“Kommt doch noch vorbei”, sagten unsere Freunde am Telefon, “es ist wunderschön hier.” Wir schauten uns an, auf der Raststätte irgendwo in Österreich. Wir waren auf der Rückreise von Korsika, abenteuerlustig, kein bisschen reisesatt; André zog fragend die Augenbrauen hoch, ich grinste. “Okay”, sagte er ins Telefon, “wir kommen. Wo seid ihr genau?” Stille. “Wo?”, fragte er noch einmal. Und dann: “In Dinkelswas…?”
Reisen mit Kindern, Dinkelsbühl

Ich merkte, dass André beim Weiterfahren immer wieder sanft den Kopf schüttelte. “Wieso machen die da Urlaub?”, sagte er. Ich hatte Google auf meinem Schoß. “Du, ich glaube, da ist es wirklich wunderschön…”, sagte ich. “Der Focus hat Dinkelsbühl wohl vor einer Weile sogar zur schönsten Altstadt Deutschlands gekürt.”  “Aha…”, sagte der Mann. “Ich bin ja so gespannt!”, sagte ich.


Im Nachhinein ist es fast peinlich. Beim Recherchieren finde ich nämlich heraus, dass scheinbar halb Amerika von der Gegend schwärmt. Dass sich tausende Amerikaner in bunten Bussen regelmäßig auf “Explore-beautiful-Germany”-Touren über die Romantischen Straße von Würzburg bis Rothenburg ob der Tauber schaukeln lassen, an schnuckeligen kleinen Orten auf bewaldeten Hügeln vorbei, links und rechts alles “Amazing”: Kirchtürme, Weinberge, Landschaften –  wie von glücklichen Modelleisenbahnbauer gestaltet. Und wir waren noch nie da. Schlimmer: hatten noch nie davon gehört.

Reisen mit Kindern
Reisen mit Kindern in Deutschland
Dabei fühlt es sich seltsam vertraut an, als wir schließlich über Kopfsteinpflaster in die kleine Stadt hinein rumpeln. 91550 Dinkelsbühl, Mittelfranken, kommt mir sofort bekannt vor: Aus den Wimmelbüchern der Kinder, Märchenbüchern, von altmodischer Teetassenmalerei – und den alten, übercolorierten Fotos meiner Eltern in der Schrankwandschublade. Die Jungs und ich können nicht aufhören, uns gegenseitig vorzuschwärmen: “Schau doch diese Stadtmauer, ja Wahnsinn, diese Türme. Sind die bunten Fassaden nicht hübsch? Und diese Weinranken!” Jede kleine Gasse ein Postkartenmotiv.

Im Ort ist die Höchstgeschwindigkeit zehn Kmh, wir gucken also im Joggingtempo heile Welt. Alle Häuser innerhalb der Stadtmauer stehen unter Denkmalschutz, habe ich recherchiert, wer sein Haus neu streichen möchte, kann aus einem mittelalterlichen Farbkatalog wählen. Werbeplakate sind verboten, Zigarettenautomaten sind verboten, Neonwerbung sowieso – stattdessen werden die Namen der Läden jeweils von einem Maler in altmodischer Schrift an die Häuserfassaden gepinselt. “Dave´s Funkpunkt” steht tatsächlich in altdeutscher Schrift über dem Handyshop.

Die nächsten drei Tage bummeln wir durchs Bilderbuch: Morgens schlendere ich zum Bäcker, flaniere über den kleinen Markt. Mal kommt kein Kind mit, mal eins, mal alle drei: Ich trinke jedes Mal einen Kaffee auf der warmen Steinstufe vom Brothaus, unserm Lieblingsbäcker, beobachte Tauben und Kleinstadttreiben im Zeitlupetempo. Auf dem Rückweg schaue ich kurz im Buchladen vorbei, lese mich durch ein paar Klappentexte hinweg, alles herrlich entspannt – bloß die pinken Geranienblüten drängeln vor dottergelber Fassade.

Kinder sind in Dinkelsbühl besonders gern gesehen. Kein Wunder, schließlich haben Kinder die Stadt angeblich einst gerettet. Als nämlich im dreißigjährigen Krieg Soldatenheere auf die Stadt zu marschierten, um sie zu zerstören, sollen sich die Kinder der Stadt in den Weg gestellt und um Gnade gebeten haben. Mit Erfolg – die Soldaten verschonten die Stadt. Einmal im Jahr wird diese Geschichte, die “Kinderzeche” in bonbonbunten Kostümen feierlich nachgespielt – die halbe Stadt macht mit beim historischen Spektakel.

Jepp, Dinkelsbühl möchte gern Kinder anlocken (und nicht bloß Busladungen von Amerikanern und Senioren in tarnfarbenen Anoraken) und hat sich einiges dafür einfallen lassen. Es gibt wunderschöne Spielplätze (unser Favorit ist der an der “Bleiche”), weite Wiesen mit Apfelbäumen zum Herumtoben, Hängematten zum Schaukeln oder Ausruhen. Es gibt einen Poltergeist in der Stadtmauer, hinter dem kleinen Gitterfenster, den man bei einem Rundgang suchen kann (und der vielleicht sogar mit einem spricht).

Jugendherberge Dinkelsbühl, Reisen mit Kindern

Bei Regen lässt sich das Haus der Geschichte auf einem eigenen Kinderpfad zusammen mit „Mathis, dem Landsknecht“ entdecken, jedes Kind ausgestattet mit Hut, Tasche und einem Zeitreiseausweis. Bei der Touristen-Information lässt sich eine Hexen-Stadtführung buchen oder einen Rundgang mit einem Nachtwächter, der startet von November bis April jeweils freitags und samstags um 21:00 Uhr, von Mai bis Oktober ist der Nachtwächter täglich ab 21:00 Uhr unterwegs. Der spannende Spaziergang ist sogar kostenlos.
Reisen mit Kindern
Es gibt (bezahlbare!) Fahrten mit dem Planwagen hinter gutmütig schnaubenden Kaltblütern. Per Ruderboot lässt sich die Stadtmauer auch von der anderen Seite, nämlich vom Wasser aus erkunden. Im Garten der Sinne gibt es einen kleinen Barfußpark und eine Kräuterspirale für Schnupperdetektive. Ältere Kinder haben vielleicht Lust, die Stadt auf eigene Faust zu entdecken, nämlich per QR-Codes an den schönsten Gebäuden. Ist der Code eingescannt, gibts aufs Handy Informationen über genau das Gebäude, vor dem man gerade steht.

Zum Übernachten empfehle ich die wirklich wunderschöne, herrlich entspannte Jugendherberge, von der die gesamte Innenstadt sogar für kurze Dreijährigen-Beinchen gut zu erlaufen ist.

Das Allerlustigte kommt am Abend. Zunächst funkelt bei gutem Wetter beinahe italienisches Flair in den Gassen, gegen Mitternacht wird es dann dunkel, bloß blasse Grundbeleuchtung sorgt dafür, dass man nicht übers Kopfsteinpflaster stolpert. Wer mag, kann aber am Stadtbeleuchtungsautomaten (an der Schranne) ein paar Euro einwerfen und anschließend durch die hell beleuchtete Stadt heimwärts flanieren. Was für ein Spaß!

Wieder zuhause erzählen wir Freunden von unserer langen Sommerreise. “So richtig schön wars auch in Dinkelsbühl!”, sagt André. “Dinkelswas…?”, fragen unsere Freunde.

UNSERE FAVORITEN IN DINKELSBÜHL

Flussbaden:
Bei unserem Besuch in Dinkelsbühl war es so heiß, dass wir nachmittags unbedingt baden wollten. Wir gingen also zu Fuß zum ofenwarmen Auto, das wir draußen vor der Stadtmauer geparkt hatten (in der Innnstadt parken ist quasi unmöglich), setzten uns rein, schnallten alle Kinder an und googelten nach der schönsten Badeanstalt. Als wir eine gefunden hatten, die wirklich schön aussah und super bewertet war und André gerade eben den Motor gestartet hatte, sagte das Navi: “Sie haben ihr Ziel erreicht.”

Dinkelsbühl hat also tatsächlich auch noch ein richtig schönes Schwimmbad, genauer gesagt eins der letzten Flussbäder in Bayern, mit einer großen Liegewiese, einem Sprungturm, zwei Kinderbecken, einer beschatteten Sandkiste und kostenlosen Surfbrettern zum Ausleihen.

Durchfuttern:
Jeden Mittwoch und Samstag ist zwischen 8 und 12 Uhr ein kleiner Bauernmarkt direkt vor der St.-Georgs-Kirche. Es gibt Blumen, frisches Obst und Gemüse und einen richtig tollen Käsestand. Perfekt, um den Picknickkorb zu füllen.

Eis essen
Die selben Farben wie die Fassaden: die wahnsinnig leckere Eisauswahl bei Crema Gelato. Und zum Glück abends lange geöffnet. Es gibt sogar Eis für Hunde (mit Leberwurst). Meine beiden Großen haben täglich gewettet, wer es sich traut zu probieren – und haben dann zum Glück doch Mango genommen.

Dinkelsbühl mit Kindern,
Schön schunkeln
Wir hatten Glück. Als wir in Dinkelsbühl waren, gab es im Innenhof des Heiliggeistspitals ein riesengroßes Musikfest, mit Spielmanszügen, Rumtatamusik, köstlich klebrigen Käsespätzle to go (für 4,50 Euro) und Weinschorle in Bierkrügen (in süße oder sauer). Wir staunten alle sechs, bis wir an einem der langen Tische mit ein paar Franken schunkelten – und Bo schließlich beim Posaunen-Pomp auf meinem Arm einschlief.

Es gibt dort im Sommer wohl öfter Feste (sowie im Winter einen wunderschönen Weihnachtsmarkt). Falls ihr dort vorbei kommt und Musik hört, hin da!

Duchgenudelt
Wir essen alle sechs sehr, sehr gern Pasta, daher waren wir hin und weg von der Nudelmanufaktur Hezelhof. Klar mussten ein paar Sorten mit, dazu gleich noch ein paar Soßen für uns zuhause (und als Mitbringsel).

Aufsteigen
Lasse und ich sind trotz Hitze (an seinem Geburtstag) die 222 Stufen auf den Turm des Münsters St. Georg hochgestiegen – und hatten einen wunderbaren Ausblick über das rotbraune Dachziegelmeer. Wunderschön! (Der Eingang ist am Marktplatz links neben dem Haupteingang der Kirche. Die Öffnungszeiten sind von Mai bis Oktober jeweils Freitag, Samstag, Sonntag von 14 bis 17 Uhr, am besten vorher einmal checken lassen. Wenn jemand in der Kirche ist, darf man aber auch mal so hoch. Der Eintritt kostet 1,50 Euro.)

Lecker essen:

Spitze Spätzle
Ich liebe, liebe bodenständige Küche. Im Weissen Ross gibt es sie – und dazu unzählige Gemälde an den Wänden. Alle Bilder stammen von Künstlern aus aller Welt – jeweils getauscht gegen eine warme Mahlzeit. (Soll noch heute funktionieren. Falls ihr also zufällig ein Kunstwerk in der Tasche habt…)

Unsere Freunde waren außerdem noch hier und fanden es toll:
Museum 3. Dimension
Hier dreht sich alles um optische Täuschungen. Ein kleines, feines, privat geführtes Museum, was vor allem Kindern zwischen vier und zehn ganz bestimmt viel Spaß macht. (In der Sommersaison täglich von 10 (bzw. 11) Uhr bis 17 (bzw. 18) Uhr geöffnet, im Winter verkürzte Öffnungszeiten).

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Ein schönes Wochenende,

Claudi