Ich weiß nicht, ob ich früher wirklich mutig war. Eher wagemutig. Bis hin zu ziemlich leichtsinnig: Ich bin gern an Abgründen längs spaziert, also buchstäblich. Bin nachts allein und mit Walkman auf den Ohren durch den Wald geradelt. Habe im Highscore zwei Päckchen Zigaretten am Tag geraucht. Aber Angst? Nicht die Spur! Ich fühlte mich unverwundbar, unsterblich. Und passiert ist – puh – auch nie etwas. Das Glück ist eben mit den Jungen. Aber seitdem ich die 40 passiert habe, werde ich mehr und mehr zum Schisser in mittleren Jahren…
Klar, eine Art Angstschub erleben wir sowieso alle, wenn wir das erste Mal Eltern werden. Plötzlich sieht man überall Gefahren, wo früher nur Gegenstände waren. Potenzielle Mord- und Folterinstrumente, die vor den Kindern einfach Nüsse und Steckdosen hießen. Aber auch damit hatte ich mich in den vergangenen Jahren eigentlich ganz gut arrangiert. Konnte die Sorgen immer in die hinteren Winkel meines Bewusstseins drängen. Und dass, obwohl wir diverse Unfälle und Schockmomente hatten (meine Kinder sind nämlich echte Bruchpiloten, habe ich hier schon einmal aufgeschrieben).
Aber plötzlich steht meine Angst nicht mehr am Rand, sondern gern im Rampenlicht.
Grell ausgeleuchtet von den diversen Möglichkeiten, die sich erst dann in ihrer vollen Größe offenbaren, wenn man die mittleren Jahre erreicht hat – und zeitgleich die Kinder Richtung Teen-Alter wachsen. Mittlerweile treibt mich nicht mehr unbedingt um, ob sie Putzmittel trinken oder sich an Lego-Teilen verschlucken. Heute habe ich Angst vor Mitschnackern und bald vor nächtlichen Autofahrten mit Alkohol im Spiel. Vor K.O.-Tropfen in Disco-Drinks, vor Cyber-Mobbing und Selbstverletzung. Dass sie nachts allein durch den Wald radeln oder plötzlich zwei Packen Zigaretten rauchen.
Und anders als früher kann ich diese diffusen Ängste immer schlechter verdrängen. Vielleicht, weil man mittlerweile weiß, wie fragil dieses Leben in Wahrheit ist. Dass schlimme Dinge wirklich passieren – und nicht immer nur den anderen. Dass niemand von uns unverwundbar oder gar unsterblich ist. Im Gegenteil.
Vielleicht begreifen wir erst in der Mitte unseres Lebens wirklich, dass niemand von uns hier lebend rauskommt.
Dass unser Leben ein Dasein am Abgrund ist – und jeden Moment kippen kann. Ich vermute, diese Gedanken kommen nicht von ungefähr, sondern mit den Einschlägen, die näher kommen. Die ersten Herzinfarkte und schweren Krankheiten im Freundeskreis. Unsere Eltern, die noch viel dichter an der Klippe der Endlichkeit stehen als wir. Der eigene Alterungsprozess, der ebenfalls eine Einbahnstraße ist. “Das Leben fühlt sich gerade wie ein dauerndes Belastungs-EKG an”, sagte kürzlich eine Freundin. Nichts beschreibt diesen Zustand gerade treffender.
Vielleicht haben uns auch die letzten Jahre so viel mehr als früher spüren lassen, dass der vermeintlich feste Boden in Wahrheit jederzeit von einem Beben erschüttert werden kann: Eine weltweite Pandemie, ein Krieg in Europa, Naturkatastrophen aller Orten – all das bringt Zuversicht zum Einsturz und schafft Platz für neue Ängste.
Leb ich dafür wenigsten jeden Tag so, als könnte es mein letzter sein? Bin ich täglich dankbar für mein Leben, das mich bis hierhin gebracht hat?
Leider nein, so schade es ist. Meistens halte ich die Angst im Schach, indem ich mich in Alltagsdingen verstricke. Mich mit Hausaufgaben-Nerv rumschlage, über die Küchenschlacht fluche, mich über unaufgeräumte Kinderzimmer ärgere. Lenke mich mit hübsch ausgeleuchteten Posts auf Social Media ab, kreise um gänzlich banale Dinge, die mich kurz glauben lassen, dass Perfektion und Selbstdarstellung weltbewegende Themen wären.
Dabei weiß ich eigentlich, dass man die Angst zwischendurch einfach aushalten muss. Dass sie zu unseren Gefühlen, zu unserem Leben dazugehört wie der Tod, den wir letztlich alle am meisten fürchten, obwohl wir nie darüber sprechen. Dass man die Angst anschauen soll wie ein interessantes Objekt, von allen Seiten. Ihr einen Moment Raum geben soll – um sich dann wieder anderen Dingen zuzuwenden. Am besten den schönen.
Den Dingen, die sich in unsere Erinnerung einbrennen.
Ein besonders inniger Moment mit unseren Kindern. Ein Augenblick der Zweisamkeit mit unseren Liebsten. Ein bewusst erlebtes Naturschauspiel. All das sind keine Wundermittel gegen Ängste. Aber sie füllen unsere Lebenszeit mit Dingen, die wir am Ende nie bereuen werden. Auch wenn uns immer klarer wird, wie wenig Fäden wir letztlich in den Händen haben, dass das Schicksal öfters als uns lieb ist ein mieser Verräter ist – wir können immerhin alles versuchen, das Beste aus unserer Zeit herauszuholen.
Vielleicht muss man auch einfach mal wieder ein wenig wagemutiger sein.
Was macht euch Angst?
Alles Liebe,
Hallo, ich habe mir vor 2 Jahren am 05.10.2021 geschworen, dass ich von Angst nicht mein Leben bestimmen lassen werde! An diesem Morgen habe ich das letzte mal meine Mutti besucht, sie lag tot in ihrem Bett. Einfach so gestorben, am späten Abend beim schauen einer Sendung, die sie mochte! Der Notarzt hatte in sie gekämpft, es dieses Mal nicht geschafft. Es war ein Herzinfarkt. 6 Jahre vorher hatte sie schon einen, da hatte der Notarzt Erfolg. Doch leider hatte sie da das Vertrauen in das Leben verloren, aus Angst, dass sie doch sterben könne so vieles nicht mehr gemacht (nicht mehr in der Ostsee gebadet, nicht mehr Fahrrad gefahren, nicht mehr alleine mit dem ICE uns besucht, was sie vorher alles gerne gemacht hat, keinen Alkohol getrunken (was sie auch vorher nur in Maßen gemacht hat), Corona tat sein Übriges). Alle Vorsicht hat ihr nicht genutzt, hat uns nicht genutzt, dass sie länger bei uns geblieben wäre. Daher mein Entschluss, etwas nur aus Angst, dass etwas passieren könnte, nicht zu tun oder den Kindern zu verbieten, nicht zählen zu lassen. Es ist natürlich schwer, dann gerade auch um die Kinder, die nun eben auch mal alleine in den Park dürfen zum Training oder mit Freunden, die ich jetzt vom 3 m Brett springen lasse, keine Angst zu haben. Oder eben den Abend mit Freundinnen bis in die Nacht zu genießen obwohl ich weiß, dass mein Mann mich nicht abholen kann und ich die letzt paar hundert Meter alleine nach Hause laufen muss, da fällt manchmal noch schwer… aber ich übe und es wird besser! Mein Zwölfjähriger ist letztens auch alleine vom Hauptbahnhof unserer großen Stadt die 3 Stationen mit der S- Bahn alleine nach Hause gefahren, auch das geht! Es wird besser, die Angst aus zu sperren…. Und doch ist sie mer wieder klein da, die Angst, das in der Nacht das Telefon klingelt und eine schlechte Nachricht uns erreicht. Wie ich das alles aushalte, wenn die Kinder dann auch mal am Abend alleine unterwegs sein wollen, da muss ich noch viel üben. Aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass es besser ist, die Angst nicht überhand werden zu lassen, sie von ihr nicht am Leben hindern zu lassen. Denn wie Du so schön schreibst: Wir kommen hier alle Nichtlebensmittelbereichs raus! Ich hoffe wir haben bis zu diesem Tag das Leben voll genossenen und viele schöne Spuren in ihm hinterlassen… denn diese bleiben auch nach uns.
Hej liebe Kathrin, das tut mir von Herzen leid! Ich habe ja auch bereits meine Mutter verloren, schon vor Jahren und auch nicht plötzlich und unerwartet, aber der Tod eines Elternteils ist immer schwer und unfassbar traurig. Aber wie stark, was du aus diesem Verlust ziehst: Die Energie, dich nicht unterkriegen zu lassen, die Ängste und Sorgen beiseite zu schieben, um dem Leben gebührend Platz einzuräumen. Chapeau!! Und allerherzlichsten Dank, dass du deine sehr persönliche Geschichte hier mit uns teilst. Alles Liebe, Katia
Wir kommen hier alle nicht lebend raus. Wollte ich schreiben. Die Autokorrektur war dann wohl zu eifrig am Werk.
Die Autokorrektur und ich werden in diesem Leben auch keine Freunde mehr… 😉
Katia, was für ein Artikel! Auslöser meiner Angst war bei mir wohl oder übel die Corona-Pandemie. Seitdem trifft sie mich in Situationen der vermeintlichen Hilflosigkeit – im Flugzeug (ganz schlimm!), unangenehme Situationen im Büro, bei wegweisenden Planungen, wenn man nicht weiter weiß – alles Situationen, die ich früher mühelos und sehr gerne ausgehalten habe, die mich nun allerdings um den Schlaf bringen. Aber ich stelle mich dieser Angst und meiner Fragilität, auch mit dem Bewusstsein, dass es wahrscheinlich nie mehr so unbeschwert wie früher sein wird. Schön zu lesen, dass man nicht alleine damit ist!
Hej liebe Sina, was auch immer der Auslöser ist: Diese Fragilität oder vielmehr unser geschärftes Bewusstsein dafür, wird vermutlich nie mehr zurückgedreht werden. Insofern lohnt es sich für uns alle, Mittel und Wege daraus zu finden – trotzdem. Leben ist ein Trotzdem – trotz aller Fallstricke, Gefahren, Unsicherheiten ist es eben auch verdammt toll. Ich halte die Angst zwischendurch nach Möglichkeit aus – und stürze mich dann wieder kopfüber zurück ins Sein. Alles Liebe, danke für dein tolles Feedback, Katia
Angst ist so ein Thema….Angst davor, dass den Kinder etwas passiert, Krankheit, Unfall, “böse Männer”oder einfach, dass sie nicht glücklich sind, Angst dass mir etwas passiert und dann wiederum die Kinder unglücklich groß werden, auch einfache Dinge wie Angst vor dem Zahnarzt, vor dem Einparken in enge Parklücken, Angst vor Menschenmengen, vor Spinnen, …wenn ich das so lese, klingt das jetzt schon etwas gestört.
Ich glaube auch, dass man, wenn man mehr weiß, mehr erlebt hat, eher ängstlicher wird. Ich wollte als Kind immer reiten, im Urlaub saß das Kind glücklich auf einem Pferd und ich hätte auch dürfen – habe aber gekniffen.
Vielleicht ist das aber auch so ein Mama-Ding, Verantwortung ist ja auch nicht immer einfach und man macht sich viele Gedanken um die Liebsten, vielleicht sogar mehr, als um sich selbst.
Angst soll uns ja beschützen, aber ich verstehe sie (oder eher mich?) trotzdem nicht immer.
Danke für Deinen Text, es tut gut, zu lesen, dass es anderen auch so geht.
Viele Grüße aus Bayern
Hej, ja, Angst ist so eine Sache. Ich merke mittlerweile, dass sich meine Angst verlagert – auch um mich mache ich mir mittlerweile größere Sorgen als früher, wo ich mich ziemlich unsterblich fühlte… 😉 Ich glaube, man muss sich damit arrangieren: Klar können uns oder unseren liebsten schlimme Dinge zustoßen – aber muss ja auch nicht. Ich habe mir im Zuge meiner Gedanken dazu jedenfalls wieder vorgenommen, noch mehr zu leben, zu lachen, zu genießen. Das ist vermutlich das beste, was wir tun können. Alles Liebe, Katia