Es war an einem Tag zwischen den Jahren. Die Weihnachtsfeiertage vorbei, die Silvestersause stand bevor und ich saß im Badezimmer und hielt einen Schwangerschaftstest in der Hand. Zwei blaue Streifen. Positiv. Positiv? Gar nichts daran fühlte sich positiv an. In meinem Kopf war nur ein einziges großes NEIN. Ich horchte in mich hinein, fühlte in meinen Bauch, doch alles, was ich spürte, war blanke Panik…

Hätte mir vor ein paar Jahren jemand gesagt, dass ich mich einmal in dieser Situation wiederfinde, ich hätte es nicht geglaubt.
Als ich fast 15 Jahre zuvor den allerersten positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt, war die Freude so groß und alles war so einfach. Das erste Wunschkind. Das zweite ließ lange auf sich warten. Ganze neun Jahre, drei Fehlgeburten und unzählige Tränen liegen zwischen meinem ersten und meinem zweiten Sohn.
Als ich dann endlich zum zweiten Mal Mama werden durfte, habe ich oft gedacht, wie schade es ist, dass es nicht früher und leichter geklappt hat, denn dann hätte ich mir gut ein drittes Kind vorstellen können. Nach der Geburt unseres Krümels schwebte ich auf rosa Wolken, alles war perfekt. Dabei hatte ich mir als Selbständige nicht einmal Elternzeit genommen, mein Mann auch nicht, er war gerade in der Probezeit des neuen Jobs.
Die Jonglage von Baby, Bruder und Arbeit ohne die Hilfe von Familie in der Nähe war anstrengend, aber wir waren überglücklich.
Dann kam Corona. Der inzwischen Zweijährige war gerade erst im Kindergarten eingewöhnt, als der erste Lockdown zuschlug. Also weiterhin Arbeit und Kindern nicht wirklich gerecht werden. Nach der Pandemie war ich am Ende. Es gab Tage, da habe ich es kaum geschafft aufzustehen.
Kleinigkeiten wie ein voller Wäschekorb lagen als nicht zu bewältigender Berg vor mir. Aber nach und nach wurde es besser. Die Energie kehrte zurück. Bis ich Ende 2022 den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt und dachte: Das schaffe ich nicht. Das schaffen wir nicht.
Ich hielt meinem Mann den Test mit den Worten „Das ist kein Corona-Test“ unter die Nase. Er sah sofort, dass meine Tränen keine Freudentränen waren. Wir haben lange und viel geredet, überlegt, abgewägt, Möglichkeiten durchgekaut. Doch zwischen all dem „wir schaffen das irgendwie“ klang immer das große NEIN durch. Ich will kein drittes Kind.
Ich schaffe das nicht. Erst recht nicht irgendwie.
Ich will einen Abbruch. Will ich einen Abbruch? Da war die Sorge, diesen später zu bereuen. Schließlich war ich mir mit meiner langjährigen Kinderwunschgeschichte mehr als bewusst, was für ein Geschenk eine Schwangerschaft ist. Und nach drei Fehlgeburten war mir klar, dass ein Embryo für mich mehr ist als der vielbesagte „Zellhaufen“. Nach zwei Kindern wusste ich aber auch, was Elternsein bedeutet und dass die Verantwortung für ein drittes Kind nicht zu unterschätzen ist. Dann war da noch die Frage, was rein organisatorisch auf uns zukommt, wenn ich die Schwangerschaft beenden will.
Ich stellte fest, dass ich kaum etwas über das ThemaSchwangerschaftsabbruch wusste. Ich kannte nur die Spitze des Eisbergs, die in den Medien präsent ist. Wenn mich jemand zu meiner Meinung gefragt hätte, hätte ich Pro Choice geantwortet, doch was das in der Praxis heißt – ja, naja…
Ich tat also das, was ich immer tue, wenn ich Klarheit suche und ein Thema mich umtreibt: recherchieren.
Und auf einmal fand ich mich in einer emotional aufgeladenen Debatte wieder. Menschen, von denen die meisten noch nie direkt mit dem Thema konfrontiert waren, führen hitzige Gefechte. Jeder hat eine Meinung, nicht selten eine extreme. Und ich steckte nun mittendrin und wollte eigentlich einfach nur ganz für mich persönlich eine klare Entscheidung treffen und versuchen, faktenbasierte Infos und echte Erfahrungen herauszufiltern.
Ich suchte nach Erfahrungsberichten von Frauen, die bereits einen Schwangerschaftsabbruch hatten, um zu lesen, wie andere mit zwiespältigen Gefühlen umgehen. Ich stellte fest, dass die Threads in den Foren zum Thema gern von selbsternannten Pro-Life-Aktivisten unterwandert werden. Da finden sich zuhauf „Erfahrungsberichte“, in denen jemand von der Cousine der Freundin einer Bekannten schreibt, die seit einem Schwangerschaftsabbruch die schwerwiegendsten psychischen Probleme hat und ihre Entscheidung bitter bereut. Die bislang einzige größere Studie zu dem Thema zeichnet ein anderes Bild.
Über 95 % der Studienteilnehmerinnen sagten auch nach Jahren, dass ihre Entscheidung für eine Abtreibung die richtige gewesen sei. Und auch die echten Erfahrungsberichte schlagen einen ganz anderen Ton an. Dort ist viel Empathie für Frauen in der gleichen Situation und viel Verantwortungsbewusstsein. Keine Reue, kein Versuch, jemanden in eine Richtung zu drängen oder an das Gewissen zu appellieren.
Ich saß am Laptop und heulte und ich war erstaunt darüber, dass mehr Frauen als ich gedacht hatte, sich in ähnlichen Situationen wie ich für einen Abbruch entschieden. Frauen, die nicht mehr ganz so jung sind. Frauen, die von außen betrachtet mitten im Leben zu stehen scheinen. Tatsächlich hatte ich beim Thema Schwangerschaftsabbruch immer das Bild einer jüngeren Frau im Kopf, die ihre Lebensumstände als zu instabil empfindet, um ein Kind in die Welt zu setzen.
Ich selbst hatte das große Privileg, dass finanzielle Aspekte bei meiner Entscheidung keine Rolle spielen mussten.
Ich habe zudem eine stabile Partnerschaft. Wäre es da egoistisch, sich für einen Abbruch zu entscheiden? Aber was, wenn ich meinen anderen Kindern nicht mehr gerecht werde? Und dann war da noch meine Gesundheit. Ich hatte in der Schwangerschaft mit meinem zweiten Kind einen Schwangerschaftsdiabetes, von dem mir ein Prädiabetes erhalten geblieben ist. Eine weitere Schwangerschaft hätte demnach sehr wahrscheinlich weitere negative Auswirkungen auf meine Gesundheit.
Ich würde nicht nur aufgrund meines Alters als Risikoschwangerschaft bewertet. Eine medizinische Notwendigkeit für einen Abbruch lag damit jedoch nicht vor. Für mich allerdings war der gesundheitliche Aspekt das Zünglein an der Waage. Ich wollte für meine Kinder und ja, auch für mich selbst, noch so lange wie möglich psychisch und physisch gesund bleiben. Das NEIN hatte sich gefestigt. Heulen musste ich auch nicht mehr.
Die Angst, die blieb, war die vor der Meinung der anderen. Die Angst vor dem Stigma. Wie sage ich es meiner Frauenärztin? Wie geht so eine Beratung vor sich? Wie finde ich in der bayerischen Provinz eine Ärztin oder einen Arzt für einen Abbruch? Werde ich alle Termine rechtzeitig schaffen? Ich hatte Glück im Unglück. Meine Frauenärztin fragte mich von sich aus, ob die Schwangerschaft erwünscht sei.
Sie kannte mich und meine Vorgeschichte gut. Sie informierte mich einfühlsam und zugleich sachlich über all meine Optionen und darüber, wie alles weitergehen konnte. Ich bekam zeitnah einen Termin für die vor einem Abbruch vorgeschriebene Beratung. Die Beraterin von Profamilia fragte mich, ob ich mich schon entschieden hätte. Auf mein Ja hin sagte sie, wenn meine Entscheidung feststehe und ich keine Fragen hätte, könnten wir einfach nur Organisatorisches besprechen. Sie gab mir Adressen von Ärzt*innen.
Ich hatte mich mittlerweile jedoch schon für die Praxis von Friedrich Stapf entschieden. Der Münchner Arzt ist bereits Ende 70. Zur Zeit seines Medizinstudiums in den 1960er Jahren traf er auf Frauen, die aufgrund von illegalen Abtreibungsversuchen schwerste Komplikationen erlitten. Seither setzt er sich für die Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein.
Sein Beruf wurde für ihn Berufung. In Rente geht er nicht, weil ein*e Nachfolger*in schwer zu finden ist.
Auch in Stapfs Praxis bekam ich zeitnah einen Termin. Die Atmosphäre war locker, aber respektvoll. Mein Mann musste kurz mit hinein. Man wollte sehen, dass mich nach der OP jemand abholte, dass ich nicht allein war. Dann folgte noch einmal ein Gespräch mit dem Arzt, um einzuschätzen, ob ich wirklich bereit war für meine Entscheidung. Anschließend folgt das Gespräch mit der Anästhesistin. Ich war aufgeregt – wegen der Narkose – die Angst war weg.
Zum Aufwachen gab es Cola und Kekse. Ich liege in einem Raum mit anderen Frauen. Trennwände gibt es nicht. Auch dies soll zeigen: Du bist nicht allein. Eine Arzthelferin sitzt neben meinem Bett, fragt, wie es mir geht, beginnt eine Plauderei. Mein Mann holt mich ab. Zum Abschied fragt Dr. Stapf, ob er nicht gleich eine Vasektomie bei ihm durchführen soll. Ein Stockwerk tiefer stünde noch so ein alter Zahnarztstuhl. Ich lache.
Vor Erleichterung. Ich habe noch einmal Glück – oder eben einfach die richtige Entscheidung getroffen. Denn das Gefühl der Erleichterung bleibt. Die Entscheidung gegen ein weiteres Kind und für einen Abbruch war die schwerste in meinem Leben. Aber ich habe sie nicht bereut.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nichts für die leichte Schulter. Dass über das Thema debattiert wird, ist wichtig. Aber ich würde mir wünschen, dass wir dabei nie außer Acht lassen, dass kein Verhütungsmittel zu 100 % sicher ist. Ich würde mir wünschen, dass wir nicht vergessen, dass Frauen in der Regel in der Lage sind, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen und dass die Gründe für einen Abbruch so zahlreich und unterschiedlich sein können wie unsere Biografien.
Und ich würde mir wünschen, dass wir erkennen, was es bedeutet als Frau die Entscheidung für oder gegen ein Kind treffen zu müssen in einer Gesellschaft, die auf der einen Seite Schwangerschaftsabbrüche stigmatisiert und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei stellt und auf der anderen Seite überforderten Eltern gerne ein „das hast du dir doch so ausgesucht“, an den Kopf wirft, wenn das Kind erst einmal da ist.
Alles Liebe.
PS. Wenn du hier gern liest, und dir wünscht, dass WAS FÜR MICH weiterhin so viele, spannende und unterschiedliche Geschichten schreiben kann, dann unterstütze unsere Arbeit gern hier mit einem Abo. Danke!
Danke, liebe Stefanie, dass Du Deine/Eure ganz persönliche und private Geschichte mit uns geteilt hast, Deine Gefühle, Ängste und Sorgen so öffentlich zu machen ist nicht selbstverständlich!
Viele liebe Grüße, Susanne
Liebe Susanne, ich danke dir für deinen Kommentar! Ich freue mich auch sehr, dass wir hier nun auch noch diese Abtreibungs-Geschichte lesen können.
Möge sie ab sofort auch von vielen in Notlage gegoogelt werden können.
Liebe Grüße,
Claudi
Danke für deinen lieben Kommentar! Man kann sich sehr allein fühlen bei so einer Entscheidung. Falls mein Text da jemandem hilft, wäre das schon ganz viel.
Danke, dass du deine persönliche Geschichte teilst und ich bin mir sicher, dass sie anderen helfen kann, sich nicht so alleine zu fühlen.
Eine sehr persönliche Erfahrung! Vielen Dank dafür!!!
Ich war zum Glück bisher nicht in dieser Situation, aber dachte vor kurzem auch für einen klitzekleinen Augenblick, dass ich vielleicht erneut schwanger sein könnte. Sofort brach mir der Schweiß aus und all deine Gedanken sind in Windeseile in meinem Kopf gewesen. Zum Glück ist dann alles gut gegangen. In dem Augenblick hatte ich zumindest für mich noch mal glasklar, dass ich mit 40 Jahren wirklich nicht noch ein Kind möchte.
Viele Grüße, Biene
Vielen Dank für diesen ehrlichen, persönlichen und ausgewogenen Beitrag!
Danke dir sehr für dein Feedback.
Dieser Text zeigt noch einen anderen wichtigen gesellschaftlichen Faktor auf, nämlich dass Corona und der Lockdown bei vielen die Vita durcheinander gerüttelt hat und das Gefühl der eigenen Begrenztheit von Ressourcen wachgerüttelt hat. So leichtfüßig einfach noch ein Kind-da haben sicherlich einige gezögert auch in der Planung weiterer Kinder. Es war eine absolut krasse Zeit für viele Familien. Die Urteile untereinander sind aber hoffentlich etwas milder geworden und das allgemeine Bewusstsein, dass man nicht immer alles schaffen muss und kann.
Dieser Aspekt schwingt für mich bei vielen Artikeln hier im Blog mit. Das stärkt und tut gut.
Lg, Mathilda
Danke, das freut uns. Ich bin auch sehr stolz, diesen Artikel im Magazin zu haben.
Und ich gebe dir so Recht mit der Corona-Geschichte. Was da mit uns Eltern und den Kindern gemacht wurde wirkt immer noch nach.