Am Wochenende hatte einer meiner Söhne ein Fußballspiel. Ich stand am Rand, seit längerer Zeit mal wieder. Ich sag es jetzt einfach mal: ich fror, ich langweilte mich. Kurz: Ich wünschte mich überall hin, bloß weg. Ich liebe meinen Sohn. Aber ich liebe leider kein Fußball. Später kauften wir ein, eine schöne Wintersuppe wollte ich machen zum Aufwärmen. Die Kinder waren für Puffer. Nach den Buh-Rufen am Fußballfeldrand hatte ich keine Lust auf Buh-Rufe am Tisch. Und willigte ein. Am Sonntag schlug ich vor, raus in den Wald zu gehen um frische Luft zu schnappen, aber keiner hatte Lust… Da platzte ich.
Auch mal an mich denken, Attachment Mothering
“Ich bin doch auch noch da”, schimpfte ich. “Zähle ich hier etwa nicht?” Drei Jungs, ein Mann und ein Baby schauten mich erschrocken an. “Klar zählst du, Mama! Du musst uns doch einfach sagen, was du willst.” Ich zog die Stirn kraus. “Mach ich doch!” Zwei meiner Söhne schüttelten energisch den Kopf. “Aber doch nicht richtig.” Da fing ich an nachzudenken. Über so viel.

Ich dachte darüber nach, dass sich diese ganze Attachment Parenting-Geschichte, die heutzutage beinahe überall die Erziehung bestimmt, sich für mich manchmal anfühlt wie ein Fessel um Arme und Beine. Gefühlt kann ich mich erziehungstechnisch nicht mehr wirklich frei bewegen. Handele manchmal nicht so wie ich es intuitiv machen würde. Ich denke bei allem was ich tue an die Beziehung zu meinem Kind und erinnere mich permanent selbst daran, dass Bindung das Allerwichtigste ist. Auch für mich ist sie wichtig, keine Frage. Es gibt nichts was ich mir außer Gesundheit mehr wünsche, als eine gute Beziehung zu meinem Kind. Doch manchmal frage ich mich, ob ich mich dabei nicht öfter mal selbst vergesse.

Vieles Aspekte von Attachment Parenting habe ich schon bei meinem ersten Kind gemacht, gerade im ersten Jahr, obwohl ich das Wort noch nicht kannte: ich trug ihn den ganzen Tag herum, einfach weil sich das für mich gut und natürlich anfühlte. Ich tröstete ihn sofort, wenn er weinte. Ich ließ ihn bei mir im Bett schlafen, weil das für uns beide schön war. Und praktisch. Ich stillte ihn über ein Jahr. Ich machte es aus meinem Gefühl heraus, nicht nach einer Erziehungmethode. Heute mache ich es genauso. Allerdings liegt jetzt mein viertes Baby neben mir. Ich trage ihn, sich stille ihn, er schläft neben mir – aber er muss leider auch mal warten (und kurz weinen), weil die anderen nicht immer warten können (müssen sie sowieso schon so oft). Manchmal frage ich mich, ob aus ihm überhaupt etwas werden kann, ob ich sein Urvertrauen zerstöre, unsere Bindung kaputt mache. Dann kneif ich mich selbst und denke: “Bleib auf dem Teppich.” Mein Sohn liegt schließlich nicht allein draußen in der sibirischen Tundra, sondern auf einer Decke neben dem Waschbecken, an dem ich seinem Bruder gerade die Zähne putze. Immer öfter schaffe ich es sogar ohne schlechtes Gewissen, mir noch einen Tee zu kochen, auch wenn das Baby schon motzt, damit die Stillpause auch für mich gemütlich ist. Nenn ich das jetzt mal Attachment Mothering?

Vergangenen Woche war hier einen Tag lang der Wurm drin: Nur Streit, nur Gebrüll, nur Gemecker. Ich war mit den Nerven am Ende und freute mich seit Mittag auf eine Stunde nur mit mir, meiner Lieblingsserie (und schlafendem Baby im Bett). Dann war Abend und einer war bockig und wollte nicht schlafen. Ich tröstete, streichelte, saß an seinem Bett – aber er wollte in mein Bett. Er stampfte, er boxte. Ich dachte an so viel, an seine kleine Seele, an unsere Bindung. Aber ich wollte nicht. Ich wollte diesen kleinen Kerl in diesem Moment nicht in meinem Bett haben, so sehr ich ihn auch liebte. Mein ganzer Körper sträubte sich. Meine Arme konnten ihn nicht heben. Ich brauchte nach diesem verrückten Tag eine Stunde für mich. Ich erklärte ihm das – so gut es bei all der Brüllerei ging und versprach, immer wieder mal nach ihm zu sehen. Er motzte noch eine ganze Weile weiter und natürlich genoss ich meine Folge nicht und hatte feuchte Augen und Kopfweh vom Nachdenken und Gebrüll und dem Tag. Ich schaute ab und zu nach ihm – und setzte mich später noch einmal an sein Bett. Er war beinahe eingeschlafen und schniefte nur noch ab und zu. Ich streichelte sein kleines Gesicht. Entschuldigte mich. Und fragte mich, ob unsere Bindung jetzt zwangsweise für immer einen Knacks hat.

So ist das wohl, wenn man Kinder hat. Ein ewiges Abwegen zwischen den Bedürfnissen der Kinder und den eigenen. Die Bedürfnisse der Kinder sind wichtig. Meine auch. Bei all den #unserAlltagistihreKindheit Gedanken, finde ich es wichtig, dass wir Mütter uns nicht vergessen. Je größer die Kinder sind, desto mehr können wir ihnen das auch klar machen. Je größer die Kinder sind, desto schwerer fällt mir auch bindungsorientierte Erziehung. Denn die bedeutet für mich nicht, dass mein Kind alles bestimmt und dass ich mich komplett dabei vergesse. (Sonst würde ich hier den lieben langen Tag mit Kapla spielen, das Haus würde gänzlich vermüllen und wir Nutella aus dem Glas löffeln). Ich möchte, dass sie am Tisch sitzen bleiben, ich möchte, dass sie sich entschuldigen, ich möchte, dass sie ab einem gewissen Alter in ihrem Bett einschlafen – Ausnahmen immer ausgenommen. Es bedeutet für mich nicht, dass ich eins werde mit meinem Kind. Himmel, nein. Als Lehrerin rufen bei mir öfter Mütter an und fragen: “Wann schreiben wir nochmal die Deutscharbeit?”

Überhaupt: In der Schule fällt mir auf, dass immer mehr Kinder im Unterricht Aufgaben ablehnen und sich weigern, sie zu erledigen, weil sie ihnen keinen Spaß brächten. Bei allen positiven Aspekten unserer bindungs-, spaß- und glücksorientierten Lebensweise müssen wir meiner Meinung nach aufpassen, dass wir Kindern beibringen, dass nicht immer alles Spaß machen kann. Dass es nicht immer nur nach ihrem Willen geht. Dass einige Dinge einfach gemacht werden müssen. Ohne Diskussion. Mir ist das wichtig. Ich hinterfrage meinen Umgang mit meinen Kindern regelmäßig, insbesondere auch den mit meinem Schulkind. Man rutscht so leicht hinein, in diese Denke, weil die Kinder und ihr Wohl so sehr im Mittelpunkt stehen. Weil wir alle doch nur ihr Bestes wollen. Was gut ist. Bloß sollten wir uns und unseren guten Menschenverstand dabei nicht vergessen. Und auch unserem Kind die Chance lassen, selbst handeln zu können und eigene Erfahrungen zu machen. Auch die, dass Mama nicht immer meiner Meinung ist.

Noch mehr entspannte Gedanken zum Lesen, die mir während solcher Ich-Phasen und Erziehungszweifel gut tun, finden sich zum Beispiel hier. Mein Lieblingszitat: “AP, also Bindungsorientierte Erziehung, ist keine Frage von ganz oder gar nicht. Es ist auch okay, ein bisschen AP (bindungsorientiert) zu sein… Es geht um die Bedürfnisse aller Familienmitglieder.” Ich rate auch jeder Neu-Mama dringend, einen Artikel wie diesen zu lesen, sonst wird man ja verrückt, vor lauter AP-Erziehungsfesseln, die überall in Elternkursen und Soziale Medien angelegt werden. Meine Idee von Attachment Mothering bedeutet für mich auch, sich in Sachen Erziehung mal wieder öfter auf seinen gesunden Menschenverstand zu verlassen.

Am Sonntag ist übrigens wieder ein Fußballspiel. Dieses Mal werde ich in der Zeit in den Wald gehen – mein Sohn findet das völlig okay. (Und freut sich, dass ich ihm und seinem Team die Daumen drücke. Und dann eben nächstes Mal wieder dabei bin).

Denkt ihr regelmäßig auch mal an euch? Und wirbeln euch eure Erziehungsideale dabei auch öfter mal um den Kopf? Oder fallt ihr jetzt über mich her?
Alles Liebe,

Claudi