“Du bist jetzt die Babyprinzessin und ich bin die böse Königin und dann verhau ich dich und bist du tot, okay…?” Wär jetzt nicht unbedingt mein Spiel. Aber mein Jüngster ist Feuer und Flamme, seine Stimme überschlägt sich vor freudiger Aufregung: “Mama, ich bin jetzt die Babyprinzessin und dann bin ich tot!!” Für den Dreijährigen gibt es gerade nur eine Instanz, und das ist seine große Schwester. Sie ist sein Ein und Alles, Vorbild und Lieblingsgefährtin.
Ob spielen oder schlafen gehen, trösten oder Trampolin springen, mein Sohn verlangt nach seiner Schwester. Könnte er seine Erziehungsberechtigte selbst auswählen – ich wäre es nicht. Wenn er aufwacht, fragt er als erstes nach ihr. Hat er Hunger, mopst sie ihm Schokolade aus dem Kühlschrank. Spielt sie allein mit einer Freundin, ist er am Boden zerstört. Sie ist seine Superheldin, er ihr größter Fan. Moralisch und modisch. Das ist absolut bezaubernd. Und zudem oberlustig, was das für Style-Blüten treibt.
Mein Sohn verkleidet sich nicht als Pirat oder Polizist. Sondern als Primaballerina.
Im rosa Tüll-Tütü seiner Schwester. Ihr abgelegter Glitzerrock ist sein größter Schatz. Den hatte er auch im letzten Sommer zur Feier ihrer Einschulung an. Hand in Hand mit der ebenfalls berockten Schwester. Stolz wie Bolle. Er liebt pink, Glitter, alles, was glänzt. Wie sein Idol. “Ich hab mich schick gemacht”, erklärte er kürzlich mit feierlichem Ernst, als er wie eine Mischung aus Jane Fonda und Elsa vor mir stand. Die Schule seines Kinderlebens ist auch ein gutes Gender-Training. Ganz ohne mein Zutun.
Was es für mich um so rührender macht: Mein Sohn ist nicht gerade der filigrane Typ. Unser französischsprachiger Nachbar brachte es mal sehr hübsch auf den Punkt: “Il a présence.” – er hat eine gewisse Präsenz. Und zwar nicht nur, was sein Temprament anbelangt. Bob der Baumeister ist ihm von der Statur einfach näher als Anna oder Elsa. Aber er trägt Krönchen oder Meerjungfrauen-Kostüme mit so großer Selbstverständlichkeit, dass es mich immer wieder umhaut. Vor Liebe. Und manchmal auch vor Lachen.
Wenn er mit Rock in die Kita will, geht er eben im Rock.
Er liebt bunte Haarspangen und meine roten Cowboyboots. Darin sieht er aus wie David Bowie zu Ziggy Stardust-Zeiten, befand meine Schwester. Einfach ziemlich cool. Er hat einen Blick für modische Finessen: “Mama, du siehst aber hübsch aus!”, rief er kürzlich ganz begeistert, als ich mal Makeup zu Maxi-Kleid statt Augenringe zu Schlabberlook trug. Meinem großen Sohn würde es vermutlich nicht mal auffallen, wenn ich im Bustier-Top und Stilettos unterwegs wäre.
Bei uns gibt es keine rosa-oder-blau-Debatten. Mein Jüngster liebt lila. Punkt. Farben, Spielzeuge, Hobbys – nichts davon ist zwingend einem Geschlecht zugeordnet. Alle meine Kinder akzeptieren das. Auch wenn mein Großer nie Nagellack wollte. Und seine Schwester Fußball öde findet. Aber sie wissen, dass jedem alles offen steht. Dass Freiheit beim Denken beginnt. Und Vorliebe für Glam-Style keine Frage des Geschlechts ist. Ihr kleiner Bruder ist der lebhafteste Beweis dafür.
Ich wünsche meinem Jüngsten, dass er so unbefangen bleiben kann.
Und mir wünsche ich es ehrlicherweise auch. Ist es eine Phase oder schon Persönlichkeit? Jetzt finde ich es einfach lustig, mit meinem kleinen Crossdresser unterwegs zu sein. Und bislang habe ich auch nie erlebt, dass irgendjemand davon befremdet gewesen wäre.
Aber würde es bei freundlicher Belustustigung bleiben, wenn er älter wird? Hätte ich nicht den Impuls, ihn vor möglichem Spott zu schützen? In der Schule, im Leben außerhalb? Wo er nicht mehr permanent mit dem familiären Du-bist-genauso-gut-wie-du-bist-Mantra ummantelt ist?
Andererseits vertraue ich bei keinem meiner Kinder so sehr darauf, dass es seinen Weg gehen wird.
Gegen alle Annahmen. Er war das Überraschungsbaby, mit dem keiner gerechnet hat. Er ist der Dritte, der sich gegen zwei große Geschwister behaupten muss. Er ist unser größter Freigeist, der größte Dickkopf sowieso. Er wird von vier Menschen bedingungslos geliebt. Er macht das schon – ganz gleich, was es sein wird. Selbst hier auf dem Dorf, wo Diversität nicht unbedingt Alltag ist. Sein Charme ist sein größter Pluspunkt. Er ist, wer er ist, absolut unerschütterlich.
Nicht zu vergessen seine engagierteste Fürsprecherin. “Du siehst sooo toll aus!”, freute sich die große Schwester kürzlich, als sie ihn mit Lippenstift, Glitzerhaarreif und Sommekleid ausstaffiert hatte. Und er strahlte. Von innen heraus. Ich glaube, solange sie an seiner Seite ist, prallt alles von ihm ab. Bleibt nur zu hoffen, dass sie ihren kleinen Bruder noch lange nicht über hat.
Habt ihr auch solche coolen Crossdresser zuhause?
Alles Liebe,
Mein Sohn ist 4 Jahre alt und trägt auch am liebsten seinen linken Glitzer Rock. Auch in die Kita. Er musste sich schon öfter gegen „ Häh, rosa ist nur für Mädchen“ oder „Du kannst keinen Rock tragen, du bist ein Junge“ der anderen Kinder verteidigen, Bis jetzt scheint das aber an ihm abzuprallen. Er wiederholt dann Mantra mäßig mein „Jeder kann tragen, was er will!“.
Falls es mal schlimmer werden sollte, will mein Freund ihn im Rock von der Kita abholen. Also er will den Rock tragen, nicht das Kind. Statement.
Wenn in der Kita geschminkt wird, ist er übrigens Blumen Mädchen oder Vampir Mädchen. Genau wie seine beste Freundin. Und neulich sagte er: „ Wenn ich groß werde, werde ich Mama“ Mein erster Impuls war es, zu einer Erklärung anzusetzen. Dann habe ich mich besonnen und ihm gesagt, dass er alles werden kann, was er möchte.
Neulich in unserem Stamm-Supermarkt war es es sehr lustig. Er ist ein äußerlich auffälliges Kind und wir kaufen immer dort ein, sodass wir eigentlich bekannt sind. Plötzlich wurde er von der Post Dame angesprochen, wie toll er das Paket trägt und ich von der Kassiererin, wie süß meine Tochter wäre. Alles nur wegen des Rocks, mit Hose ist uns das noch nie passiert.
Hej liebe Anne, danke, dass du hier deine bezaubernde Geschichte teilst. Ich finde die Rock-Idee deines Freundes übrigens absolut großartig!! Das ist die einzig passende Replik für alle Spötter. Alles Liebe!
Zu der Assage “Wenn ich groß bin, werde ich Mama”, die ich in jeglicher Hinsicht total cool finde, es gibt doch kein größeres Kompliment an die Mutterschaft, gibt es ein tolles Kinderbuch, was meine Jungs gerne lesen: “Heinrich will brüten!”. Viee Grüße Fritzi
Hej liebe Fritzi, das hab ich (leider) noch nicht von ihm gehört… Kann ja noch kommen. wobei: nach seinem aktuellen Faible müsste es eigentlich heißen: wenn ich groß bin, werd ich große Schwester… 😊 Das Buch muss ich mir mal ansehen, Danke für den Tipp! Alles Liebe
Herrlich!
Vielleicht ist er ja wirklich so selbstbewusst, dass er seinen Stil auch als „großer Junge“ durchzieht.
Hier hat das mit Ende fünf leider langsam aufgehört.
vorher hat mein Sohn sehr gerne rosa/lila und auch Glitzer getragen.
„Alle Farben sind für alle da“ war sein Kitamantra.
Irgendwann hat er dann aber leider doch gesagt „nee, das ist für Mädchen!“
Leider ist das hier in der Kleinstadt immer noch sehr, sehr fest in den Köpfen der Erwachsenen und damit auch der Kinder.
Immerhin, die langen Haare hat er sich erhalten 😉
Viel Spaß euch!
Und herrlich, dass alle so sicher sind, dass er seinen Weg – wie auch immer – gehen wird. Das ist so ein gutes Gefühl!
Grüße
Hej liebe Christina, danke für deine lieben Worte! “Alle Farben sind für alle da” gefällt mir – das mops ich gleich für uns mit 🙂 Ich hab auch noch keinen Schimmer, in welche Richtung sich das weiter entwickelt, und mir ist es auch gleich. Hauptsache, er ist froh mit sich. Alles Liebe!
Hier genau so! Mein Sohn sagt immer „Rosa ist für alle da.“ Er merkt aber jetzt in der Schule, dass er belächelt wird, wenn er pink als seine Lieblingsfarbe äußert. Schade! Er trägt auch ohne zu Zögern die ausrangierten Blümchenschuhe seiner großen Schwester zum Spielplatz. So soll es sein, oder! Alles für alle!
Hej liebe Anika, der Dreijährige hier trägt nicht nur die Röcke seiner Schwester auf – auch ihre pinken Sneaker, ihre lila Winterjacke, die rosa Ringelmütze… Ich seh gar nicht ein, all die tauglichen Kinderklamotten verstauben zu lassen, nur weil es nicht ins überholte Farbschema passt 😉 Bin gespannt, wie es hier so mit den Vorlieben weitergeht… Alles Liebe für euch!
Super Text 🙂
Ich habe den Eindruck, dass besonders die (kleinen!) Jungs für ihr “crossdressing”, wenn man es so nennen will, gefeiert werden. Ich finde es wichtig, andersrum auch die “untypischen” Mädchen zu feiern. Die, die mit Glitzerkram und Pferden nichts zu tun haben wollen, Elsa und Anna doof finden, auf “nur Hose” bestehen, kurze Haare haben und auf die Frage nach der Lieblingsfarbe “grün” sagen…
Und eins muss einem klar sein, dein Text zeigt es ja auch: die Kinder haben mit dem ganzen Thema kaum ein Problem. Wir Erwachsenen hingegen kommen von unserer zweigeteilten Geschlechter-“Ordnung” nicht runter…
Beste Übung für mich: nicht korrigieren, wenn jemand mein Kind “falsch” einordnet 😉 Die Stereotype, die andere verbreiten, einfach so stehen lassen, ist schwerer als gedacht!
Liebe Grüße!
Hej liebe Sina, danke für deine Ergänzung- absolut! Glücklicherweise ist meine Tochter auch kein MädchenMädchen, sondern meist ein echter Tomboy. Aber vielleicht fällt es mir da nicht so sehr aus, weil ich selbst auch eher ein Hosenmädchen war. 😉 Vor allen meine beiden jüngeren mischen Geschlechterzuschreibungen ordentlich auf, lediglich mein Großer ist eher klassisch mit Fußball, Star Wars etc. aufgestellt. Dafür der größte Kuschler der drei ❤️
Alles Liebe!
Mein dritter Sohn ist fast 10 und neulich meinte er, warum darf nicht jeder einfach anziehen was ihm gefällt und keiner darf einen auslachen! Und: warum ist es cool wenn Mädchen Bubensachen anziehen (wie seine 6jährige Schwester), aber Jungs dürfen keine Mädchensachen anziehen?
Seit er 4 ist,hatte er immer wieder sehr intensive Mädchenphasen. Er hat das nur zuhause ausgelebt, es war/ist für alle komplett ok. Jetzt möchte er sich auch in der Schule nicht mehr typisch jungsmäßig kleiden, so richtig mädchenhaft aber auch nicht. Er hatte immer schon nur Mädchenfreundschaften und ist auch in der Klasse akzeptiert. Jetzt, wo die Pubertät in den Startlöchern wartet und ein Schulwechsel bevorsteht, wird das Thema aber immer intensiver und beschäftigt mich auch mehr. Was wenn er in der neuen Schule nicht so akzeptiert wird wie er ist? Fühlt er sich wirklich im falschen Körper oder ist es nur ein Sich-ausprobieren? Zum Glück ist er sehr selbstbewusst und ich bin mir sicher, er geht seinen Weg und wir begleiten ihn, auch wenn er nicht einfach wird! ♡
Lg Carmen
Hej liebe Carmen, was für eine schöne, mutmachende Geschichte, danke, dass du sie hier teilst. Ja, in dem Alter wird es sicher schwerer im Außen für diejenigen Kinder, die nicht stromlinienförmig sind. Umso besser, wenn sie mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein ausgestattet sind – das ist der beste Panzer gegen doofe Kommentare. Aber ich kann mir vorstellen, dass es für dich als Mama auch nicht ganz einfach ist, ihn seinen vielleicht beschwerlicheren Weg gehen zu lassen. Alles Liebe für euch!
Mein Sohn ist gerade 2 geworden und bedient sich schon jetzt am liebsten am Kleiderschrank der großen Schwester…egal ob rosafarbene Leggins oder das Weihnachtskleid…er muss es anprobieren und trägt es dann so lange er Lust darauf hat. Am Anfang war ich erstaunt und dann habe ich gedacht: „Warum denn nicht…“. Lackieren sich Mama und die Schwester die Fingernägel will er auch. Er darf sich entfalten und bei uns zu Hause weiß jedes Familienmitglied das Farben für alle da sind. Alles Liebe für Euch.
Hej liebe Wenji, genauso muss es doch sein! 🙂 Ich denke, dass vor allem die Kleinen einen noch größeren Drang haben, sich auszuprobieren: Sich zu verwandeln, sich zu verkleiden, sich asuzuprobieren. All das gehört zu ihrer Persönlichkeitsentfaltung dazu. Ob sich dein (oder mein Kleiner) auch mit 8 noch die Nägel lackieren will? Wird sich zeigen. Aber am wichtigsten ist ihre Erfahrung: Ich darf das. Alles Liebe für euch!