Ich war für meine kleine Schwester kein Zuckerschlecken: sechs Jahre älter, mit dem Exklusiv-Abo auf alle ersten Male und den Klugscheißer-Bonus. Meine Schwester machte beim Mittagessen den Mund auf, um von ihrem Tag zu erzählen? Ich war todbeleidigt: „Hallo, hört MIR jetzt vielleicht auch mal einer zu…?!“ Ich weiß noch, wie ich sie – damals zweieinhalb – in einem Sommer dauernd damit geärgert hab, dass ich weggehe „und nie wiederkomme!“ Sie ist mir immer heulend am Zaun gefolgt, bis sie mich nicht mehr sehen konnte. Ich hab mich kurz versteckt, um dann wieder aufzutauchen. Jedes Mal hat sie gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd – bis ich mit dem Spiel von vorn losgelegt hab. Was für ein Spaß. Zumindest für mich. Schlechtes Gewissen? Fehlanzeige…

Warum ich das hier erzähle? Nicht, um mich öffentlich dafür zu schämen. Nicht, um einen Shitstorm zu ernten. Sondern um Verständnis dafür zu haben, warum meine Kinder gerade häufig so kacke zueinander sind. Denn was mich an diesem zweiten Lockdown am meisten nervt, ist nicht der angeordnete Fokus auf die Familie. Das könnte ja eigentlich ganz gemütlich sein, jetzt so im Advent. Nein, mich nervt kolossal, dass die Familie – allen voran die die drei jüngsten Mitglieder – dabei permanent Beef miteinander haben. Egal, wann. Egal, wo. Egal warum.

Piesacken, besser wissen, nachäffen, sich lustig machen. Und Hauptsache, einer hat den Längsten. Der Große brüllt seine Schwester an: „Du bist so ein Hosenscheißer!!“ Die kontert lautstark „Spiegel, Spiegel für immer und ewig, DU bist der Hosenscheißer!!“ Und der Kleinste springt wie eine wütende Hummel seiner Schwester bei und boxt den Großen in den Bauch. Ende vom Lied: alle heulen, schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe und ich muss immer ganz fest an das HB-Männchen denken („Wer wird denn gleich in die Luft gehen…?“), um nicht alle zu überbrüllen.

Es stresst mich, dass die drei derzeit so viel streiten.

Aus den nichtigsten Gründen, wegen Spielzeug, Süßigkeiten und weil einer die bessere fünf schreiben kann. Denn das ist nicht nur nervig, es ist vor allem wahnsinnig laut. Und die blöde Stimmung steckt mich häufig an, auch wenn ich das gar nicht will. Aber: Geschwister sind eben so, ICH WAR AUCH SO, verdammt. Nur hat man das als Eltern nicht so dauerhaft präsent. (Mein Mann behauptet ja steif und fest, dass er und sein zwei Jahre jüngerer Bruder sich so gut wie nie in der Wolle hatten, sondern stundenlang friedlich LEGO gespielt haben – schon klar…)

Aber meistens brauchen Geschwister die Reibung, das-sich-aneinander-messen und sich-überflügeln. Vor allem, wenn sie so dicht aufeinander folgen wie meine. In diesem Trio wollen sie sich dauernd behaupten. Vielleicht noch mehr, als wenn der Altersabstand so groß ist wie bei meiner Schwester und mir – da sind die Hierarchien einfach klarer. Aber meine müssen ihre Grenzen ausloten, abstecken, Allianzen schmieden und in Sekundenbruchteilen wieder verwerfen. Das ist wüst, chaotisch, nervenaufreibend. Und meist genauso schnell vorbei, wie es begonnen hat.

Denn Geschwister können ein Segen sein. Wenn ich es schaffe, nicht wie eine gereizte Löwin in das Streitknäuel meiner Kinder zu springen (und damit alles nur zu verschlimmbessern), sondern mich mit Ohropax fünf Minuten auf dem Klo einschließe, ist hinterher plötzlich alles anders: Der Große baut mit dem Kleinen eine Kapla-Landschaft mit Schleichzoo auf: „Guck mal, hier ist das Dino-Gehege…“ Der Zweieinhalbjährige stimmt fröhlich gefährliches Urzeit-Gebrüll und strahlt den großen Bruder an, während meine Tochter die Keksdose gemopst hat und gerade Kakao für alle zusammen panscht. Irrwitz und Idyll liegen bei uns häufig dicht beieinander.

Auch wenn sie sich im Eifer des Gefechts ewiges Zimmerverbot erteilen und sich alle naslang die Geschwisterschaft aufkündigen („So einen scheiße Bruder will ich gar nicht haben!!“): Kein Streit unter Kindern ist so schwerwiegend, dass das Band zwischen ihnen reißt – zumindest meiner Erfahrung nach. Sie schlagen, sie kümmern und sie brauchen sich, als Spielgefährten und Wegbegleiter durch den aufregenden Dschungel des Kindseins. Sie wollen alles besser als der andere können und lernen dabei so unendlich viel voneinander.

Mein Jüngster lässt sich am liebsten von seiner Schwester wickeln, die ihn auch als erstes tröstet, wenn er sich wehgetan hat. Sie zieht ihn an – gerade am liebsten ihre abgetragenen Röcke – und „liest“ ihm die Bilder seiner Lieblingsbücher vor. Mama spielt in diesem Kosmos keine Rolle. Und wenn meine Tochter Angst hat allein einzuschlafen, lupft der Große seine Decke – und ist ihr Beschützer vor den unsichtbaren Gefahren der Nacht. Das zu erleben rührt mich mehr als mich jeder Streit zwischen ihnen aufregen kann.

Denn das ist es doch, was man sich als Eltern wünscht: Dass Geschwister eine Einheit bilden.

Dass, ganz gleich, was geschieht, sie nie allein sein werden, immer einander haben und damit jemanden, der sie durch und durch kennt – und hoffentlich vorbehaltlos liebt. Selbst, wenn wir als Eltern das irgendwann nicht mehr können. Deswegen wollte ich immer zwei Kinder haben, nicht eines, und jetzt hab ich drei und das ist ganz genau gut, wenn auch lauter und wilder und unberechenbarer als ich mir das je erträumt habe. Und wenn ich mir das vor Augen führe, kann ich die nächste Zoff-Runde vielleicht wirklich ein wenig gelassener betrachten.

Meine Schwester und ich haben nach unserem Auszug von zuhause übrigens jahrelang in einer gemeinsamen Schwestern-WG gewohnt. Bis heute ist sie einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Sie ist diejenige, mit der ich mich berate, bei der ich mich ausheule, mit der ich am besten steil gehen kann. Und umgekehrt. Dabei sind wir verschieden, innerlich und äußerlich, unser Lachen allein verrät unsere Verwandtschaft, und vielleicht noch unser Faible für die Beatles, Papas Nudeln mit Schweinesoße und die wunderbare Welt der Bücher. Aber sie hat keine Kinder, will auch eher keine, sie findet die Vorstellung vom Leben auf dem Dorf mehr schwierig als schön, meinen Klamottenstil öde und doch eint unser Geschwistersein uns so stark, dass all das keine Rolle spielt.

Was übrigens nicht heißt, dass wir uns nicht streiten.

Im Gegenteil: niemand kann mich derart auf Zinne bringen wie sie (und umgekehrt). Plötzlich ist sie dann wieder die nervige kleine Schwester, die sich immer übergangen fühlt – völlig grundlos natürlich – und ich bin die dämliche große, die alles besser weiß und bestimmen will. Wir hauen uns dabei nicht mehr auf die Mütze, eher Sätze um die Ohren, aber meist ist die blöde Stimmung auch schnell wieder verflogen. Weil wir wissen, was wir aneinander haben, dass wir einander haben. Und ich hoffe inständig, dass meine drei Kinder dieses Gefühl von Verbundenheit auch mit in ihr Erwachsenenleben nehmen. Denn was bleibt, sogar jetzt, in der Corona-Zeit, ist immer die Familie. Und im besten Fall ein Haufen Geschwister, mit dem man sich schlagen und wieder vertragen kann.

PS: Wenn meine Kinder gerade wieder Zeter und Mordio schreien, drehe ich manchmal den Song „Affenzucker“ von Das Paradies feat. M.I.A. laut auf (u.a. auf der großartigen Compilation „Unter meinem Bett 5“, gibt’s bei Spotify) – übertönt alles und ist auch noch unfassbar lustig. Und eine gute Freundin empfahl mir kürzlich dieses Buch zum Thema – ist spannend, um die eigene Geschwisterbeziehung zu verstehen. Und dieses hier, um als Eltern mit dem ganzen Kuddelmuddel besser umzugehen.

Wie läuft es bei Euch zuhause: Friede, Freude, Eierkuchen? Und was sind Eure Erfahrungen mit eigenen Geschwistern? Ich freu mich auf Eure Geschichten!

Alles Liebe,

Anna