Wenn ich meine Kinder mal wieder so richtig daneben finde, weil sie querschießen und mir ausgiebig auf Nase und Nerven rumtanzen, dann denke ich: Gören. Nicht: Kinder. Sondern Bälger. Blagen. Vielleicht, weil die ganze Palette von “blöd” bis “renitent” schon impliziert ist. Weil ich damit innerlich ein kleines Ventil für meinen Frust habe. Dafür, dass ich offenbar die unerzogensten Wänste der Welt habe. Oder…?
Meine drei Kinder sind willenstark, meinungsfest, dickköpfig, aufbrausend, lebendig, laut und alles in allem ganz wunderbar. Aber manchmal treiben sich mich damit einfach in den Wahnsinn. In die Verzweiflung sowieso. Weil sie jede Bitte mit “Nein” quittieren. Weil sie nicht länger als 30 Sekunden am Tisch sitzen bleiben, währenddessen aber zehn Mal rülpsen.
Weil sie vor Wut lauter brüllen als jeder Löwe. Weil sie ihre Spielzeuge in Schutt und Asche kloppen, gemein zueinander sind, meine Erziehungsappelle ignorieren. Und “Bitte” und “Danke” für Fremdwörter halten. An solchen Tagen bezweifle ich ernsthaft, dass meine Kinder jemals vollwertige Mitglieder der Gesellschaft werden können.
Bis ich kürzlich ein echtes Aha-Erlebnis hatte.
Ich begleitete meine beiden Schulkinder zu einer Veranstaltung. Eigentlich hatte ich anderes vor, aber ein Kind ließ mich partout nicht gehen. Also blieb ich. Und hatte einen ganzen, langen Nachmittag Zeit, meine Kinder außerhalb unseres Familienlebens zu zu erleben. Als stiller Beobachter an ihrem sonst vor mir verborgenen Leben teilzuhaben. Es war ein erstaunlicher Perspektivwechsel.
Meine zuhause oft so widerborstigen Kinder waren einfach nur – Zucker. Der Ältere war bekümmert um die Jüngere (die er familienintern meist “die blöde Kuh” nennt). Sie waren höflich zu den anwesenden Erwachsenen. Sie waren fokussiert, interessiert, motiviert, ohne anbiedernd zu sein. Sie waren ganz sie selbst. Und dennoch ganz neue Kinder für mich. Die Gören – das waren die anderen. Die, die störten, nicht zuhörten, immer das letzte Wort haben mussten. Plötzlich war ich ziemlich kleinlaut. Und direkt danach ziemlich stolz.
Meine Kinder sind da draußen keineswegs blöde Blagen. Sondern richtig coole Kinder.
Im geschützten Rahmen unserer Familie toben sie sich aus. Probieren ihre Grenzen aus. Strapazieren dabei meine. Aber offenbar sind sie nicht taub und blind für meinen Erziehungsappelle. Haben das richtige Gespür für ihr Auftreten – je nach Anlass. Können wählen zwischen aufsässig oder aufmerksam, frech oder folgsam, laut oder leise. Sie sind durch und durch Kinder – und können bezaubern oder befremden. Schade nur, dass sie ihre Schokaledenseite so häufig für außer Haus aufsparen.
Nicht, dass ich jemals Ja-Sager hervorbringen wollte. Ich finde es wichtig und richtig, dass sich meine Kinder reiben lernen, dass sie sich behaupten können. Dass sie ihre Meinung vertreten, familienintern und im Leben da draußen. Dass sie selbstbewusst sind, ohne anmaßend zu sein. Und das ist mir offenbar gelungen. Dafür muss ich vielleicht in Kauf nehmen, in unseren vier Wänden ab und an auch Blagen zu ertragen. Die die meiste Zeit auch zuhause richtig tolle Kinder sind.
Kennt ihr auch diese Diskrepanz im Benehmen eurer Kinder…?
Alles Liebe,
Oha, genau so ist es bei uns auch-
Danke für den Einblick, es tut doch gut zu lesen, dass es meist überall das Selbe ist.
Weiterhin starke Nerven für zu Hause und tolle Beobachtermomente außerhalb.
Grüße aus Aachen
Hej Katharina, danke dir 🙂 Es tut immer gut, sich in diesem Irrsinn, den wir Familie nennen, nicht allein zu fühlen. 🙂 Alles Liebe und ein schönes Wochenende!
Hi Katia, interessant, ähnlich wie von dir beschrieben, schildern es mir familienfremde Menschen über unsere Tochter. Zu Hause krasse Reibereien, vorallem mit mir als Mutter, angeblich als Geschwisterersatz und bei anderen freundlich, zuvorkommend, … auch wenn ich das toll finde, würde ich mir das gerade an schwierigen Tagen öfter zu Hause wünschen. Immer dann, wenn keine Kraft mehr für Zoff ist. Auf der anderen Seite weiß ich, die “junge Dame” mit startender Pubertät ist unfassbar willensstark und wird sich sicher draußen durchsetzen.
Hej Ani, puh, ich glaube, Pubertät hebt das ganze noch mal auf ein ganz neues Level… Da hilft wahrscheinlich nur Augen zu und durch 🙈 Aber auch in der Phase gilt: Wo sich unsere Kinder sicher fühlen, da ecken sie eben an… Courage und alles Liebe!
Hallo Katia,
ich glaube alle Eltern durchleben aehnliche Erfahrungen und ich denke das ist normal. Unsere Kinder muessen halt die Grenzen ueberschreiten, damit sie lernen, wo die Grenzen sind. Und ganz ehrlich, dann sollen sie das lieber zu Hause, wo sie von bedingungsloser Liebe umgeben sind, als draussen, wo sie sich dann doch selber ein Bein stellen koennen. Klar, es ist nervig, wenn sie mal wieder alles genau gegenteilig als erwartet machen, aber das tun sie doch nur, weil sie ganz genau wissen, was geht und was nicht. Ich sehe das immer wieder selber, wie toll meine Kinder sind und dann goenne ich mir in der Tat einen Klopfer auf die Schulter, denn selbst wenn ich mir taeglich die Haare ausreissen moechte, kommt meine Message doch an. Und dann faellt es mir mal auch leichter einfach mal zu lachen, wenn sie in ihre Grenzbrueche etwas Humor einbringen und ich es trotz Tabu doch lustig finde. Solange sie wissen, wo die Grenzen sind, kann ich auch mal los lassen.
Und eine Sache finde ich stoesst auch auf Erfolg. Wenn ich sehe, wie toll sie sind: hilfsbereit, hoeflich, liebenswuerdig, guetig usw., dann lasse ich es sie auch wissen. Denn ich will nicht, dass sie mich nur als meckernde Mutter in Erinnerung behalten. Ich moechte, dass es ihnen bewusst ist, dass ich auch diese tollen Qualitaeten bemerke, anerkenne und schaetze.
Hej Andrea, auf die Schulter klopfen sollten wir uns sowieso vile häufiger: Nicht nur für unsere tollen Kinder. Sondern auch dafür, dass wir sie zu diesen tollen Kindern erzogen haben. Mit viel Liebe – und noch viel mehr Nerven 🙂 Alles Liebe und danke für deine inspirierenden Gedanken dazu 🙂
Mein Mann hat das Thema mal auf den Punkt gebracht: Kinder, die sich zuhause geliebt fühlen, lassen da die Sau raus, weil sie wissen, sie werden immer geliebt.
Mein Ältester hatte einen Freund, der hat bei seiner Mutter immer gekuscht, ja Mami, nein Mami, gerne Mami usw., und war manchmal unerträglich bei anderen, das fand ich schlimm.
Von daher, durchhalten!, es lohnt sich.
Hej Kirsten, was du vom Freund deines Sohnes erzählst, will man ja auch nicht. Da fällt man vermutlich noch mehr aus allen Wolken, wenn zuhause immer alles chico ist 😉 Ja, manchmal geht es einfach ums Durchhalten (ums nackte Überleben dieses herrlichen Irrsinns 😉 Danke fürs Mut machen. Alles Liebe!
Das kenne ich auch nur zu gut… Zu Hause zeigen meine Kinder oft ihre schlechten Seiten und woanders werde ich gelobt, wie höflich, zuvorkommend und hilfsbereit sie sind. Ich glaube Kinder können einmal ziemlich schnell umschalten (genau wie bei einer anderen Sprache, meine wachsen zweisprachig auf und wechseln automatisch in die jeweilige Sprache) Und sie spüren auch, dass sie sich woanders “besser” benehmen müssen. Zu Hause können sie sich mehr fallen lassen, sie werden trotzdem geliebt. Um ihrer selbst willen und nicht wegen ihres Benehmens. Auch wenn ich mir manchmal wünsche, dass sie dieses gute Benehmen und Hilfsbereitschaft zu Hause öfter zeigen würden. Vor allem in der Pubertät. Aber das ist ja ein Glück auch nur eine Phase, die irgendwann vorbei geht (seufz…). 😜
Hej Angelika, über die Pubertät darf ich noch gar nicht nachdenken… 😉 Mir reicht diese wilde Phase zwischen drei und neun schon komplett! Aber klar: Die Kinder benehmen sich wie die Axt im Wald, weil sie sich sicher und geborgen fühlen. Fällt mir manchmal schwer, das ad hoc als Kompliment aufzufassen, aber ich arbeite dran… 😉 Alles Liebe!