Vor einiger Zeit haben wir den Geburtstag meiner Mutter gefeiert. Ihren 73. Es war ein strahlend sonniger Tag, richtiges Geburtstagswetter. Wir haben uns in meinem Elternhaus zum Brunchen getroffen, haben viel durcheinandergeredet, laut gelacht und dabei ihr liebstes Beatles-Album gehört. Und irgendwann sind wir gemeinsam an ihr Grab gefahren und haben ihr knallig pinke Rosen mitgebracht, ihre Lieblingsblumen. Denn meine Mutter lebt schon seit acht Jahren nicht mehr…
Meine Trauer und ich haben uns seitdem arrangiert. Sie fühlt sich schon länger nicht mehr an wie ein wildes Tier, das in meinem Inneren wütet. Sie beherrscht mich nicht mehr, wie sie es zu Anfang getan hat. Sie ist mittlerweile eher ein leiser Nachhall, wie eine Ahnung. Ich weiß, dass sie mich meistens in Frieden lässt. Aber ganz sicher sein kann ich mir nie. Manchmal reicht ein Song im Radio, um mir das Herz zu zerreißen.
Trauer ist etwas Existenzielles.
Einen geliebten Menschen zu verlieren, zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Trauer bringt das ganze Leben ins Wanken, fordert einen heraus. Und man ist nie wieder die gleiche Person wie vor einem solchen Verlust. Abschiede für immer sind schwer zu begreifen, oft braucht es eine ganze Zeit zu realisieren, was es wirklich bedeutet. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich so oft den Impuls, sie anzurufen, mit ihr zu sprechen, über dies und das, nichts Weltbewegendes. “Stimmfühlungslaute” haben wir das familienintern immer genannt. Dass es nie wieder möglich sein würde, hat mir ihre Abwesenheit erst richtig bewusst gemacht.
Als Mama starb, war ich kurz zuvor selbst das erste Mal Mutter geworden. So bodenlos ich auch oft um sie trauerte – ich hatte immer einen zwingenden Grund, das Bett wieder zu verlassen. Weiterzumachen, selbst wenn sich ein Teil in mir danach sehnte, auch einfach zu verschwinden. Aber ich wollte für meinen Sohn eine ebenso starke Mutter sein, wie sie es für mich immer gewesen war. Und so stand ich immer wieder auf – bis ich irgendwann festeren Boden unter den Füßen hatte. Zeit heilt sicher nicht alle Wunden – aber sie vernarben, nach und nach.
Ich weiß nicht, was schwerer auszuhalten ist: Jemanden unvermittelt zu verlieren – oder jemanden verschwinden zu sehen.
Meine Mutter war lange krank, aber sie war eine Kämpferin. Ich hatte viel Zeit, mich auf ihren Tod vorzubereiten. Nur, um festzustellen, dass man auf die endgültige Abwesenheit nie vorbereitet ist. Und doch würde ich sagen, war es für mich so besser. Wir wussten um die Endlichkeit unserer gemeinsamen Zeit – und wir haben sie nach Kräften genutzt. Es gab kein unbedachtes Wort, kein achtloses Miteinander. Wir haben uns alles gesagt, was es zu sagen gab. Und jede Umarmung kam von Herzen.
Ich war in der Zeit sehr dankbar, dass uns auch räumlich keine große Distanz trennte. Wir haben uns jede Woche gesehen, oft mehrmals. Wir waren spazieren, haben beieinandergesessen und ganz viel geredet. Über das Leben, das sie geliebt hat. Und über den Tod, der ihr weniger Angst machte als mir. Aber vielleicht ist es immer schwerer für die, die zurückbleiben. Und bis heute bin ich verdammt froh, dass mein Vater, meine Schwester und ich damals noch näher zusammengerückt sind. Trauer gemeinsam zu ertragen, macht sie nicht kleiner. Aber sie verbindet. Und stärkt.
Meine Mutter fehlt in meinem Leben, immer noch.
Und doch gibt es Tage, manchmal Wochen, in denen ich nicht explizit an sie denke. Aber es gibt immer wieder die Momente, wo ihre Abwesenheit spürbar wird. Wenn ich gern einen Rat von ihr hätte. Wenn die Kinder Fotos von ihr anschauen und mich nach ihr fragen. Wenn ich selbst Trost bräuchte, den nur eine Mutter spenden kann, egal, wie alt man ist.
Und zwingend immer dann, wenn die Kinder alte Rolf-Zuckowski-Alben hören. Irgendwie ist das mein größter Trigger – und ein Garant, dass meine Trauer mit Wucht über mich hinwegfegt. Kurz, aber heftig. Das Hamburger Weihnachtsmärchen “In der Weihnachtsbäckerei” habe ich nur mit einer Familienpackung Taschentücher überstanden. Ich fand es dabei sogar ganz amüsant. Man lernt, auch unter Tränen zu lachen.
Die Erinnerung bleibt lebendig.
Vor allem für Außenstehende: Viele sehen meine Mutter in mir. Ich werde ihr offenbar ähnlicher, je älter ich werde. Habe nicht nur ihre Augen, ihr Lachen, ihre Statur. Sondern auch viel von ihrer Persönlichkeit. Ihre Sturheit. Ihre Lebenslust. Ihr Gärtnergen. Das tröstet mich nicht spürbar, wenn ich sie gerade vermisse. Aber schön ist es dennoch: Zu wissen, dass etwas bleibt.
Ich wünschte, sie wäre immer noch hier. Ich wünschte, sie hätte alle drei Enkelkinder kennen gelernt – sie wäre bestimmt eine hingebungsvolle Oma gewesen. Ich wünschte, ich könnte sie noch einmal anrufen, um mit ihr zu plaudern, über dieses und jenes. Aber das Leben kommt oft anders als erhofft. Und so bin ich meist einfach dankbar dafür, eine so tolle Frau als Mutter gehabt zu haben. Mittlerweile überwiegt die schöne Erinnerung meist den Schmerz. Trauer ist das Glück, geliebt zu haben, las ich kürzlich. Und das ist wohl das Beste, was man über Abschiede für immer sagen kann.
Habt Ihr auch schon einen geliebten Menschen verloren?
PS: Ein Freund hat vor einiger Zeit beide Elternteile kurz nacheinander verloren – und darüber ein kraftvolles Buch geschrieben: Niemehrzeit ist ein Roman, der auf erstaunliche Art tröstlich ist. Und hier habe ich schon einmal darüber geschrieben, wie man mit seinen Kindern über den Tod sprechen kann.
Alles Liebe,
Danke. Und von Herzen eine Umarmung für Dich.
Liebe Flora, ich danke dir dafür! Alles Liebe, Katia
Ich fühle deine Worte so sehr…und beim Lesen liefen gerade die Tränen. Seit knapp 2 Jahren vermisse ich meine Mama und gerade jetzt wo ich wieder Mama werde fehlt sie mir noch mehr. Diese Lücke ist so schmerzhaft. Und gerade vor ein paar Tagen rief mich eine Freundin von ihr an und das tat so gut eine Verbindung zu spüren und gleichzeitig zu merken dass ich viel lieber mit meiner Mama geplaudert hätte. Dazu kommt dass auch mein Papa seit 30 Jahren uns fehlt und komplett ohne Eltern selbst Eltern zu werden ist ne krasse Nummer. Entscheidung zu treffen ohne den doppelten Boden im Hintergrund zu wissen ist so herausfordernd für mich und meine Geschwister. Und für unsere Kinder fehlt diese bedeutsame Beziehung welche man nur zu den Großeltern haben kann. Das tut mir unendlich weh.
Danke für deinen tollen Beitrag es tut gut zu wissen dass auch andere diesen Schmerz kennen.
Liebe Vroni, das tut mir von Herzen Leid! Mir ging es auch bei jedem weiteren Kind so, dass ich meine Mutter schmerzlicher vermisst habe. Aber ich habe zum Glück ja noch meinen Papa, der eine gute Verbindung zu den Enkeln (und zu mir) hat. Das ist tröstlich. Ganz allein zu sein, Vollwaise zu sein, auch als Erwachsene, das ist bestimmt verdammt schwer. Die Trauer kommt und geht und ich würde mir wünschen, dieses Gefühl (noch) nicht zu kennen. Aber leider ist es der Lauf des Lebens. Alles Liebe für dich, Katia
Danke für diesen schönen Text! Ich fühle deine Worte sehr!
Liebe Julia, das freut mich besonders, weil es ein so persönlicher Text ist… 🙂 Allerliebsten Dank! Katia
Dieser Tage hätten wir ebenfalls den Geburtstag meiner Mutter gefeiert. Und ich war erstaunt, dass es mir gut damit ging. Nun lese ich deinen Text und muss so weinen, wie schon lange nicht mehr, seit dem Tod meiner Mutter.
Die Trauer kommt in Wellen, und sie wird vermutlich nie ganz aufhören.
Danke für deinen Text.
Alles Liebe für dich.
Julia
Liebe Julia, puh, ja, das kenne ich auch. Mehr oder minder aus dem Nichts überrollt einen die Traurigkeit wie eine Dampfwalze – und man bleibt danach erschöpft und ganz klein zurück und braucht eine Weile, sich wieder auf die Füße zu stellen. Selbst nach all den Jahren. Ich danke dir für deine Worte und wünsche dir viel Kraft und Zuversicht. Alles Liebe, Katia
Hallo Katja,
Selten war ich so nah an einem Text wie diesem….sehr schön!!
Ich habe drei Schwestern- wir sind mittlerweile alle Ü50 aber haben unseren Vater sozusagen als Kinder an den Krebs verloren – aber alle Jahre um besondere Tage an ihn gedacht bzw. ihn gefeiert 😉
Vor sieben Jahren dann die Mama….sehr tragisch ist sie gestorben, aber sie wollte es so und es bleibt zu aller Trauer auch die Akzeptanz zu finden, es so zu akzeptieren…
Wir alle jetzt erwachsen, aber auch sechs Enkel von heute 35 bis 10 Jahre alt – die Oma ist immer da in unserer Mitte und so ist es gut und soll es sein!
Danke nochmal für deine Zeilen, hat mir mal wieder gezeigt wie schön das Miteinander zwischen uns Schwestern und der ganzen Familie ist!
Liebe Grüße Marina
Liebe Marina, es freut mich sehr, wenn du aus meinen Zeilen etwas mitnhemen kannst! 🙂 Ja, der familiäre Zusammenhalt ist essenziell, wenn jemand geht – ich weiß nicht, ob ich das damals allein gepackt hätte. Und ich mag die Tradition dieser Tage, wo man sich den vor uns gegangenen näher verbunden fühlt als sonst im Alltag. Alles Liebe für dich und deine große Familie! Katia
Danke das du deine Gefühle mit uns teilst. Ich kenne diese nur zu gut. Ich habe vor drei Jahren meinen Vater viel zu früh und plötzlich verloren. Bis heute kann ich es noch nicht richtig begreifen. Damals musste ich funktionieren, musste mich um alles kümmern und war total überfordert aber habe irgendwie funktioniert und erst jetzt fange ich eigentlich richtig an zu trauern. Die Trauer kommt in Wellen aber ich habe gelernt damit um zugehen und das es wichtig ist seine Gefühle zu zeigen anstatt sie zu unterdrücken.
Liebe Claudia, das tut mir sehr Leid für dich. Ich kann das Gefühl der Überforderung sehr gut nachfühlen – man rettet sich eben ins funktionieren, so, wie du es auch getan hast. Vermutlich hat jeder sein eigenes Trauer-Tempo, wann der richtige Zeitpunkt ist, Dinge zu akzeptieren, Gefühle gehen zu lassen. Ich wünsche dir alles Liebe auf diesem Weg. Katia
Liebe Katja,
ich habe meine Mum leider viel zu früh und schlagartig vor ein paar Monaten verloren. Dabei bin ich doch erst 16 und brauche sie doch, ich vermisse sie sooo unendlich, aber dein Text hat mir gerade Hoffnung gegeben das irgendwann wieder alles besser wird
Liebe Grüße
Hej, das tut mir von ganzem Herzen leid, zumal du sie so früh hast gehen lassen müssen. Der Schmerz, die Trauer sind anfangs überwältigend – aber es wird besser, irgendwann. Ich habe mir danach professionelle Hilfe gesucht, vielleicht wäre das auch eine Option für dich? Damit sollte man nicht allein sein. Ich wünsche dir alles, alles Liebe und dass du die Kraft findest, damit zu leben. Eine feste Umarmung, Katia