Am Samstag Abend waren wir eingeladen. Nicht wie sonst, alle sechs. Sondern André in der City und ich zum Geburtstag bei uns im Dorf. Und nun? Um ehrlich zu sein, sind wir komplett raus aus diesem Babysitter-Buchungs-Ding. Haben wir ewig nicht gebraucht. Und einigen, die öfter mal aufgepasst haben, geht es auch leider gesundheitlich nicht ganz so gut. Als wir gerade überlegten, wem wir unsere Bande anvertrauen, beziehungsweise zutrauen könnten, rief mein Großer: “Ich mach das. Ich pass auf.”
André und ich schwiegen beide. In meinem Kopf lief ein Kurz-Film. Inhalt: die Coming-of-age-Herzschmerz-Geschichte meines Sohnes im Schnelldurchlauf. Er in meinem Bauch, als Baby, seine ersten Schritte, Schmatzer, Schularbeiten, alles im Gegenlicht und Sepiatönen. Ich seufzte. Dann raunte ich: “Okeeeeeey….!” Andre rief: “Abgemacht!” und klatschte mit unserem Großen ein.
Ich war stolz. Ich freute mich.
Am Samstag, kurz bevor ich los wollte, kam die Angst. “Soll ich nicht doch Oma anrufen…?”, fragte ich. Er saß mit seinen Brüdern auf der Couch, bereit das Kinoprogramm zu starten und die Finger mit einem Köpper in die Chipsschale zu tauchen, und schüttelte den Kopf. “Alles gut Mama!” Ich hatte Bauchschmerzen.
Als ich ihm zum hundersten Mal alles erklären wollte, stand er auf, legte seine Hand auf meine Schulter und meinte: “Mama, ich habe deine Nummer und Omas. Oma wohnt nebenan und C. und A. auch. Hier auf dem Hof wohnen noch etwa 20 Leute, falls was ist. Wir haben Fernsehen und Chips und außerdem bist du ja nur eine Straße weiter. Entspann dich.”
“Ich hab dich lieb!”, schluchzte ich.
Dann schob er mich in den Flur und zur Tür raus. Rumms machte es – und ich war weg. Ich stieg auf mein Fahrrad, fuhr allen Ängsten über Streichholzzündereien und möglichen Chipsverschluckungen davon und fühlte mich frei. So frei, wie schon ewig nicht mehr. Weil Ausgehen dieses Mal nicht mit dreifacher Terminplanung verbunden war. Weil ich nicht Ausgehzeit in Euros gegenrechnete. Weil ich das Gefühl hatte, da bei uns zuhause, passierte gerade etwas Großes: Da fingen meine Kinder an gemeinsame Erinnerungen zu sammeln, aufregende Weißt-du-noch-Momente, und das ohne mich. Das hatte gleichzeitig etwas Verstörendes. Und gleichzeitig etwas so Schönes, so Warmes, dass ich auf meinem Fahrrad feuchte Augen bekam.
Mein Abend war großartig. Ich hatte das Handy gleich zu Anfang entschuldigend neben Ottolenghis Bolognese gelegt und nicht ohne Stolz allen erklärt, dass mein Großer heute babysittete. Als ich beim Griff zum Weinglas irgendwann aus Versehen dagegen kam, zeigte es 12 Anrufe in Abwesenheit an.
Ich sprang auf und rief zurück.
Einmal, zweimal, dreimal. Mein Sohn ging nicht ran. Wieso hatte ich das Klingeln nicht gehört? Panik schoss in mir hoch. Mir wurde übel, die Bolo drehte sich im Schleudergang. Ich raste nach Hause, ohne meinen Po auch nur einmal auf dem Sattel abzusetzen. Als unser Haus stand und ich keine Flammen sah, atmete ich das erste Mal wieder tief aus. Als ich aufschloss und alle vier im Bett lagen, das zweite Mal. “Was machst du denn hier?”, brummte mein Zweitgrößter, ohne den Blick vom Fernseher zu nehmen.
“Ihr habt angerufen!”, keuchte ich. “Was ist denn los? Ist was passiert?” Er schüttelte den Kopf. “L. wollte nur sagen, dass der Kleinste und er jetzt schlafen und er das Babysitteramt an mich übergibt. Er hat ihn übrigens gewickelt und ihm die Zähne geputzt. Sich selbst natürlich auch.” Er lachte kurz. “Also seine Zähne, du weißt schon, Mama.” Meine beiden Mittleren lagen nebeneinander in der Mitte der Schlafenden und starrten auf den Bildschirm, auf dem Checker Tobi sein Checksperiment erklärte.
“Und wieso bitte gehst du nicht ans Telefon?”, rief ich, unfreundlicher als ich wollte.
“Lag so weit weg!”, meinte er und zeigte auf das Handy, das auf dem Bettrand neben seinem größten Bruder lag. Etwa fünf Zentimeter weiter weg, als seine Arme lang waren.
Bleiben eure Kinder schon mal allein zuhause?
Foto: Louisa Schlepper
Alles Liebe,
Liebe Claudi,
da bekomme ich auch glatt feuchte Augen! Du weißt ja mittlerweile vielleicht aus meinen Kommentaren, dass ich lange noch ein Kind wollte … seit einer Weile aber merke ich, dass diese Zeit einfach vorbei ist und ich tatsächlich nicht mehr dorthin zurück möchte. Zb aus so tollen Gründen, wie in deinem Beitrag. Es ist so schön, wieder freier zu sein … dass sie auch mal allein bleiben kann und alles …
Danke für die tolle Geschichte!
Liebe Grüße
Dorthe
Liebe Dorthe, ich danke dir sehr für dein liebes Feedback.
Ja, es ist verrückt mit diesem Familiending.
Ich glaube dieses “das war es jetzt” fühlt sich immer ein wenig komisch an.
Wenn man den Gedanken dann aber von einer anderen Seite betrachtet, ist das alles gar nicht mehr so doof.
Freu dich auf die Freiheit. Ich finde, sie fühlt sich auch großartig an.
Alles Liebe,
Claudi
oh wie schön war das jetzt zu lesen. tolle jungs!
ich bin eine omi, erinnere mich an alte zeiten. meine schwester und schwager waren auf besuch (ihre kinder waren hier bei der oma untergebracht) , so wollten wir gerne mal zusammen in eine gute pizzeria gehen und unser 9 jähriger wollte auch auf seine beiden jüngeren schwestern aufpassen. war wie bei euch, chips und fernseher mit kindergerechter sendung an. die kleinste (knapp 1) schlief fest, als wir weggingen. damals war noch keine handyzeit, also groß die telefonnummer des lokals (10 minuten fußweg) ans festnetztelefon gelegt und dem besitzer des lokals gesagt, dass vielleicht ein anruf unseres sohnes kommt.
der kam um 22h, söhnchen sagte, es ist alles klar, aber die kleine ist munter geworden.
“ich will nur nachfragen ob wir mit ihr spielen dürfen und sie rausholen aus dem bett”.
das durfte er und wir sagten, wir machen uns gleich auf den weg. 🙂 eilig liefen wir heim, zuhause war alles in bester ordnung. 🙂
Was für eine schöne Erinnerung. So toll gemacht haben sie kleinen Großen das.
Ich glaube ja feste daran, dass sie das zusammenschweißt.
Alles Liebe,
Claudi
Wieder mal ein echt wunderschöner Text! ….Gänsehaut vorprogrammiert ♡
Ich danke dir!
Herzliche Grüße,
Claudi
Liebe Claudi,
Vielen Dank, dass du diese Erfahrung mit uns teilst.
Wir sind gerade auf der Suche nach einem neuen Babysitter, da unsere “alte ” Babysitterin, die immerhin gut 6 Jahre bei uns war, nun selbst Nachwuchs bekommt 😍 Die Suche gestaltet sich schwierig. Schon oft hab ich mich gefragt, ob die vier das auch alleine hinbekommen, aber ich bin mir nicht sicher. Ist es meine Angst?
Toll dass dein Großer es sich selbst zugetraut hat und ihr ihm das Vertrauen geschenkt habt.
Wie alt ist euer Großer?
Lieben Gruß, Amelie
Liebe Amelie, ich glaube, es sind tatsächlich oft wir, die UNS das noch nicht zutrauen.
Ich gebe mir da gerade sehr viel Mühe, weil ich merke, wie gut es meinen Kindern tut, wie ausgeglichen sie sind,
wenn ich sie loslasse. Und sie mir das Gefühl geben, ihnen näher als je zuvor zu sein.
Liebe Grüße!
Claudi
😂 Deine Jungs sind großartig 😂
Hihi, das gebe ich weiter!
Liebe Grüße,
Claudi
Liebe Claudi, ich liebe deine Texte und diesen hier besonders. Es war als beschreibst du meine Jungs. Genauso läuft es ab. Und auch unser Haus steht, sie hatten sogar Zähne ohne maulen geputzt und lagen in ihren Betten und nicht wie vermutet vor dem Fernseher. Ach unsere Kinder sind toll und wir können so stolz auf sie sein. Danke, dass du deine Erfahrungen immer in so tolle Texte fasst.
Ich danke dir für dein liebes Feedback!
Schönes Wochenende,
Claudi
Moin Moin,
Ich habe Gänsehaut beim Lesen. So schön geschrieben (erzählt). Da werden Erinnerungen wach, jetzt bin ich eine Omi mit zwei tollen Enkelkindern und freue mich aufs Aufpassen, sie übernachten immer sehr gerne bei Omi und Opi.
PS freue mich auf den nächsten Donnerstag Live auf Instagram
Liebe Grüße
So ein schöner Text, liebe Claudi ♥️! Er lässt mich in Vorfreude auf die Zeit zurück, wenn meine kleine Madame so groß ist (derzeit ist sie anderthalb) und vielleicht auf ihr Geschwisterchen (aktuell im Buch und so groß wie eine Avocado) aufpasst. Hab vielen lieben Dank und ein tolles Wochenende – Deine Texte sind immer ein Highlight für mich!
*Bauch