Vor vielen Jahren, mein Sohn war noch ganz klein, gingen mein Mann und ich shoppen. Ín einem Laden, ich weiß es noch ganz genau, hatten sie eine große Holzeisenbahn. Wir konnten in Ruhe shoppen, er konnte in Ruhe bauen – es war herrlich. Als wir gehen wollten, rechnete ich mit einem Drama – zu toll fand er die Bahn…
anständig sein, Wahrheit sagen
Doch nix da. Mein Sohn packte den Holzwaggon, den er gerade in der Hand hielt, ohne Murren in die große Kiste mit den übrigen Teilen, winkte der Bahn noch einmal zu und ging ohne einen Pieps zu sagen mit uns hinaus. Die Verkäuferinnen nickten anerkennend und ich weiß noch, wie mein Mann und ich uns anlächelten, stolz, so einen verständnisvollen (ha!) Sohn zu haben.

Kurze Zeit später wollten wir ein Eis kaufen. Als ich unten im Buggy unter einer Jacke nach meinem Portmonnai suchte, fühlte es sich dort erstaunlich hart und holzig an. Ich schob die Jacke zur Seite – und fand eine Holzlok, diverse Waggons und Schienen. Jetzt war klar, warum sich unser Sohn so prima von der Bahn trennen konnte. Er hatte einen Großteil von ihr einfach eingepackt. Wir waren entsetzt. Und mussten schmunzeln. Wie einfach war doch bloß die Welt für einen Eineinhalbjährigen. Dann war uns das ganze peinlich. Wir brauchten ein dickes Spaghetti-Eis, bevor wir in den Laden gingen und die Holzeisenbahn zurückgaben. Mit ordentlich Geschrei aus dem Buggy, versteht sich.

Letzte Woche erzählte einer meiner Söhne, dass ein Junge aus seiner Gruppe, ab und zu Wachsmaler aus dem Kreativraum mitnehme, nämlich die, die in seinem eigenen Wachsmalkasten seit einiger Zeit fehlten. Ich war entsetzt und sagte ihm, dass das nicht ginge und dass er sich vorstellen solle, wie es wäre, wenn das alle Kinder täten. Er nickte, war scheinbar genau meiner Meinung und ich merkte ihm an, wie zerrisen er war. Er habe dem Freund bereits bescheid gesagt, aber der würde es nicht so richtig einsehen, die Stifte fehlten ihm schließlich zu Hause. Er hätte auch schon damit gedroht, nicht mehr sein Freund zu sein, wenn er etwas sage. Mein Sohn kaute nachdenklich auf seiner Lippe: Er wolle auf keinen Fall einen Freund verpetzen, aber das mit Stiften, sei doch nicht in Ordnung.

Ich musste viel nachdenken über die Geschichte seither. Ich wollte mich nicht einmischen, auf keinen Fall. Was sollte ich auch tun? Aber ich wollte meinen Sohn mit dem Konflikt auch nicht allein lassen. Ich wollte ihm helfen, aber ich wollte ihn nicht zum Petzen anstiften. Genauso wenig möchte ich ihm signalisieren, dass es in Ordnung ist, etwas einfach hinzunehmen, das nicht in Ordnung ist. Ich möchte, dass aus ihm ein anständiger Kerl wird, aber in dieser konkreten Situation war ich unsicher, was ich ihm raten soll.

André und ich sprachen abends über die Sache und auch er wusste nicht wirklich, was am besten zu tun sei. Er schlug vor, dass unser Sohn vielleicht mit der Mutter des Jungen reden könnte. Aber ich fragte gleich, ob das nicht zu viel verlangt sei, von einem Kind.

Was würdet ihr tun?

PS. Um alle Beteiligten zu schützen, war das mit den Stiften alles ein bisschen anders. Aber nur ein bisschen.

Alles Liebe,

Claudi