Wenn ich mit Freunden oder anderen Eltern im Kindergarten über die Weihnachtsferien spreche, haben die meisten große Pläne: Wildpark und Skihalle, Schlittschuhlaufen und Porzellan malen. Auch ich notiere mir viele Dinge, die sich toll anhören: Skateworkshop, ein Museum, in dem wir noch nie waren, mal wieder in den Zirkus. Das ist alles schön und für die Kinder sicher unvergesslich… Oder doch nicht? Sollten wir ihnen nicht vor allen Dingen etwas schenken, an das sie sich ihr Leben lang erinnern werden? Etwas das kostenlos ist, oft anstrengend und nicht besonders angesagt: LANGEWEILE…
tipps gegen Langeweile, Kinder und Langeweile
Wenn ich an meine Kindheit denke, dann denke ich oft an Langeweile. Stundenlang saß ich mit meiner Mutter im kleinen Büro des kleinen Ladens, den mein Vater in einem kleinen Dorf hatte. Es kamen nicht oft Kunden und wenn, bediente meine Mutter sie. Ich saß dort am Schreibtisch und langweilte mich, ich saß auf dem Steinboden vor der Tür und langweilte mich, im Winter lag ich auf der riesigen Nachtspeicherheizung und langweilte mich. Ich erinnere mich bis heute wie die Langeweile roch, hölzern und ein wenig staubig. Manchmal bekritzelte ich kleine quadratische Papiere mit Kugelschreiber, mal drehte ich mich auf dem mausgrauen Bürostuhl. Unzählige Male maulte ich in Richtung meiner Mutter: “Es ist so langweilig.”

Aber: irgendwann fädelte ich aus Kabelresten Ketten, baute Kugelschreiber auseinander und neu wieder zusammen (beinahe so schön wie Anziehpuppen). Ich band, schrieb und illustrierte selbst Bücher aus den kleinen quadratischen Zetteln oder baute eine Autowerkstatt draußen vor der Tür – Lüsterklemmen waren die Autos. Ich bin meinen Eltern dankbar für die vielen Stunden von Langeweile, weil sie ganz sicher etwas mit mir gemacht haben. Und ich bin dankbar, dass sie mich mit Langeweile ausgehalten haben. Was sicher nicht einfach war.

Heute ist Langeweile nicht besonders angesagt. Obwohl doch schon irgendwie, auf all den bunten, bedürfnisorientierten Blogs, die lieber Holzspielzeug zeigen als Blinkeplastik. Allerdings kommt es mir manchmal vor, als sei das Wort Langeweile dort bloß Deko-Objekt, es hängt – vielleicht hübsch gestickt – im Keilrahmen an der Wand. Dort hängt es zwar – aber es ist viel angesagter sich mit seinen Kindern in Dauerschleife zu beschäftigen, mit ihnen zu basteln, in den Wald zu gehen (Waldrallye! Schnitzmuster! Baumbingo), mit ihnen zu backen, mit ihnen Kaplabauwettkämpfe zu veranstalten, ihnen vorzulesen. Die Zeit mit ihnen bestmöglichst auszunutzen und zu genießen. Alles, weil sie doch so schnell groß werden. Weil doch #unseralltagihrekindheit ist.

Ich nehme mich da nicht aus. Auch ich habe immerzu tausend Ideen im Kopf, die ich gern mit meinen Kindern machen würde, die ich mit ihnen erleben, ihnen zeigen und mit ihnen ausprobieren möchte. Ich poste hier Back- und Bastelideen, Spiele und Ausflugstipps. Trotzdem möchte ich keineswegs das Gefühl geben, man müsste alles und ständig und immerzu mit seinen Kindern machen.

Nein, ich plädiere für ein ganz besonders Präsent. Ich als Mama (und als Lehrerin) möchte euch ans Herze legen, euren Kindern immer wieder auch Langeweile zu schenken. Es ist nicht einfach, das auszuhalten. Die Psychologin Dr. Helen Street fand in Studien heraus, dass es um die zwanzig Minuten dauert, bis ein Kind etwas findet, mit dem es sich selbst beschäftigt. Wenn man es denn zulässt.

Was mir auch als Lehrerin in den Schulen auffällt: die meisten Kinder heute sind absolut überentertained. Die können nicht aushalten, kurz abzuwarten – und nichts zu tun. Die sind oft völlig überfordert damit, selbstständig eine Aufgabe zu bearbeiten (ohne das ein Erwachsener ihnen sagt, was sie tun sollen). Vielen fällt es unglaublich schwer so etwas stupides – und langweiliges – zu üben wie Rechtschreibung. Sich einfach hinsetzen, Wort für Wort abschreiben, so wie man das nun mal am besten übt, ist für viele unglaublich anstrengend, es wird gemault und gemeckert, sich teilweise verweigert, nach anderen Methoden wie Lernspielen gefragt. Die haben ganz sicher auch ihren Wert – aber ergänzend.

Der Kindergarten in unserem Dorf ist sehr klein. Es wird ab und zu mal ein Kuchen gebacken oder die Feuerwehr besucht. Ansonsten wird gespielt, im großen Garten mit einer Schaukel, Rutsche und Sandkasten – oder drinnen, in der Puppenecke, mit Bausteinen oder Autos. Es gibt kein Englisch für Zweijährige, kein Waldworkshops – und ich freue mich darüber. Die Kita in der kleinen Stadt bei uns in der Nähe bietet Chinesisch an – und hat sogar eine Sauna. Ich frage mich, mit was soll man Kindern noch kommen, mit was soll man sie begeistern und überraschen, wenn sie mit drei regelmäßig in die Sauna gehen?

Langeweile fühlen Kinder zunächst als Frust. “Nicht mit etwas beschäftig zu sein, nicht irgendwo integriert zu sein, fühlt sich für sie nicht gut an. Wenn sie maulen: “Mir ist langweilig!” sagen sie uns eigentlich: “Beschäftige dich mit mir!” Langeweile zuzulassen hat daher in Zeiten bedürfnisorientierter Erziehung kein gutes Image. Langeweile wird gleichgesetzt mit Frustration. Die Relikte gelangweilter Kinder (und Teenager) können zerstörerisch sein: sich selbst oder anderen und auch Gegenständen gegenüber.

Man muss allerdings unterscheiden zwischen Frust- und Kummer-Langeweile, oder einer konstruktiven Langeweile, die die meisten Kinder verspüren – und aus der Wunderbares entstehen kann. Bereits 1993 schrieb der Psychoanalytiker Adam Phillips: “Es ist bedrückend zu sehen, dass Erwachsene pausenlos das Interesse ihrer Kinder wecken und stillen wollen, anstatt sie einfach mal selbst herausfinden zu lasssen, was sie interessiert.” Und: “Für Kinder ist Langeweile nicht gleichzusetzen mit Einsamkeit, sondern mit Neugier und Wissensdurst. Ein Bedürfnis zu entdecken und zu erfinden und die leeren Momente mit Leben zu füllen. Der Motor für jedes Spiel.

Für uns Eltern heißt das, dass wir einen Schritt zurücktreten dürfen, aushalten müssen aber auch mal unser Ding machen dürfen – hurra, anstatt jedes Langeweile-Problem unserer Kinder zu lösen, sei es mit einem gemeinsamen Spiel, Fernseh- oder Computerzeit. “Langeweile schult uns mit Problemen umgehen zu lernen, Frust aushalten zu können, kreativ zu denken, kurz: das Leben meistern zu können – und das ist so wichtig für unser Wohlbefinden”, so Phillips.

Ich möchte euch nicht die geplanten Spieleabende vermiesen, die gemeinsamen Backsausen, Ausflüge oder Bastelabende. Ich möchte euch nur beruhigen, dass ihr euch in den Ferien auch Momente für euch gönnen dürft. Mit dem Wissen, dass ihr eurem Kind gerade damit auf Dauer ein großes Geschenk macht.

Ich kann mich an viele Museumsbesuche und Zirkusveranstaltungen meiner Kindheit nicht mehr erinnern. Aber daran, wie absolut schnell die Zeit plötzlich doch vergehen konnte, in dem kleinen Büro hinter dem kleinen Laden, wenn ich irgendwann eine Höhle für Kugelschreibermenschen aus alten Aktenordner gebaut habe.

Heute würde ich ihn zu gern ab und zu mal wieder schnuppern, den Duft von Langeweile.

Alles Liebe,

Claudi