Obwohl ich nie das Gefühl hatte, eine natural born mom zu sein, bin ich nach fast einem Jahrzehnt Mutterdasein meistens auf Spur: Ich weiß, was ich tun muss, wenn Kind eins Fake-Geheule anstimmt, was, um Kind zwei zur Zahnhygiene zu bewegen und Kind drei zu den Hausaufgaben. Ich weiß, wann ich trösten, reglementieren, wann ich Leine oder Fünfe gerade sein lassen muss. Doch an einer Frage scheitere ich immer wieder mit Karacho: Wie viel Struktur brauchen meine Kinder – und wir als Familie? Wie viele Regeln, Grenzen, wiederkehrende Alltagsanker tun uns gut? Oder beschränken uns all diese Vorgaben am Ende nur in der Freiheit, zu der Familie zu werden, die wir lieber sein wollen…?
Die Sache treibt mich schon seit dem ersten und einzigen Babykurs um, den ich jemals gemacht habe: Dass kleine Kinder einen möglichst geregelten Alltag haben sollen, war dort unstrittige Maxime. Vormittagsschlaf, Brei-Bohei am Mittag, Spazierrunde am Nachmittag – die Babyroutine als wunderbar einlullende Eintönigkeit. Generell gibt es dagegen auch eigentlich nichts einwenden. Verlässlichkeit von Anfang an – für Kind und Mutter. Ist ja gerade beim ersten Baby eine hilfreiche Krücke, um durch die oft holperigen ersten Monate zu kommen.
Nur: Ich bin nicht der strukturierte Mama-Typ.
Nicht als Säuglingsmutter. Und schon gar nicht als Mama meines Trio Infernale. Gelegentlich schreibe ich zwar detaillierte Familienpläne – wer wann aufzustehen hat, wann Instrumente geübt und Hausaufgaben gemacht werden sollen – aber letztlich fristen die Zettel meist ein tristes Mauerblümchen-Dasein an der Kühlschranktür. Konsequent Routinen durchzuhalten ist mein hehres Ziel – und doch ist es mir meist nicht möglich, weil: Häufig lasse ich mich lieber vom Leben überreden, es so zu nehmen, wie es mir gerade in die Arme läuft.
Deswegen trinke ich morgens lieber in Ruhe allein meinen Kaffee – und wecke die Kinder viel zu spät, um entspannt durch den Morgen zu kommen. Deswegen ignoriere ich die Abendbrotzeit und dass wir mit allem hinterherhinken. Denn, hey: Es ist Sommer und laisser-faire fühlt sich so viel besser an als langweiliges Ranzen-packen-Zähne-putzen-Programm. Die Kinder wollen eh noch draußen im Geheimversteck spielen und warum auch nicht: Ist Kindheit nicht auch ein Synonym für maximal viel Freiheit…?
So lasse ich sie laufen und lege schon feierabendfröhlich die Füße hoch – bis das Müde-Monster zuschlägt.
Und die gute Stimmung in Nanosekunden verpufft, weil meine Drei komplett durchhängen – und noch Abendbrot essen, Ranzen packen, Zähne putzen müssen. Und ich aus meiner relaxten Sundowner-Stimmung in den Krisenmodus wechsel, weil ohne Geschrei jetzt garantiert kein Kind mehr ins Bett geht.
Nach solchen Situationen schwöre ich mir meist, jetzt doch ein dauerhaft verlässliches Familienprogramm auf die Beine zu stellen. Das Punkt für Punkt regelt, wer wann wo zu sein und was zu machen hat. Dann schreib ich ein episches Regelwerk, das keine Lücken lässt – und mutiere temporär zum oberpeniblen Family Planner. Bis auch das zwangsläufig scheitert, denn: Selbst damit ist gutes Gelingen nicht garantiert – und gute Laune schon gar nicht.
Mein Dilemma: Bin ich zu lax, wünsche ich mir den Habitus eine organisierten Super-Nanny.
Bin ich zu streng, sehne ich mich nach mehr hippieske Lässigkeit. Bei der einen Praxis falle ich über zu wenig, in der anderen über zu viele Grenzen. Was ich brauche, ist eine Best-of-Strategie beider Welten. Eine Art Mary-Poppins-Modus: Mit einem klaren Plan – und ausreichend unverhofften Abweichungen davon.
Denn was mein Problem – und auch das meiner Kinder – mit zu viel starrer Struktur ist: Sie fühlt sich oft so gräßlich spaßbefreit an: Schule, Hausaufgaben, Klavier üben – und nach nachmittäglicher Spielauszeit direkt wieder in das abendfüllende Alltagsprogramm aus 18-Uhr-Hänger, Aufräumen, Abendbrot, Lesetraining einsteigen. Laaangweilig!!! Wo bleibt da der Platz für Spontanität? Der Raum für einen späten Abstecher an den Elbstrand? Für die späte Familien-Pizza beim Lieblingsitaliener, auch mal wochentags? Denn das sind doch die Momente, die uns als Familie zusammenhalten – nicht das Abarbeiten irgendwelcher To-Dos.
Andererseits braucht es genügend Lunte, um nach spontan eingeschobenen Alltags-Extras unsere Kinder wieder einzufangen – die zwangsläufig steil gehen.
Eine wirkliche Win-Win-Situation gibt es also nicht: Entweder wir stecken einen strikten Rahmen ab, der ziemlich öde ist, aber meist mit weniger Drama auskommt. Oder wir lassen uns treiben, haben erstmal eine gute Zeit – und leider ein meist explosives Ende.
Mir ist klar, dass wir nicht ohne Struktur auskommen, schon gar nicht bei der Familienstärke, in der wir unterwegs sind. Fünf Menschen, Bedürfnisse, Anforderungen regeln sich nicht einfach von allein. Aber es braucht eben auch ausreichend Raum für Abwechslung, für Abweichung von der Norm, für kleine Ausbrüche aus dem Trott.
Deswegen definiere ich gerade Alltagsanker für uns.
Kein Plan, der doch nur wieder ungeliebt zerfleddert. Sondern eine Abmachung weniger, wichtiger Dinge, die funktionieren sollen. Dazu gehören jetzt: Hausaufgaben und Instrumente üben werden immer in der Stunde direkt nach der Schule erledigt – danach ist Zeit für alles, was Spaß macht (gilt übrigens auch für uns Eltern!). Abendprogramm startet generell um 18 Uhr, das Ziel ist, die Kinder bis halb neun im Bett zu haben.
Aber wenn wir meinen, dass wir als Familie noch einen Bonus vertragen könnten, wenn uns das Leben in den Weg springt und “Hallo, hier und jetzt!!” ruft – dann weichen wir gern mal von der Norm ab. In dem Wissen, dass wir den spontanen Moment um so mehr genießen sollten, weil es nach hinten raus stimmungstechnisch vermutlich haarig wird. Und ziemlich laut. Aber das ist es uns dann einfach wert.
Und vielleicht lerne ich demnächst ja auch noch, für solche Extras mit dem Regenschirm anzuschweben. Call me Katy Poppins.
Und ihr: Team Struktur oder Team Flow mit Crash-Option?
Alles Liebe,
Liebe Katia, ich sitze hier gerade mit meinem Morgenkaffee und lasse laufen, während ich doch eigentlich auch einer Struktur folgen wollte. Es gelingt mir – wieder – nicht. Danke für deinen Text, der mich sehr beruhigt und möglicherweise hilft, das endlich loszulassen. Hab’ einen schönen Tag, alles Liebe, Cathleen
Hej Cathleen, ja, so ähnlich sah es hier heute morgen auch aus… Vielleicht sollten wir auch an uns nicht so strenge Maßstäbe ansetzen. Viel Spaß beim Laisser-faire – oder irgendwas zwischen lässig und lenken 😉 Alles Liebe!
Der Text spricht mir total aus dem Herzen, mir geht es also genauso! Und, deine Lösung finde ich sehr gut und habe sie zum Teil auch schon so umgesetzt, Aufgaben direkt nach der Schule. Am Abendprogramm muss ich noch arbeiten. Aber lustigerweise eskalierte ich und nicht mein Kind, das kommt nur schwer aus dem Bett am nächsten Morgen. Und ich habe ein schlechtes Gewissen 😉
Hej Annemarie, wenn ich die Wahl hätte, würde auch lieber ich eskalieren anstelle der Kinder 😉 Irgendwie schlagen wir uns doch alle mit den gleichen Dingen rum. Danke für dein nettes Feedback! Alles Liebe!
Ach ja, diese Balance und die Freude im Familienleben zu behalten ist echt eine Herausforderung, gut beschrieben!
Ich bin jemand, die in Strukturen aufblüht – aber erst, seitdem ich vor Kurzem begonnen habe, Strukturen nicht mehr nur dazu zu benutzen, um notwendige oder lästige Pflichtaufgaben und das tägliche Einerlei zu sortieren. Für mich selbst bedeutet das: alles, was ich tun will oder muss, radikal gleichberechtigt zu behandeln. Also meine Arbeit, meine persönliche Lesezeit, Familienarbeit, Sport, Arzttermine der Kinder, Elternabende, das abendliche Vorlesen etc. als gleich wichtig anzusehen und realistische Zeiten und Orte dafür vorzusehen. Plötzlich ist es nicht nur “ich muss noch”, sondern auch “nachher kann ich”. Es entspannt mich total, mal mit gutem Gewissen “frei” zu haben, weil es sozusagen im Plan steht. Bisher habe ich immer mit schlechtem Gewissen gefühlte Pflichten sein gelassen, um z. B. Freizeitdinge zu tun.
Das Prinzip auf die Familie zu übertragen wäre bestimmt ein spannendes Experiment, weil dadurch die übliche Zweiteilung in “Spaß” und “Pflicht” ins Wanken kommt… 🙂
Hej Sina, deinen Ansatz finde ich auch ziemlich spannend. Radikale Gleichberechtigung bekommt in diesem Kontext eine ganz neue Bdeutung ;-). Ich hatte mir zu dem Müssen und Wollen kürzlich in einem anderen Text bereits Gedanken gemacht: “Ich muss nur noch mal kurz wollen”, um dem Spaßbefreiten des Müssens, all der endlosen To-Dos, etwas entgegen zu setzen. Danke für deine Gedanken 🙂 Alles Liebe!
So ein wahrer Text, liebe Katia! Ich setze hinter jeden Satz ein Ausrufezeichen!😉
Hej Svenja, wie schön, ich freu mich immer über Gleichgesinnte 🙂 Alles Liebe!
Mir ist dein Post auf Instagram dazu ins Auge gesprungen und jetzt bin ich also hier gelandet! War sehr neugierig was du darüber schreibst. Denn ich bin auch eher kreativ-chaotisch unterwegs. Ich versuche mich auch ständig an to-do-listen, die ich mal schaffe, dann aber auch wieder verlege und sogar vergesse. Das Leben mit Kindern bringt so viele Impulse von Außen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie jemand das reibungslos hinkriegen sollte!
Mein Fokus ist Leichtigkeit und Freude beim Familienleben. Da sehe ich es dann auch mit Leichtigkeit, dass die to-do-liste mal wieder umsonst geschrieben wurde! Danke für Deinen Gedankenanstoß !!!
Hej liebe Corinna, und willkommen bei WASFÜRMICH 🙂 Schön, dass ich dich neugierig gemacht habe – und noch besser, dass ich dich ein wenig inspirieren konnte. Vielleicht hast du ja Lust, hier häufiger vorbeizulesen – hier ist es oft sehr kreativ, manchmal chaotisch und immer spannend, welche Geschichten uns zu Familie und Frau sein, Eltern sein und Paar bleiben, immer so einfallen. Alles Liebe!
wundervoll – heisst voller wunder und dafür sollte man offen bleiben, denn die folgen keiner struktur. wir sind auch team “irgendwo dazwischen”. was abends regelmässig in grossen dramen endet, aber vorher umso schöner war!
wenn mein mann und ich beide zuhause sind um die abendlichen explosionen aufzufangen, lassen wir es öfter mal drauf ankommen. unsere kinder lieben “running znacht”, wenn es im sommer abends noch hell ist und nicht mehr zu heiss steh ich am küchentresen und schmiere auf bestellung sandwiches, die sie draussen beim spielen mit den nachbarkindern futtern, das klappt oft soviel besser, als wenn alle irgendwie unterbrochen werden und erschöpft-ärgerlich am abendessenstisch rummosern :). aber es gibt auch die anderen tage, an denen mal geduscht und vokabeln gelernt werden sollte und manchmal tut auch die strikte struktur gut, weil sie halt gibt und dann die ausnahmen umso mehr glitzern.
es lebe das leben!
Lg aus der Schweiz. Hanna
Hej liebe Hanna, bei uns heißt eure running znacht Räuberessen – und ist eine beliebte Nachbarskinder-Aktion für laue Sommerabende 🙂 Ansonsten mag ich deine Idee, dass Ausnahmen glitzern – genau so fühlt es sich oft an (danach eher nach Blitz und Donner, wenn die Laune rapide abfällt 😉 Das nennt man wohl Familie. Alles Liebe!
So gut geschrieben!! Kommt mir sehr bekannt vor! Ich versuche mehr Struktur einzubauen weil meine Kinder sonst jeden Tag absolut alles neu diskutieren wollen – bei 4 reicht meine Kraft dazu nicht aus! Allerdings ist mein Mann Typ Ober-flow.. 😅🙈
Hej Judith, das ist eine wichtige Ergänzung – denn genau daran krankt es bei uns auch häufig: Je weniger verlässliche Strukturen, desto mehr Interpretationsspielraum – und Diskussionsbedarf 😉 Alles Liebe!