Ich habe heute leider kein Foto für dich. Also, kein aktuelles. Keins von unserer ersten Weihnachtsbücherlesung gestern. Es ist fast alles schief gegangen, aber von Anfang. Ich habe es mir dieses Jahr ganz fest vorgenommen: Eine halbe Stunde jeden Abend bis Heiligabend, nur die Jungs und ich gemeinsam auf dem Sofa. Unsere Countdownkerze brennt sich feierlich runter, von der eins zur zwei, drei, zehn, dreiundzwanzig und in uns funkelt Weihnachtszauber. Stattdessen: Alles ausgepustet…
Nicht bloß immer wieder die Kerze durch den Dreijährigen. Es begann damit, dass einer meiner Söhne erst ziemlich spät von seinem Freund zurückkam. Bis dahin hatte ich die anderen drei schon mehrfach vertröstet. “Wann lesen wir denn jetzt?”, hatten sie immer wieder gefragt und ich über der halb ausgepackten Geschirrspülmaschine gebrummt: “Gleich!” Gleich ist nie gut. Gleich ist meist gleich doof. Die drei stritten, die drei kleckerten, die drei jammerten. “Gleich!”, sagte ich. “Ich muss auch noch kurz das Buch suchen.”
ZU MEINER PERFEKTEN LESESTUNDE GEHÖRT EIN BUCH, AUF DAS ICH SO RICHTIG LUST HABE.
Ähm ja, ich. “Hier ist doch das Buch!”, rief ein Sohn fröhlich. Ich schaute auf. “Das andere!”, sagte ich. Und fügte in Gedanken hinzu: “DAS, auf das ich mich richtig freue.” Die drei begannen in dem anderen zu blättern. In dem Buch, das ich besorgt hatte, weil ich mir sicher war, sie würden es mögen. “Jetzt wartet doch!”, meinte ich.
Als der fehlende Sohn endlich da war, war das Buch immer noch verschwunden. Ich suchte hektisch im Bücherkorb, im Bücherregal, in meinem chaotischen Arbeitszimmer. Ich fühlte Schweißperlen auf meiner Stirn. Ich guckte zur Uhr. Es war natürlich schon wieder irre spät. Zum Glück hatte ich Tiefkühlpizza besorgt. Ausnahmsweise natürlich, weil ich schon geahnt hatte, dass Lesung plus frisch gekochtes Winteressen nicht passte. “Lesen wir denn jetzt, sonst lese ich was?”, brummte Sohn eins und kickte ein paar Bausteine über den Dielenboden. Erst da sah ich, dass die anderen drei Söhne auf und vor dem Sofa einen Zoo aufgebaut hatten. Überall Schleichtiere und Baustein-Gehege und Durcheinander. Viele Tiere schienen inzwischen ausgebrochen zu sein, die meisten Bausteine lagen bunt durcheinander. Ich schnappte nach Luft: “Och ne, Mensch, wir wollten es uns doch gemütlich machen.”
“IST DOCH GEMÜTLICH!”, BRUMMT EIN SOHN.
Ein anderer balancierte einen Teller mit Keksen zum Sofa. “Ach nö, komm, für Kekse ist es doch schon zu spät”, meinte ich. “Wir essen doch immer im Dezember Kekse beim Lesen””, meinte mein Sohn. In dem Moment stolpert er über das Geparden-Gehege. Raubtierfütterung mit Krümeln. Ich überlegte immer noch, wo das verdammte Buch sein könnte. So ein Mist. “Was is jetzt?”, fragte ein Sohn. “Dann fangen wir jetzt eben an!”, sagte ich. Zwei Söhne lagen aufeinander und balgten. Einer knallte vom Sofa, ich motzte, einer weinte, einer rannte weg. Ich tröstete. Ich rief. Ich entschuldigte mich für alles.
Als ich endlich lese, interessierte das dicke Buch über die Kriminalbande den Kleinsten kein bisschen. Er kletterte auf meine Schultern, sang, steckte mir einen Finger in die Nase. “Oder wollen wir erst ein Buch für ihn lesen?”, näselte ich, während ich versuchte, seine Hand aus meiner Nase zu ziehen. “Nein!”, riefen zwei entrüstet. “Ich hab Durst!”, stöhnte der andere. Später lasen wir doch noch das Bilderbuch, da stöhnten die Großen. Standen auf. “Ach, bleibt doch!”, sagte ich. Bei dem zweiten Bilderbuch – “Weihnachten in Bullerbü” – setzte sich ein großer Sohn auf die Sofalehne. “Heiße ich wirklich nach dem Jungen aus dem Buch?”, fragte er. Und lächelte, als ich nickte.
MEIN BULLERBÜ MUSS NICHT SEIN BULLERBÜ SEIN.
Vielleicht müssen wir alle noch weihnachtszaubern üben. Vielleicht ist eine Lesehalbestunde auch nur mein Bild von einem schönen Advent. Vielleicht lese ich lieber mal mit jedem allein ein Kapitel? Bloß was machen dann die anderen? Vielleicht entspanne ich mich einfach? Ich meine mich zu erinnern, dass unsere Weihnachtslesungen mit zwei, oder sogar mit drei Kindern ganz schön waren. Oder ist da nicht auch immer der Keksteller umgekippt? Und hat einer den anderen nicht ständig an den Haaren gezogen? Vielleicht. Wahrscheinlich.
Kann meine Idee überhaupt funktionieren mit vier ganz unterschiedlichen Kindern von drei bis zehn Jahren? Oder nicht? Oder nur bei uns nicht? Vielleicht derzeit nicht? Und überhaupt: Kann man auf Knopfdruck weihnachtlich sein? War ich eigentlich weihnachtlich? Am Ende des Buches, mit ein paar Schweißtropfen mehr und ein paar Nerven weniger, kuschelt sich der Kleinste beim Vorlesen auf meinen Schoß. Sein Haar riecht nach Apfel, Zimt und Orange.
“Wir haben ja noch 23 Tage!”, denke ich. Und danach hoffentlich viele Jahre. Und so schlimm wars doch eigentlich gar nicht.
Dann: Gibt es jetzt eigentlich 23 Tage bei uns Tiefkühlpizza? Aber auch: Morgen ist eine neue Chance für Weihnachtszauber. Und: Vielleicht sollte ich meinen Kindern den Zauberstab übergeben.
PS. Das zweite Buch habe ich abends um elf gefunden.
PPS. Bild oben von 2018.
PPPS. Übrigens!
Alles Liebe,
Hi Claudia,
das kenn ich!
Beim Basteln passiert mir das immer, ich stell mir das immer so schön vor und habe alles geplant und vorbereitet und dann wollen meine Kinder nicht das Basteln was ich mir überlegt habe. So langsam habe ich mich aber dran gewöhnt. Jeder bastelt worauf er Lust hat….
Hallo Claudi!
Vielen Dank für deinen “Weihnachtszauber”!!!!
Gerade gestern habe ich wieder mit meinem Mann gerätselt ob es wirklich bei anderen Familien auch so zu geht wie bei uns……wir haben auch 4… auch so alt wie deine Kinder… und diese Geschichte könnte auch von uns sein :))
Ich lese so so gerne deinen Blog!!! Schöne Adventszeit!
Lg Susi
Danke für so viel tolle Ehrlichkeit ♥️
Was ein schöner beruhigender Text. Danke für die Einblicke in dein “ganz normales” Billerbeck. Sehr erfrischend in der auf Insta polierten, perfekt gestilten Welt. Deine Texte lassen mich nachsichtig mit mir und unserem Chaos werden und die trubelige Zeit genießen. Danke, dass du unsere Blicke auf das Wesentliche lenkst! Deine Beiträge lassen mich meist mit einem Tränchen der Rührung und tiefer Dankbarkeit für das, was wir haben zurück. Herzlichen Dank!
Hey Claudi, es ist doch bei allen gleich ;)) ich denke immer es ist völlig ausreichend wenn jeder für sich mitnimmt, dass die Adventszeit irgendwie besonders war. Und da sind ja schon Kleinigkeiten wie die Weihnachtsbücherkiste, mehr Lieder singen als sonst und dekorieren irgendwie besonders. Meine Kinder lieben dekorieren und diesen Eifer tagelang zu beobachten liebe ich, wenn ich dann allerdings bei kinderlosen Freunden die instagramtaugliche Deko sehe oder aber in anderen Familien die “Erwachsenen-Deko” ist es mir ehrlich gesagt öfter peinlich. Naja man kann nicht alles haben. 😉 LG
Hach, so schön normal!
Ich habe mich so sehr in deinem Weihnachtszauber wiedergefunden. Wie sehr doch Wunsch und Wirklichkeit auseinander liegen….
Bei uns das gleiche. Mein wunderschönes Wunschweihnachtsbuch wird verschmäht….das Weihnachtsgebäck soll ganz anders aussehen, wie ich mir das vorstelle. Der Weihnachtsbaum wird dieses Jahr nicht rot und weiß….farblich abgestimmt geschmückt….nein! Er soll dieses Jahr kunterbunt werden.
Langsam lerne ich, dass es diese perfekte Mamawelt, wie ich sie im Kopf habe, nicht gibt.
Danke für die Bestätigung 🙂
Liebe Grüße M.
Hach, wieder sooo so schön geschrieben und so herrlich ehrlich und herzerwärmend zugleich! Vielen lieben Dank für deine schönen Texte und Geschichten und dass immer etwas WASFÜRUNS dabei ist!
Was für ein Glück, dass ich WASFÜRMICH gefunden habe und nun mache ich mich auch auf die Suche nach dem Weihnachtszauber 🌲💫
Herzensgrüsse, Madlen
WUNDERBAR … zum Glück gibt es überall Tage mit genau solchem Adventszauber. Und ja, auch ich muss oft von meinen eigenen Vorstellungen abweichen, und freue mich dafür umso mehr über strahlende Kinderaugen, wenn ich es schaffe, das Chaos einfach mal auszublenden 😉
Oh ja. Ersetze Buchlesen durch Kekse backen – jedes Jahr klafft da eine riesen Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Aber schön wars dann irgendwie doch… Und ich habe das Gefühl es war dieses Jahr tatsächlich besser als noch im letzten Jahr.
Liebe Grüße Annika
Liebe Claudi vielen Dank für deinen ehrlichen Bericht. Bei uns herscht auch Chaos statt Weihnachtszauber. In Filmen und auf vielen Insta- Accounts sieht alles immer so schön und friedlich aus. Nur klappt das leider bei uns nicht. Die Wohnung ist unordentlich, die Kinder streiten und wenn ich die Weihnachtslieder anmache, um wenigstens ein bisschen in Stimmung zu kommen, wird auch nur gemeckert.
Somit tut es gut, zu lesen, dass es wohl bei vielen genau so unweihnachtlich weihnachtlich ist, wie bei uns.
Hallo Claudia,
Vielen Dank für deinen tollen und ehrlichen Artikel. Ich musste bei vielen Sätzen von dir beim Lesen innerlich zustimmen und habe uns in deinen Schilderungen sofort wiedergefunden.
Wie du in einem Artikel vor einigen Tagen festgestellt hast, man darf unperfekt sein, aber das müssen wir Mamis erst lernen zu zulassen.
Oft meinen wir, dass es perfekt sein muss. Aber ich glaube gerade das Unperfekteund manchmal Improvisierte schafft die schönsten Erinnerungen bei unseren Kindern.
Wir haben jetzt noch ein paar Tage zum Üben. Bei uns sieht es übrigens genauso aus beim Lesen. Wunschvorstellung wäre alle sitzen zusammen auf dem Sofa. Realität: der Große liegt auf der Sofalehne, der Mittlere spielt lieber am Boden vor dem Sofa und der Kleinste will am liebsten das Wohnzimmer erkunden. Aber das ist auch ok so!
Liebe Grüße
Hach, was habe ich gerade gelacht. Tränen! Danke! Ich habe zwei Kinder, aber bei uns ist auch so. 2 und 4 Jahre und (noch) unterschiedliche Leseinteressen. Und ich bin so wie du: “Mensch, wir wollten es uns doch gemütlich machen” und “Nun wartet doch mal” und “Eigentlich ist es schon wieder viel zu spät” und “Nein, nicht das Buch ich habe extra eines mit 24 Wichtelgeschichten besorgt” Liebe Grüße an dich! Schreib bitte immer immer weiter solche Texte. Es tut so gut!