. Bis einer von beiden am Battle-Ende angekommen ist und auf der Vergnügungsliste nichts mehr anzuführen hat. Und wieder jammert.

An manchen Morgenden bin ich gut, steige mit ein, und werfe schöne Dinge in den Raum, die derjenige demnächst geplant hat, dem gerade nichts mehr einfällt. Manchmal bin ich den ewigen Wettstreit leid, da verdrehe ich die Augen und gieße schweigend Milch in die Müslischalen. Manchmal, wenn ich ein paar Mal tief durchgeatmet habe, erzähle ich dann vom Gras auf der anderen Seite. “Wasn fürn Gras, Mama?”, fragen sie dann und hören tatsächlich alle drei zu. Ich erzähle, wie das oft ist mit dem Gras, das beim anderen oft grüner erscheint, als im eigenen Garten. Und wie unglücklich es auf Dauer macht, wenn man öfter das angeblich grünere Gras anschaut als das eigene.

Absolute Spaß-Gerechtigkeit gibt es nicht. Selbst wenn ich wollte, ich kann den Mittleren nicht nur deshalb ins Theater ausführen, weil in der Schule des Großen ein Stück vorgespielt wird. Ich kann dem Kleinen keine Geburtstagseinladung zaubern, nur weil die beiden anderen am Wochenende eingeladen sind. Es geht nicht jedes Mal, dass der eine auch Besuch hat, nur weil der andere verabredet ist. Ich versuche das meistens, aber es klappt nicht immer. Und wie soll das werden, wenn hier erstmal vier groß genug sind um sich zu verabreden?

Eine Sache, die ich meinen Kindern also gerade versuche beizubringen ist: Gönnen können. Wie so oft in Erziehungssachen geht das bei uns ganz gut, wenn ich von mir erzähle: Papa war gerade eine Woche mit Freunden Skifahren – Mama nicht. Trotzdem hat sie sich gefreut. Dass er Spaß hat, weil sie ihn lieb hat. Mama wird dieses Jahr nicht eine Woche mit ihren Mädels wegfahren, obwohl das vielleicht gerecht wäre. Aber dafür hatte sie vor kurzem eine schöne Einladung zum Brunch, bei dem Papa nicht war und stattdessen arbeiten musste. Dass es auch schön ist, wenn jemand, den man lieb hat Spaß hat, weil er meist bestens gelaunt zurückkommt und zuhause alle mit der guten Laune ansteckt. Weil derjenige sich dann vielleicht auch mit freut, wenn man selbst dran ist mit dem Spaßhaben.

Über einen längeren Zeitraum sollten auf der Spaß-Bahn alle Familienmitglieder relativ gleich auf sein, mal ist der eine dran, mal der andere. Alles andere macht Kinder – und Erwachsene – unzufrieden. Aber Spaß kann man nicht gerecht verteilen, das müssen auch Kinder lernen. Ich finde es umso wichtiger, dass sie lernen, das Beste aus einer Situation zu machen. Der Große ist beim Geburtstag eingeladen und der Mittlere nicht? Gar nicht so doof, dann können endlich mal die beiden Mittleren ohne Diskussionen das Nachmittagshörspiel aussuchen. Und alle Kaplasteine für sich haben. Aus jeder Situtation das Beste zu machen, ist für mich neben “Gönnen können” eine Einstellung, die ich meinen Kindern undbedingt mitgeben möchte. Noch was: Jeder ist für seinen Spaß mitverantwortlich. Kinderleben von heute sind stark durch Erwachsene animiert. Die Kunst sich selbst – ohne Einladung oder Besuch – einen netten Nachmittag oder Abend machen zu können, ist ein Geschenk, von dem man bis ins hohe Alter etwas hat.

Es kostet viel Kraft, das mit meinen Kindern zu trainieren und immer wieder aufzuzeigen. Einigen Kindern (auch Erwachsenen) fällt das Gönnen können und sich selbst glücklich machen im Übrigen leichter, anderen schwerer. Vorleben ist wichtig. Ich habe ihnen also bewusst gezeigt, dass ich meine Staffelei herausgeholt und im Wohnzimmer aufgebaut habe, als André im Urlaub war und die Abende allein zum Malen genutzt habe (außerdem zum “In-Ruhe-Lieblingsserie-gucken”). Ich fand es wunderbar.

Wir diskutieren außerdem viel darüber, in wieweit sich jemand auf etwas Spaßiges laut vorfreuen darf – und ab wann es Angeberei ist. Manchmal mache ich einen kleinen Test daraus und rufe: “Ich gehe heute mit meinen Mädels essen, ätsch und ihr nicht.” Sogar der Dreijährige rollt dann die Augen und sagt: “Dop Mama, Angebserei.” Und dann lachen wir alle drüber.

Am meisten freue ich mich, wenn der Mittlere mal wieder fröhlich mit mir den Großen von einer Party abholt, beide aufgeregt auf der Rückbank erzählen, der eine von der Party, der andere von seinem Nachtmittag mit spontan selbstgebackenen Kuchen und einer besonders langen Holzeisenbahnstrecke, sie dann – heimlich – ein paar Kuchenkrümel gegen zwei Schnuller aus der Mitgebseltüte tauschen und leise tuscheln, so dass ich nichts mehr verstehe. Ich möchte in diesen Momenten rufen: “Lauter, ich möchte das auch hören!” Aber ich sage nichts, ich gönne ihnen diese Geschwistermomente von Herzen. Und drehe vorn das Radio ein wenig lauter.

Wie geht ihr zuhause mit Gerechtigkeit um? Wie gerecht organisiert ihr spaßige Events und Verabredungen?

PS. Das Foto ist aus unserem Hollandurlaub in Duinell im letzten Jahr. Es gibts tatsächlich nichts, was mich glücklicher macht, als meine Kinder, wenn sie gemeinsam Spaß haben.

Alles Liebe,

Claudi