Der Gedanke kam öfter in letzter Zeit. Wenn ich meine Runde laufe und mein Kopf an mein neues Buchprojekt denkt, statt an Stillprobleme. Wenn ich kein schlechtes Gewissen habe, weil ich vergessen habe mit meinem Sohn für die Mathearbeit zu lernen, weil es nämlich seine Arbeit ist. Wenn ich überlege, worauf ich mal wieder Hunger hätte, statt daran, was man gut matschen kann. „Hi!“, denke ich dann, so als würde ich mich seit langer, langer Zeit endlich mal wieder sehen…
Es fühlt sich an, als ob in meinem Kopf ein großer Umzug stattfindet. Da werden Kisten mit Baby- und Kinderkram raus und Kartons mit Ideen, Projekten und Wünschen reingetragen. Da werden Wände herausgerissen, andere neu gestrichen. Alles ist hektisch und wild und ich weiß bei vielem noch gar nicht, wie ich es einrichten werde. Aber es fühlt sich gut an. Nur manchmal, an müden, dunklen, überarbeiteten Abenden denke ich: „Verdammt, bin ich alt geworden.“
Eigentlich fühlt es sich mehr nach Midlife Chance als nach Crisis an.
Man sagt, alle sieben Jahre ändere sich das Leben. Lass es zehn sein, aber das trifft es irgendwie. Es ist noch gar nicht lange her, da war ich fest davon überzeugt, diese Kleinkind-Phase dauere für immer. Ich war vom Fuß bis in die kaputten Haarspitzen Mama. Wie wichtig damals die Entscheidung für eine Krabbeldecke war. Wie vertraut die Treffen mit Freundinnen und ihren Kindern. Wie spannend die niedliche Kinderleggings.
Heute liegt die Decke in einem Karton auf dem Dachboden und mit Pech kuscheln die Motten in ihr. Die Zeit, seit hier ein Baby darin gekuschelt hat, fühlt sich im Nachhinein an wie ein Wimpernschlag. Ich verbringe längst keine Abende mehr damit, um nach den niedlichsten Leggings zu googeln. Inzwischen sagen mir meine Jungs, was sie anziehen wollen.
Ich treffe nachmittags keine Mamas mehr. Ehrlich gesagt spiele ich nachmittags derzeit oft mit mir selbst verstecken. Zwischen Wäsche, Job, Hobby- und Hausaufgabenbetreuung finde ich mich noch nicht. Ich schwanke zwischen dem Wunsch, dass ich endlich mehr Zeit für mich habe.
Ich hätte nie gedacht, dass ein leeres Haus solche Glücksgefühle auslösen kann.
Und Sorge. Wie wird es sein, wenn hier nachmittags keiner mehr was von mir will – auch keine Zeit mehr mit mir verbringen? Letztens haben wir beim Mädelsabend kurz überlegt, ob wir Mamas von damals uns nicht mal wieder nachmittags treffen könnten. Ich war froh, als eine vorschlug, das dann aber ohne Kinder zu tun. Die Kids haben längst andere Freunde als ihre Krabbeldeckenkumpanen. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen.
Und auch ich dachte, dass ich viel mehr Lust habe, meine Mädels ohne Kaplatürme, Krawall und Kindercappucino zu sehen. Dafür gern mit einem leckeren Essen in einem hippen Restaurant. Nachmittags würde ich dagegen mich gern wieder öfter daten. Mit mir einen Kaffee trinken, dabei Zeitung lesen und in Ruhe ein paar neue Ideen brainstormen. Ich habe mir plötzlich so viel zu erzählen. Gehört wohl auch zum Umzugsprogramm im Kopf.
Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich so denke.
Frage mich, ob ich bereuen werde, wenn ich jetzt nicht das letzte bisschen Kleinkind im Haus inhaliere. Ja sage zur 57 Runde Tiermemory. Lächeln kann über verkippte Milch. Dann fällt mir auf, dass ich das doch tue, dass ich meinen Jüngsten sehr wohl sehr genieße. Ohne perfekte Leggings und ohne jedes Mal ein Video davon zu drehen. Mit weniger Paukenschlag und Konfetti. Mit dem kribbeligen Gedanken, wie wunderbar vierjähriges Gebrabbel ist. Aber mit dem zufriedenen Gefühl, dass es auch okay ist, wenn hier bald keiner mehr brabbelt.
Eins nervt. Denn während ich mich gerade wieder finde, verabschiedet sich mein Körper. Es hängt, wackelt und in der Jeans ist kaum Luft. Ich erschrecke mich regelmäßig vor mir selbst, wenn meine Kamera unerwartet auf Selfiemodus eingestellt ist. Meine Oberarme erinnern mich an die Oberarme, die wir damals in der Beauty-Redaktion „Hallo Helgas“ genannt haben. Weil eben wie bei den winkenden Kegeldamen alles wackelt.
Hallo ich, tschüss Ego!
Letztens habe ich mich gewundert, dass der coole Typ auf der Straße nicht zurückguckt. Das war doch früher immer so. Ich fand ihn gutaussehend: sportlich, dunkelhaarig, dreitagebärtig. Erst als ich mich in der nächsten Schaufensterscheibe sah, fiel mir auf, dass er Mitte 20 war, ich aber schon lange nicht mehr.
Ich frage mich: Altert das Gefühl für einen selbst nie? Werde ich mich noch mit 80 fühlen wie mit 35? Mal ehrlich, hätte ich mit 20 einem zwanzig Jahre jüngeren Mann nachgesehen, hätte der noch im Kinderwagen gelegen. Verrückt, dass es sich so weit entfernt jetzt nicht anfühlt. Gefühlt verlieren die Männer in meinem Alter gerade im Eiltempo Haare und nehmen am Bauch zu. Ups.
Dann war da dieses alte Video von mir. Ich habe es durch Zufall angeschaut, ich muss 16 oder 17 gewesen sein und ja, ich war schlanker und faltenfreier. Aber aus der kurzen Sequenz heraus fühlte ich plötzlich wieder all meine Unsicherheit. Ich staunte über meine seltsame Frisur, meine seltsamen Klamotten und dachte den beruhigenden Gedanken, dass damals auch nicht alles besser war.
Obwohl mein Körper schöner war, habe ich mich nicht schöner gefühlt.
Fakt ist: Mit Ende 20 sah ich frischer aus. Verrückt, dass ich mir damals nichts anderes gewünscht hab, als mein Leben jetzt. Also hole ich tief Luft, betrachte lächelnd die gepackten Kisten in meinem Kopf und finde es wahnsinnig aufregend, was da oben gerade passiert. Eins ist nämlich doch wie damals: Es gibt gute und schlechte Tage. Tage an denen ich in den Spiegel gucke und denke: „Oh Scheiße“. Und Tage an denen ich denke: „Joa, geht doch.”
Geht sogar sehr gut.
Und wie geht’s euch?
Ich mag die bildlichen Vergleiche, die du heranziehst für deine Beschreibungen. Und am Ende bin ich voll deiner Meinung: sehr gut!!!
Hallo Claudi,
dein Text ist einfach wieder wunderbar. Mir geht’s gerade ähnlich. Ich wünsche dir und deinen Männern schöne Osterfeiertage
LG Annett
Liebe Claudia,
ich bin zwar nochmal gut 10 Jahre älter, doch auch ich finde mich in Deinen Gedanken wieder. Auch dieser Text ist wieder sehr beeindruckend geschrieben. Ich liebe diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Problem Bewusstsein, sowie Dankbarkeit und Zuversicht mit einer Prise (Selbst-) Ironie. Danke dafür!!!
UndDu kannst Dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich schon jetzt auf Dein neues Kochbuch freue :-)))!
Liebe Grüße,
Annette
Liebe Annette, ganz lieben Dank und das freut mich so richtig.
Drücken wir die Daumen, dass das Papier rechtzeitig kommt.
Auf dem Papiermarkt ist leider die Hölle los.
Danke fürs Mitfiebern,
Claudi
Liebe Anett, ich danke dir. Und wir hatten tatsächlich wunderbare Ostern.
Ich hoffe, ihr auch?
Alles Liebe,
Claudi
Ich danke dir, und ja, ich liebe Metaphern ; )
Wie schön, dass meine Schreibe dir gefällt.
Alles Liebe,
Claudi
Liebe Claudi!
Danke für so einen tollen Text! Er spricht mir so aus der Seele! Fühl dich gedrückt ❤️
Lg Martina
Danke liebe Martina, schön dass du hier bist.
Claudi
Wie wundervoll geschrieben. I feel you, würden meine Kinder sagen. Ich bin 45, fühle komplett mit Sir!!!!! DANKE LG Nicole
Ich danke dir, liebe Nicole. Und ich freue mich, dass wir auf diese Reise zusammen gehen.
Liebe Grüße,
Claudi
Ach so ein schöner Text, Claudi!! Er gefällt mir wirklich sehr gut und ich kann es so gut nachfühlen.
Liebe Grüße
Juliane
Liebe Juliane, vielen Dank für dein Feedback.
Ich feier euch und unsere Community mal wieder bei diesen tollen Kommentaren.
Alles Liebe,
Claudi
Das Frage ich mich auch so oft: wenn ich innerlich gefühlt bei meinem 27 jährigen ich stehengeblieben bin, geht es dann auch meinen Eltern so? Meiner Oma? Voll spannend oder? Ich denk auch ständig wenn ich Studierende in der Stadt sehe dass ich fast gleich alt bin, halt nur mit Kindern, aber wenn ich rechne sind es über zehn Jahre. So fühlt es sich nicht an. Nur beim in den Spiegel schauen immer öfter. Aber so ist das wohl, ich habe auch null Lust mich dauernd äußerlich zu optimieren, dieses Rennen vksnn man nur verlieren, da stecke ich meine Energie vlieber in tausend andere schöne Dinge. Ich mag auch irgendwie inzwischen das Gefühl, dass mein inneres Bild von mir in der ersten Sekunde das mit 28 ist, aber nach zwei, drei weiteren Denksekunden dann eben doch nicht ganz. Ich bin sicherer, reflektierte, auch gütiger mit mir und anderen, weicher und dankbarer. Weil manches von dem, was damals noch in unsicherer Zukunft lag, jetzt Realität geworden ist. Nur eins, das wünsche ich mir oft zurück: diese naive Leichtigkeit der Jugend. Das wäre schön. Aber man kann nicht alles haben….
Wow, danke für deine Worte. Da steckt so viel Spannenendes drin.
Die Idee, den Kampf in Sachen Selbstoptimierung gar nicht erst zu führen, weil man eh nur verlieren kann, finde ich
super inspirierend.
Alles Liebe,
Claudi
Oh wie sehr mir dieser Text aus der Seele spricht! Danke dafür 🤍
Ich danke dir für das liebe Feedback!
Claudi
Super beschrieben, Claudi! Ich finde, das klingt ganz toll und deine Freude glitzert zwischen Zeilen wie Sonnenstrahlen an der Gardine vorbei 🙂
Diese Umbauprozesse im Denken, dieses innerliche Wände-Rausreißen und Streichen, das erlebe ich gerade auch! Es fällt mir im Moment sonderbar leicht, Dinge loszulassen, viele Bücher, fast alle meine Klamotten, Kindersachen, überflüssige Küchengegenstände. Und ich kann plötzlich Ja sagen, zu mehr beruflichen Verpflichtungen, zu jeden Morgen Yoga, zu “Mama, ich weiß noch nicht genau, wann ich von XY zurückkomme”, zu einem eigenen Büro-Raum (weil ich zum ersten Mal daran glaube, dass ich die Miete und hoffentlich bald noch mehr finanzieren kann).
Danke für den Text und liebe Grüße von “zwischen Umzugskisten”!
Ja, ja, ja möchte ich rufen. Genauso geht es mir auch.
Zum Ausmisten im Kopf passt wohl auch ein inneres.
Und ja, mir fällt es auch immer leichter, mit meinen Raum und meine Zeit zu nehmen.
Das ist etwas Wunderbares am Alter.
Liebe Grüße,
Claudi
Ich bin voll bei dir! Ich bin super gerne 40 (am Dienstag) und ich fühle mich auch deutlich wohler als mit umdie20. Und auch ich habe das Gefühl, dass das gefühlte Selbstbild bleibt. Dass man sich innerlich Altersgruppen zugehörig fühlt, die das ganz anders sehen würden. Andererseits arbeiten in meinem Büro fünf Frauen zwischen 20 und 50 und wir passen wie Arsch auf Eimer! Es zählt halt dann doch mehr Charakter als Alter. Ich sehe meinen Jüngsten (7) auch bang an und versuche seine junge Süßheit aufzusaugen, die sich gerade mit wackelnden Vorderzähnen in das nächste Stadium verwandelt. Und dann sehen ich meinen großen 11jährigen und weiß ja eigentlich schon, dass ich die jüngere Variante gar nicht vermissen werde, weil das, was dann kommt, immernoch gut ist!
Und das was dann bei mir kommt wird auch gut 🙂🙂
Das hast du aber auch wunderschön geschrieben.
Ich finde es macht so Laune, positiv an diese Veränderungen zu gehen.
Ist doch super spannend.
Und ja, irgendwie habe ich auch das Gefühl, das Alter wird immer unwichtiger.
Wie schön!
Alles Liebe,
Claudi
Wow, so ein toller Text!
Du bringst mit Humor haargenau meine Gedanken und Gefühle auf den Punkt! Und während ich mich schon länger frage, ob das nun gut oder blöd ist, klingt es jetzt ganz einfach … toll, na klar!
Vielen Dank dafür, liebe Claudi
Das freut mich!!!
Danke für dein Feedback und liebe Grüße,
Claudi
Liebe Claudi! Welch wunderbarer Artikel! Schön, dass es dich gibt und du all diese Gefühle so wunderschön in Worte fassen kannst! Das ist Balsam für meine Seele! Auch wenn ich dann die Kommentare dazu lese fühle ich: “du bist nicht allein! Vielen anderen geht es genau wie dir!” Und das tut mir manchmal so gut ! Danke für diesen wunderbaren Blog! Und ich drücke fest die Daumen mit fürs neue Kochbuch, denn ich freue mich auch soooo sehr drauf. Habe dein erstes und ich liebe es! Herzliche Grüße, Beate
Liebe Beate, vielen Dank. Mir gehts genauso. Diese Community macht so viel Freude und ist oft so beruhigend.
Liebe Grüße,
Claudi