Ich hatte Angst. Vor mit selbst. Klingt theatralisch, aber so wars. Angst, dass mein Kopf im Urlaub mal wieder andere Pläne als Urlaub hat. Nicht aufhört sich gedankenzudrehen. So wie im Sommer. Unsere lange Sommerreise war schön – aber mein Kopf nicht abschaltbar. Ich wollte und musste noch so viel schreiben, so viel organisieren fürs Kochbuch und andere Projekte. Es ist schön, wenn man eine Arbeit so liebt, dass man den Großteil des Tages an nichts anderes denken kann. Aber es ist auch anstrengend. Ein bisschen wie damals, wenn man so heftig verliebt war, dass man sich ab und zu gewünscht hat kurz den Pauseknopf drücken zu können, um einfach mal kurz den Kopf frei zu haben für Alltagserledigungen…
raus aus dem Gedankenkarrussel, Burn out,
Im Sommerurlaub wurde es erst besser, als ich mir selbst mein Nichtabschaltenkönnen verziehen habe. Mir eingestanden habe, dass dieser Urlaub eben aussehen würde, nämlich mit ein paar Stunden Arbeit am Tag, wurde es besser. Dieses Mal wollte ich nun aber wirklich runter kommen. Die Zeit mit meinen Kindern ganz bewusst genießen, weil sie gefühlt gerade noch rasend schneller groß werden als sowieso. Einmal wirklich durchatmen können, bevor sich alles weiter dreht. Mein Problem: Ich liebe meine von mir gewählte selbstständige Arbeit so sehr, dass es mir super schwer fällt, nicht an sie zu denken. Verrückt, oder? Da nützt es gar nichts, dass Freunde oft sagen: “Dann mach doch einfach mal weniger.”

Dabei mag ich gar nicht weniger machen. Ich mag es bloß mal aus dem Kopf bekommen, wenn ich etwas anderes mache. Das fällt mir so schwer. Ich bräuchte ein Arbeitszimmer im Kopf – am besten ein Stück weit weg von allem anderen. Draußen vielleicht. Damit ich mal die Tür schließen kann. Oder aber einen An- und Ausschaltknopf für meine Gedanken. Aber was könnte der sein?

Acht Tage vor unserer Abreise nach Portugal entdecke ich im Zeitschriftenladen ein Sonderheft der Flow. “Achtsamkeit für jeden Tag” heißt es. Untertitel: “Für mehr Ruhe und Zeit in deinem Alltag”. Es wirkt auf mich wie ein Zeichen: Acht Tage noch bis Achtsamkeit. Sechs Kapitel durchlesen und ein bisschen üben. Und dann endlich mal wieder abschalten können. Einfacher als ein Kursus. Natürlich kaufe ich es.

Ist es wirklich so einfach? Ist Achtsamkeit wirklich der Abschaltkopf für den Gehirn-Computer? Ich habe es bislang ehrlich gesagt nicht so ganz ernst genommen. Achtsam abwaschen oder ähnliches erschien mir einfach so weit weg. Dennoch kam mir das Heft jetzt vor wie ein guter Freund, einer der mit mir Gib-mir-fünf einschlägt und sagt: “Das schaffen wir schon.”

Ich lege gleich abends los. Lese hochmotiviert im Bett das erste Kapitel. Gleich im Intro fühle ich mich endlich verstanden: “..es geht vor allem darum, auf die eigenen Gedanken und Gefühle zu achten, ohne ihnen gleich kopflos nachzugehen… Wir fallen an vollgepackten Tagen aus dem gelassenen Modus heraus, fangen an hektisch zu werden… Die Kunst ist, immer wieder zur Achtsamkeit zurückzukehren…”

Noch besser wird es im ersten Kapitel. Mein absoluter Lieblingssatz: “Unsere Gedanken müssen nicht der Wahrheit entsprechen.” Genauer erklärt es Achtsamkeitstrainer Rob Brandsma: “Gedanken verkleiden sich oft als optimaler Problemlöser. Deswegen kauen wir verzweifelt auf ihnen herum, in der Hoffnung, uns käme eine befreiende Einsicht, die unsere Anspannung wegzaubert. Doch nicht alles kann man lösen, in dem man endlos darüber grübelt.” Die überraschend einfache Weg daraus: “Sich selbst daran erinnern, dass es nur Gedanken und Gefühle sind – Stimmen aus der Vergangenheit, Empfindungen oder willkürliche Assoziationen. Aber keine Fakten.”

Ich liege da und bin erleichtert. Es scheint nicht nur mir so zu gehen. Mein Problem ist nämlich oft, wenn ich gestresst bin, vor allem von von mir selbst gewählter Arbeit, dann sagen Freunde oft: “Aber dann lass es doch.” Oder: “Mach doch einfach weniger.” Ich sage dann, dass ich das nicht kann. Und gar nicht will. Ich mag ja bloß mal eine Tür schließen im Kopf. Meine Gedanken und Grübeleien mit Abstand zu betrachten, sie als das zu sehen, was sie sind, nämlich bloß Gedanken, nicht greifbar wie Wolken, das klingt machbar.

Ich lege die Zeitschrift weg, liege seit Wochen einfach so da, spüre das weiche Laken unter mir, lasse das Licht noch eine Weile an und fühle mich seit langer Zeit mal wieder nicht gedankenverloren. Sondern eher wie eine konsequente Hundebesitzerin, die es schafft ihre fiependen, hechelnden, an der Leine ziehenden Gedanken in Zaum zu halten. Ich sehe eine Kindersocke am Ende des Bettes,  eine einzelne, und mir ist kurz danach, die zweite unter dem Bett zu suchen. Aber dann denke ich diesen Gedanken tatsächlich einfach weg. “Morgen ist es auch noch eine einzelne Socke.” Und ich bin ziemlich stolz auf mich.

Die nächsten zwei Abende weniger. Da bin ich zu müde zum Lesen. Und für Achtsamkeit überhaupt. Typische Vor-Urlaubshektik. Experiment bereits gescheitert?

Nein.

Ich bleibe dran. Und übe. Mal funktioniert es besser, mal schlechter. Auf jeden Fall habe ich gelernt, dass Achtsamkeit mehr ist als achtsam abzuwaschen.

Es gibt noch mehr Tipps aus dem Heft, die mir wirklich helfen. Und eine paar selbst überlegte:

die App Headspace, die auch in der kostenlosen Version kurze, geführte Dreiminutenmeditationen anbietet. Tut mir wirklich gut.
– der Gedanke, dass manches Zeit braucht. Dieses Bild: Es nützt nichts, eine Raupe eher aus dem Kokon zu holen. Sie wird dadurch auch nicht schneller zum Schmetterling.
– Mein Atem. Ich erinnere mich, wie mir mein Atem durch meine dritte Geburt geholfen hat. Einatmen, ausatmen. Wenn ich mich auf meinen Atem konzentriere, kann ich mich auf nichts anderes konzentrieren. Das hilft. Ich saß gestern am Strand eine Weile bewusst atmend da, heute morgen im Café. Ich übe weiter.
– Auf dem Campingplatz (oder wo auch immer) eben nicht das W-lan Paket buchen. Ich arbeite jetzt jeden Tag eine Weile im Campingplatz Restaurant mit Wifi. Danach eben nicht mehr.
Die Einsicht, dass es verschiedene Arten von Erfolg gibt. Und dass man daher nicht neidisch sein muss auf den Erfolg der anderen.
– Die Einsicht, dass Arbeit und auch Familie sind, wie sie sind: “Manchmal gesellig, manchmal chaotisch und manchmal ist man auch sauer aufeinander. Die Arbeit und die Kinder sind nicht immer wie gewünscht, man selbst natürlich auch nicht. Es hilft zu akzeptieren, dass es immer anders kommt als gedacht. Dann regelt sich vieles von allein.”

An meinen Lieblingssatz denke ich wirklich oft: Meine Gedanken müssen nicht der Wahrheit entsprechen. Nicht bloß in Sachen Job, wenn ich zum hundertsten Mal darüber nachdenke, ob auch wirklich keine Zutat fehlt im Kochbuch. Und auch mit den Kindern. Wenn der Zweijährige sich plötzlich bloß von Papa ins Bett bringen lassen will und mein Kopf losgrübelt, ob es richtig war ihn abzustillen und ob es das jetzt war, mit unserer innigen Beziehung und überhaupt, ob er mich jetzt vielleicht nicht mehr mag. Stopp, denke ich dann. Es sind bloß meine Gedanken – es ist nicht die Wahrheit.

Mir hilfts. Euch vielleicht auch?

Alles Liebe (aus einem meistens wirklich entspannten Urlaub – hurra!),

Claudi