Der Sandstein schimmert golden, als wir in die Stadt fahren. Die Sonne malt Lichtblasen vor alte Fassaden. Unsere Nasenspitzen kleben an Fensterscheibe. Dann biegen wir ab und entdecken eine eigene Welt: Im jüdischen Viertel Antwerpens wohnen 20.000 Gläubige, darunter viele Ultraorthodoxe. Die meisten Menschen hier tragen schwarz, dazu weiße Hemden, eine Haube oder großen Fellhelm. Viele Frauen Kopftuch. Und selbst bei vielen kleinen Jungs kringelt sich rechts und links neben der Wange die Schläfenlocke, die Pejot. Meine Kinder sind fasziniert, ich auch…

In welcher europäischen Stadt kann man ultraorthodoxes Judentum in solcher Intensität und Dichte entdecken? Mir fällt keine ein. Nicht ohne Grund betiteln Zeitungen diese Ecke Antwerpens gern als Jerusalem des Nordens. Obwohl es natürlich nicht DAS jüdische Leben gibt, genau wie es nicht DIE christliche Kultur gibt. Hier sieht man ganz viele Lebensentwürfe nebeneinander. Uns hat dieses Viertel in Antwerpen am meisten begeistert. Weil es auch ein spannender Gesprächsanlass für Familien über unterschiedliche Glauben, Gemeinsamkeiten ist – und immer wieder über diese Frisur.

“Warum tragen die Menschen diese Locke?”, lässt mein Kleinster nicht locker, als wir an einer Gruppe Kinder vorbeigehen, die in einem Hauseingang Murmeln spielen. Dunkle Haare, dunkle Kleidung, und die Jungs ein Pejot. Die Kinder lächeln, mein Kind auch. Ich muss es nachschlagen.

“Das Tragen von Schläfenlocken ist als Gebot in der Tora verankert. Konkret heißt es im 3. Buch Mose 19, 27: „Ihr sollt nicht abnehmen die Seitenecken eures Haupthaars“.

“Sieht toll aus!”, findet mein Sohn und ich sehe, dass es hinter seiner gekräuselten Stirn arbeitet. Wir finden noch viel mehr heraus: Elf jüdische Schulen gibt es im Viertel, unter anderem die zionistische Tachkemony School. Man ist offen und super freundlich, bleibt aber unter sich. Als wir mit jemandem ins Gespräch kommen, und mein Sohn wissen möchte, wie es wäre, wenn ein Jude eine Nichtjüdin heiraten wolle oder umgekehrt, runzelt der ältere Herr nachdenklich die Stirn: “Unmöglich. Wo bitte sollten sich die zwei denn kennenlernen?”


Abends suchen wir im Viertel ein Restaurant und landen durch Zufall im Hoffy’s, Lange Kievitstraat 52 und es ist nicht nur ein tolles Erlebnis und unglaublich lecker, sondern ein spannender Einblick in die jüdische Kultur. Das Restaurant, das gleichzeitig ein Catering anbietet ist voll, die meisten jüdischen Kunden kommen aber bloß rein, um sich ihr Essen rauszuholen.

Wir dürfen vorn an der Theke aus der köstlichen Auswahl jeder einen Teller füllen, werden dabei super nett beraten von einem der Besitzer, zwei Brüdern. Wir reden über so viel mehr als übers Essen. Das wird währenddessen in der Mikrowelle aufgewärmt und wir verspeisen es schließlich an einem der Tische im hinteren Bereich. Alles ist köstlich – und die Portionen sind Teenieheaven.

Falls ihr danach noch Hunger habt: Den besten koscheren Käsekuchen gibt es in der Bäckerei Kleinblatt Provinciestraat 206. Auch ein echtes Erlebnis.


Ich hatte keine Ahnung, aber Antwerpen ist mit 500.000 EinwohnerInnen die größte Stadt in Belgien.

Und  damit sogar vor Brüssel, der Hauptstadt, liegt. Im 15. und 16. Jahrhundert gehörte Antwerpen sogar zu den größten Städten der Welt – und war zeitweise die wichtigste Handelsmetropole der Welt. Das spürt man, wenn man durch die Straßen bummelt und die imposanten Fassaden bestaunt.

Der Hafen in Antwerpen ist heute nach Rotterdam der zweitgrößte in Europa (und einer der größten weltweit) und verleiht Antwerpen bis heute internationale Bedeutung. Was uns (selbst als Hamburger) erst überrascht hat: Wie viele große Seehäfen liegt auch der Antwerpener Hafen nicht am Meer, sondern an einer Flussmündung.

Antwerpen ist perfekt für einen Kurztrip, weil das historische Zentrum so schön kompakt ist und so abwechslungsreich. Viele kommen hier wegen der legendären Maler Rubens und Brueghel her, oder wegen der Edelsteine. Die Stadt an der Schelde gilt als das europäische Zentrum des Diamantenhandels.

Im Viertel hinter dem Bahnhof drängelt sich ein Diamanthändler gegen den nächsten, wie an einer Perlenkette. Überhaupt der Bahnhof: Es ist eher eine Eisenbahnkathedrale. Wirklich besonders, wirklich sehenswert und sicher ein heißer Anwärter als Kulisse für die neue Harry-Potter-Serienverfilmung. Vorbild des Architekten: Das Pantheon in Rom.

Ich sag es gleich mal vorab, in Antwerpen kann man auch richtig gut Klamotten shoppen. Aber erst ein bisschen Sightseeing.

Der Grote Markt: Ein wunderschöner Platz voller Zunft- und Handelshäuser mit wunderschönen Fassaden. Ratet doch mal gemeinsam: Denn welches Handwerk jeweils in den einzelnen Häusern beheimatet war, das verraten die Zunftzeichen. Interessant auch, dass das Stadthuis (erbaut ab 1561) Inspiration für viele andere Rathäuser war, u. a. in Den Haag, Danzig aber auch Köln. Sie kopierten den damals noch eher ungewöhnlichen italienischen Renaissancestil des Antwerpener Rathauses, das übrigens, anders als andere belgische Rathäuser, keinen Belfried hat. Warum? Das Rathaus sollte nicht mit dem Turm der nahen Liebfrauen-Kathedrale in Konkurrenz treten.

Die Kathedrale ist übrigens ein kleines, großes Muss und wirklich beeindruckend. Wie ihr eure Teenies hier reinbekommt? Lockt sie mit einem 3-in-1-Angebot, statt drei einzelne Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, geht ihr bloß in eine Kirche und hakt dort die größte Kathedrale Belgiens ab (Bau hat übrigens 169 Jahre gedauert), zwei der bedeutensten Barockkunstwerke von Peter Paul Rubens, sowie das beeindruckende Kuppelfresko.

Am allerschönsten war der Lichteinfall zwischen den hellen Säulen, die gefühlt bis in den Himmel reichen. Wenn ihr wieder rausgeht hört ihr vielleicht noch das Glockenspiel der 47 Glocken (!). Erwachsene zahlen übrigens satte 12 Euro, aber Kinder sind frei.


Beim Bummeln durch die Straßen fallen sofort die vielen hippen Menschen auf.

Und tatsächlich, Antwerpen ist eine richtige Modestadt! Aufregende Boutiquen findet man unter anderem im Quartier Latin, nahe dem Bourla-Theater. Junge belgische Designer haben sich u. a. im “Wilde Zee-Viertel”, hinter der Meir, angesiedelt. Schöne Shops findet man darüber hinaus in der Steenhouwersvest – und damit ist man eigentlich schon mitten drinnen im Modeviertel. Meine Jungs und ich waren hingerissen von den Klamotten des belgischen Labels Bellrose, Lombardenvest, 3/5. Und wer mehr über die Hintergründe der Mode wissen möchte – finden auch Kinder spannend, geht ins MoMu (Modemuseum) in der Nationalestraat 28.

Außerdem noch sehens- und erlebenswert:

Ein Geheimtipp, der nicht wirklich noch einer ist, aber irgendwie doch, weil so schwer zu finden: Zwischen Hoogstraat, den Oude Koornmarkt und die Pelgrimstraat liegt der mittelalterliche Vlaaikensgang von 1591, wo damals die Ärmsten der Stadt unter erbärmlichen Lebensumständen wohnten. Heute ist der Durchgang pittoresk, mit wunderschön sanierten Häusern und einem Hof voller Efeu.

Schokolade: In Köln und Hamburg gibt’s Schokoladenmuseen, in Antwerpen kann man das alles kostenlos haben. Ein besonders Erlebnis ist der Besuch bei The Chocolate Line besuchen. Der belgische Chocolatiers Dominique Persoone gilt als Rockstar der Schoki, seine Filiale liegt direkt an der Meir.

Hinter dem Verkaufsraum – einem prunkvollen Salon, dessen Wände von dem Antwerpener Maler Balthasar Beschey mit biblischen Szenen bemalt wurden – befindet sich die Versuchsküche der Chocolatiers.  Dort werden knallrote Kussmünder, Frösche und zur Freude der Kids Kackhaufen aus Schokolade  hergestellt. Sehenswert!

Museum: Das Rubenshaus war bei unserem Besuch leider wegen Renovierung geschlossen, ich fand es aber schon von außen sehr beeindruckend. Durch die winzigen Scheiben der Fenster gucken, mir vorstellen, dass die breite Straße davor früher ein Kanal war, das Haus also am Wasser lag. Spannend auch, dass Peter Paul Rubens schon zu Lebzeiten mit seiner Kunst wirtschaftlich sehr erfolgreich war. (Sein Stadtpalais beweist es). Sein Anwesen war nicht nur Wohnhaus, hier hatte er auch sein Atelier und bildete Nachwuchskünstler aus, zum Beispiel van Dyck… Auch spannend:

Rubens war so bekannt, dass er später nur noch Skizzen für seine Gemälde machte und die Ausführung anderen überließ. Der Meister fügte ein paar Striche hinzu: Fertig war ein „echter” Rubens!

Was Süßes: Ein Teeniehit (und was für mich) ist das Bubble Waffle Cafe, Wijngaardbrug 2. Ich glaube, so beeindruckende Waffelkompositionen haben wir noch nie gesehen. Meine vier Jungs, erst sprachlos, dann jubelnd. Nicht günstig, aber sehr besonders!

Pommes: Belgien ist bekannt für Bier, Schokolade und…? Richtig – Pommes frites! Die besten gibt’s bei Frituur’ und zum Glück ist ein Laden dieser Kette auch überall in der Nähe (eine Tüte zum Teilen alle zwei Stunden, sensationelles Teenie-Laune-Doping). In den legendären Imbissbuden werden die  berühmten Fries zweimal im Fett gebacken, dazu gibts eine Auswahl an unzähligen Soßen.

Maria, die Bedienung im Frituur N°1, Hoogstraat 1, Meir, mitten in der Mitte der Altstadt, ist schnell und redet schnell, “E klentje mè mayonaise en ne gebakken cervela” (etwa: “Einmal kleine Pommes mit Mayonaise und einer gebackenen Knoblauchwurst”) und hat sogar eine eigene Facebookseite. Pommes mit einer Soße kosten übrigens 5 Euro, mit drei Soßen ein bisschen mehr. (Lohnt sich!)

Tipp: Schmeißt im Zentrum unbedingt was in einen öffentlichen Mülleimer – die reden, lachen oder rülpsen! Nicht nur für Kinder und Teenies ein absolutes Highlight.

Mal sitzen: Wer außer die Mäuler von hungrigen Teenies auch kurz sitzen möchte, geht vielleicht ins De Drufkens. Die Bar liegt im Schatten der ehemaligen französischen Oper von Antwerpen und es sitzen außer uns tatsächlich nur Einheimische darin. Alles ist sehr unaufgeregt und lässig und herrlich nostalgisch: der Kaffee wird noch mit Filter serviert. Und – Teenietipp: Das ‘boterham smos spek’ (Sandwich mit Schinken und Salat) kostet bloß 3,50 Euro! . Grranmarkt 5, Meir.

Geschlafen haben wir sonnig und sehr lebendig.

Unser Airbnb: Klein, einfach, mitten in der Stadt, wirklich mittendrin (!) und dank riesiger Fenster rundherum super hell. Es gibt einen großen Raum mit kleiner Küchenzeile, ein winziges Bad und ein Schlafzimmer mit zwei Hochbetten.

Der Flur hoch ist schmal und nichts für Menschen mit Platzangst (das Bad auch nicht). Ich mochte es aber echt gern, hab ein paar Mal in der Fensterbank gesessen, der Straßenbahn hintergeguckt und Stadtleben inhaliert. Außerdem liegt es super und der Preis ist unschlagbar. Also, wenn ihr es auch mal einfach mögt, hier ist der Link.

Nicht wundern, man wird aufgefordert, die Kaution per Paypal Family und Friends zu überweisen, da dachte ich schon, das sein Betrug. Hat aber alles gut funktioniert!

Gleich um die Ecke liegt die Börse, Borzestraat 31, die ihr euch unbedingt angucken müsst. 1531 eingeweiht, gilt sie als “Mutter aller Börsen”. Jetzt frisch renoviert. Was für ein imposantes Gebäude.

Eine Sache würde ich nicht wieder machen: Zu Fuß zum Zaha Hadid Haus in den Hafen laufen. Den ganzen Tag hab ich es geschafft, die Kids mit meiner Mischung aus Sightsseeing, Schokolade, Shops und Pommes bei Laune zu halten, gegen Abend habe ich es dann leider doch versaut. Mist. Ich wollte unbedingt noch das spektakuläre Hadid Gebäude im Hafen sehen, dachte, dass in dieser Stadt alles nah sei, also liefen wir zu Fuß los.

Das erste Stück war noch ganz spannend (Hafen-City-Gefühle), dann würde es immer öder und betoniger und schließlich gab es nichts mehr außer Container und Gras, das sich zwischen aufgeplatzten Beton drängelte. Ich hasse aufgeben, deshalb sind wir weiter um schließlich, irgendwann, eeeendlich vor dem besagten Gebäude zu stehen, das ziemlich unscheinbar zwischen Hafenunromantik herumsteht. Großes Gemecker. Also das würde ich mir schenken. Guckt es auch lieber einmal kurz im Internet an … oder fahrt mit dem Auto vorbei.

Abends durften die Kinder Fernsehen und wir waren auf einen Drink in der Bar Dogma, Wijngaardstraat 5! Eine tolle Getränke-Auswahl und so schön mitten im Antwerper Abendgewusel.

Wenn wir noch mehr Zeit gehapt hätten, wäre ich gern noch in MAS gegangen, das MUSEUM AM STROM. So haben wir den modernen Bau und vor allem seine Spiegelung im Wasser bloß laufmüde von einer Bank bewundert.

PS. Eins noch, bitte nicht vergessen, euer Auto für die Umweltzone anzumelden, sonst kann’s teuer werden. Hier.

Hast du noch Tipps für Antwerpen?

Liebe Grüße,

Claudi