Je nach Tagesform bin ich gerade voller Vorfreude – oder voll verzagt. Denn dieser Tage schule ich mein zweites Kind ein. Einerseits ein Wow-Gefühl – meine Kleine jetzt schon so groß, ich bin so stolz, sie macht das alles bestimmt ganz toll! Und andererseits denke ich an die letzten eineinhalb Schuljahre meines Großen, der jetzt Drittklässler wird. Ich denke an Homeschooling-K(r)ampf, an Frust auf beiden Seiten, an Motivation, die schleichend abhanden kommt. Und mein Magen zieht sich zusammen, weil: Das will ich definitiv nicht noch einmal erleben…

Was ich aber vor allem nicht will: Dass dieser Zustand der Schulstart meiner Tochter wird. Dass ihr der Enthusiasmus genommen wird, bevor sie überhaupt das ABC schreiben kann. Will nicht wieder Feelgood-Manager, Grundschullehrerin ohne Plan, Ansporn-Mama sein müssen.

Natürlich ist das vor allem eine Frage der Politik: Ob sie ihre vollmundigen Versprechungen (“Kinder haben oberste Priorität”) diesmal halten wird, halten kann. Aber jenseits von Entscheidungen in Berlin oder in den Bildungsministerien der Länder gibt es ja auch noch ganz eigene Spielräume für Schulen und Lehrer, wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich sehr anschaulich schrieb. Denn auch das hat die Corona-Krise bewiesen:

Schulen, die neue Fächer und Late-Night-Formate erfunden haben, den Stundenplan aufgelöst, Mut zur Eigeninitiative bewiesen haben.

Schulen, die Frontalunterricht abgeschafft und Projektarbeit ausprobiert haben – ganz ohne Verordnung von Schulbehörden. Weil sie eine andere, eine neue Art von Schule denken mussten – für die Kinder und für sich. Und erfahren haben: So geht es auch. Im Zweifel sogar besser.

Als Mutter (und zweifaches Lehrerkind) wünsche ich mir von Herzen, dass die Lernlust unserer Kinder nicht wieder zum Spielball politischer Entscheidungen wird – sondern mit Motivation und Mut vor allem von den Schulen und Lehrern geprägt wird. Ich weiß, dass all das Zusätzliche Kraft kostet. Dass viele Lehrer im vergangenen Jahr bereits über sich hinaus gewachsen sind.

Aber ich bin überzeugt, dass es so sehr lohnt, mehr als Schema F zu tun. Nicht nur für die Schüler, ganz bestimmt auch für die Lehrer selbst. Und manchmal braucht es gar nicht so viel mehr Energie – sondern nur ein wenig Empathie und Neugier. Fünf Ideen für ein besseres Schuljahr 2021/22, inspiriert von Vorschlägen der Süddeutschen:

Erste Stunde: Einfühlungsvermögen

Wie geht es Dir? Was als Standard-Phrase zum Small Talk gehört, sollte im neuen Schuljahr allerorts von Herzen kommen – und mit ganz-genau-hinschauen einhergehen. Denn Studien zeigen sehr drastisch: Kaum ein Kind ist absolut unbelastet durch die Pandemie gekommen. Ängste, Zweifel, Ticks haben durch alle Altersklassen hinweg zugenommen. Und als sei das nicht genug, sind für viele Erstklässler noch die Schuleingangsuntersuchungen weggefallen.

So wird mehr denn je auch Aufgabe der Schulen und Kollegien sein, die Schüler in all ihren Facetten zu sehen – und im Zweifel Hilfsangebote zu machen. Und hier kommt dann doch wieder die Politik ins Spiel: Lehrer müssten durch entsprechende Fortbildungen geschult werden. Aber auch ohne Unterstützung von oben kann eine gute Beziehung zwischen Lehrern und Schülern ein wichtiger Schritt zu einer Schule sein, die das Kind vor dem Schüler sieht.

Zweite Stunde: Entschleunigung

Ja, im Kuddelmuddel aus Distanz- und Wechselunterricht, zwischen verbindungsschwachen Jitsi-Meetings und unverständlichen Wochenplänen, ist jede Menge Stoff auf der Strecke geblieben. Aber als Antwort darauf jetzt mit Vollgas durch den Lehrplan des neuen Schuljahres brettern? Bitte nicht! Denn Stress hatten wir alle – Schüler, Lehrer, Eltern – im letzten Jahr zur Genüge.

Natürlich muss viel nachgeholt werden, wiederholt – doch vor allem müssen die Kinder sich wieder ans Lernen gewöhnen. Den Spaß neu entdecken, die Wissensvermittlung durch dafür ausgebildete Pädagagogen machen kann – und machen soll! DAS sind die wahren Grundlagen, auf die alles weitere aufbaut.

Denn mal ehrlich: Wie lustig ist es, Nomen zu pauken, während Mama genervt mit einem Bein im Homeoffice steht, nebenher die kleinen Geschwister zur Ruhe verdonnert und den bedauernswerten Homeschooling-Eleven dabei mäßig motiviert durch sein Deutsch-Heft lotst? Eben. Dagegen kann Schule nur haushoch gewinnen.

Dritte Stunde: Entschlackung

Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen als die preisgekrönte Grundschulleiterin Nicola Küppers: “Ob wir in der Krise die Lerneinheit über die Tulpe durchbekommen oder nicht, ist für die Kinder doch völlig unwichtig. Ob wir sie mit Schule weiter erreichen und wirklich Lernen ermöglichen, dagegen zentral!”

Dass Lehrpläne seit Jahren proppevoll sind, ist kein Geheimnis. Genau jetzt wäre die Gelegenheit, nach pädagogischem Ermessen auch mal bewusst Leerstellen zu lassen. Für solides Grundlagenwissen ist bestimmt nicht jeder Unterrichtseinheit zwingend erforderlich. In den Schüler-Profi-Disziplinen “kreatives Auslassen” und “gekonnt Halbwissen vermitteln” dürfen jetzt auch mal die Lehrer glänzen. Und was eine Tulpe ist, kann ich meiner Tochter auch gern nachmittags im Garten zeigen – ohne Leistungsdruck, dafür mit viel Spaß an der Freude. Und wenn nicht, ist ihr die Zukunft auch nicht verbaut.

Vierte Stunde: Erforschen

Was Post-Corona-Schule braucht, ist Forschergeist – und Freigeister, die ausloten, welcher Unterricht noch zeitgemäß ist. Warum nicht Lehr-Tutorials auch im Präsenzunterricht einsetzen oder schulfremde Themen als Workshops anbieten?

Nichts spricht dagegen – außer vielleicht der Wunsch nach lieb gewonnenen Gewohnheiten. Die aber schon lange – viel länger als Corona andauert – nicht mehr den Bedürfnissen von Heute entsprechen. Das hat die Pandemie gnadenlos ausgeleuchtet. Ja, es braucht Neugier, und sicher auch viel Energie, neue Wege zu suchen und zu gehen. Aber ist es das nicht wert?

Dass solche Reformen mehr als lohnen, hat Schulleiter Björn Lengwenus bewiesen: In seiner mit dem Grimme Online Award ausgezeichneten Dulsberg Late Night-Show hat der Hamburger im ersten Lockdown aus der leeren Aula seiner Schule eine tägliche Show gesendet – als launige Begleitung zum Homeschooling. Über die Wochen band er nicht nur Schüler und Lehrer in seine digitale Schule ein – sondern auch einen ganzen Stadtteil, der gemeinhin als Problemviertel gilt. Ein fantastisches Format für mehr Zusammengehörigkeitsgefühl in Zeiten der Vereinzelung.

Fünfte Stunde: Erfragen

Dass Schüler laufend Feedback zu ihren Leistungen (oder Schwächen!) bekommen, ist Usus. Nur: Andersrum ist meist Sackgasse. Warum nicht das Daumen-hoch-oder-runter-Prinzip auf Lehrer und Schule ausweiten? Manche Schulen machen das tatsächlich schon seit Jahren, fragen regelmäßig Gestaltungswünsche und Unterrichtsfeedback ab.

Nach eineinhalb Jahren Ausnahmezustand wäre das für alle Schulen ein relativ simples Mittel, neue und authentische Impulse für kreativen Unterricht und ein besseres Miteinander zu erhalten. Und sei es nur der Tipp, dass digitale Kern-Kompetenz auch von Lehrkräften jenseits der 50 erwartet werden darf…

All das sind Anregungen.

Mir ist klar, dass keine Schule, kein Kollegium aus dem Stand und im Alleingang Unterricht revolutionieren kann. Aber jeder kann sich auf den Weg machen, allein oder im Team. Kann hier etwas ausprobieren, da etwas anders machen. Und schauen, ob es (besser) funktioniert. Das wäre mein sehnlichster Wunsch. Für unser aller Kinder.

Gerade ist uns Post ins Haus geflattert.

Ein Einschulungsbrief der beiden Klassenlehrerinnen meiner Tochter, ein Countdown zum Ausmalen. Eine Geste, die mich sehr berührt hat. In der neuen Klasse meiner Tochter wird offenbar ganzn viel Wert darauf gelegt, dass sich alle von Anfang an willkommen und an die Hand genommen fühlen. Dass Schule etwas ist, worauf man sich unbedingt freuen soll, freuen darf. Mit jedem ausgemalten Schiff – “Mama, nur noch fünf Tage!” – steigt ihre Vorfreude. Und meine jetzt auch wieder. Ich hoffe auf  viele Schönwetter-Fahrten für meine Erstklässlerin. Und für alle anderen Schüler auch.

Jetzt müssen nur noch die Schulen offen bleiben.

Und wie schaut ihr dem neuen Schuljahr entgegen?

Alles Liebe,

Katia