Also doch wieder Föhr statt Frankreich im Sommer. Au revoir, Pinienhaine, moin moin Strandhafer, wir kennen uns ja. Dabei hatte ich mich so sehr auf diesen Trip gefreut! Hatte schon im tristgrauen Januar diesen wunderschönen Naturcampingplatz an der französischen Atlantikküste entdeckt und direkt gebucht. Konnte es nicht erwarten, endlich meiner Familie zu zeigen, wo ich die besten Ferien meiner Kindheit verbracht habe. Tja, und dann ging erst die Waschmaschine und drei Tage später das Auto kaputt – und damit auch mein Traum von Laisser-faire in la France …

Ich weiß, so was kann immer passieren, es gibt Wichtigeres als Urlaub und überhaupt sind das natürlich angesichts der allgemeinen Weltlage Luxusprobleme. Und doch: Ich war traurig. Mehr noch: Ich war so richtig fies enttäuscht. Wir machen solche Reisen sonst nicht, für mich war dieser Urlaub eine große Sache, die Belohnung für die vergangenen zwei in vielfacher Hinsicht herausfordernden Jahre. Immer, wenn mir der Winter oder die Kinderschar auf die Laune schlug, dachte ich an endlose Strände, an Moules Frites und französische Märkte – und hatte sofort einen kleinen Vorfreude-Glimmer. Und der Alltag war wieder halb so wild.

Vielleicht ist es genau das, was an Enttäuschungen so schmerzt: Dass die ganze Vorfreude, das persönliche Kopfkino, auch auf einen Schlag wegfallen.

Ich werde nicht nur um meinen Urlaub gebracht, sondern auch um die gesamte Glücksspanne zuvor – um all die Hoffnungen, Erwartungen, Ideen und Pläne, die sich darum ranken. Plötzlich fehlt ein Gedankenort, an dem alles schön, harmonisch, besonders ist. Alles platzt mit einem lauten Peng. Was bleibt, sind hängende Mundwinkel und schlechte Laune. Ich war wütend auf die Welt und das Leben, das mir Steine in den Weg legt, wo ich über weißen Muschelsand hüpfen wollte.

“Enttäuschungen sind eine gute Gelegenheit, sich selbst besser kennenzulernen”, sagt der Philosoph Michael Bordt in “Psychologie heute” dazu. Warum? “Bei jeder Enttäuschung stoßen wir auf den Kern der Realität. (…) Wir erfahren dadurch etwas Wesentliches über uns. (…) Eine Ent-Täuschung ist auch eine Befreiung von einer Täuschung, einer Illusion, in der wir gefangen waren.”

Da ist was dran: Denn es gab es auch schon vor der alles-geht-auf-einmal-kaputt-Woche diese leise Stimme in meinem Kopf, die immer wieder flüsterte: “Vielleicht wird es auch nicht der Urlaub unseres Lebens. Vielleicht drehen die Kinder durch, weil sie die zweitägige Fahrt grässlich finden. Vielleicht wird das Wetter mies und unsere Laune auch. Vielleicht zoffen sich die drei genauso häufig wie zuhause – und wir Eltern uns dann auch, weil wir etwas anderes, viel Besseres erhofft haben. Und dafür haben wir dann das Sparkonto geplündert…

Ist es nicht sogar schlimmer, wenn bestimmte Erwartungen enttäuscht werden – als die Enttäuschung um ein fehlendes Ereignis selbst?

Ich werde nun nie erfahren, wie der Urlaub wirklich geworden wäre. Es wird immer ein Gedankengespinst in azurblau und piniengrün bleiben, ein Tag schöner als der andere. Und vielleicht ist das nicht nur furchtbar schade, sondern in mancherlei Hinsicht sogar ganz gut. Hätten wir den Urlaub angetreten, müsste ich meine Vorab-Fantasien laufend mit der Realität abgleichen.

Müsste vielleicht damit leben, dass ich die Einzige in meiner Familie bin, die sich für Frankreich begeistert. Damit, dass mein Ältester große Hitze mit sehr schlechter Laune quittiert. Dass mein Mann nur mir zuliebe campen geht – obwohl er sehr viel lieber in bequemen Betten schläft. Vielleicht wäre es ein Desaster geworden. Vielleicht auch nicht.

So oder so: Leerstellen schaffen Platz für Neues, wenn man sich nicht wie ein wütender Terrier in das verbeißt, was nicht mehr sein kann.

Nachdem ich ein paar Tage sehr maulig und mit düsteren Gewitterwolken überm Scheitel durch den Alltag geschlurft war, hatte ich irgendwann keine Lust mehr auf Selbstmitleid und Enttäuschungskater. Klar, es bleibt doof, aber besser wird nichts, wenn ich mich die ganze Zeit ärgere – und obendrein meine Familie anpaule.

Besser wird’s erst, wenn ich loslasse. Wenn ich mich mit neuen Möglichkeiten beschäftige. Oder mit vermeintlich bekannten. Weil: In den Sommerferien fahren wir dann eben wieder ganz familiär nach Föhr – wie meist in den letzten zehn Jahren (warum ich der Nordseeschönen so verbunden bin, lest Ihr übrigens hier oder hier). Was objektiv betrachtet ziemlich toll ist und subjektiv eigentlich auch, wenn man nicht gerade mit Enttäuschung über verpasste und vermeintlich bessere Chancen beschäftigt ist.

Immerhin muss ich mir kein großes Kopfkino vorab machen: Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Und so habe ich auch das leidige Thema mit den enttäuschten Erwartungen vom Tisch.

Ich schmeiß mein Gedankenkarussell lieber an, um mir eine ganz neue Idee auszuschmücken: Einen Solo-Trip mit meinem Mann im Herbst an die Côte d’Azur. Nur wir zwei, in einem bezaubernden Studio in Nizza, Marseille oder Cassis. Ich sehe uns durch kopfsteingepflasterte Gässchen bummeln, Pastis trinken und Moules Frites essen – das alles im milden mediterranen Licht Südfrankreichs. Da ist er wieder, der Gedankenort. Ich hoffe, diesmal hält er.

Wie geht Ihr mit Enttäuschungen um: Maulen oder (weiter-)machen?

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Alles Liebe,

Katia