Zur Zeit verbringe ich jede Woche eine Stunde am Beckenrand: Mein Sohn lernt schwimmen. Er übt (die Haiflosse). Ich übe (Geduld). Ganz ohne Handyempfang. Also mit ungewöhnlich viel Zeit zum Nachdenken. Ob ich will oder nicht bekomme ich in dieser Stunde viel mit vom Elternsein der anderen Eltern, die ebenfalls am Beckenrand sitzen. Letzte Woche gab es einen Vorfall, über den ich seither viel nachdenken muss. Ich frage mich: In wie weit muss ich mein Kind vor Konflikten beschützen? Wie bringt man Kindern bei, Konflikte vernünftig zu lösen? Und: wie reagiere ich bei Konflikten anderer?
Schwimmkurs, Kinder und Konflikte, Eltern sein
Letzte Woche, die Kinder schwammen gerade ihre Bahnen, einige mit Schwimmweste, einige ohne. Ich beobachtete meinen Sohn, aber immer wieder zwischendurch auch ein Mädchen, das erste Mal ohne Schwimmweste. Sie zögerte, sprang ins Wasser, in den Arm einer der Schwimmlehrerinnen. Sie schwamm los, hektisch, den Kopf weit hochgestreckt, wie Kinder eben schwimmen ganz am Anfang. Plötzlich, ich meine gesehen zu haben, dass das Mädchen kurz mit dem Kopf unter Wasser geriet, fing sie an zu prusten und jaulte auf. Die Schwimmlehrerin nahm sie auf den Arm, tröstete sie. Die Kleine fing an lauter zu schreien.

Die Schimmlehrerin versuchte, sie trösten. Ich konnte nicht hören, was sie sagte, aber ich sah, wie sie mit ihr sprach, sie auf dem Arm hielt und ihr übers Haar strich. Das Weinen des Mädchen wurde ein wenig leiser – bis – so kam es mir vor – sie ihre Eltern neben mir am Beckenrand entdeckte. Sie fing aufs neue an zu weinen, diesmal lauter als zuvor und die Schwimmlehrerin begleitete sie bis ins flachere Wasser.  Die Kleine lief zu ihren Eltern.  “Was? Was denn mein Schatz?”, fragte der Vater aufgeregt und die Mutter lief ihrer Tochter entgegen. Die Schwimmlehrerin kam ein paar Schwimmzüge auf die Eltern zu. Die Kleine schrie jetzt ohrenbetäubend.

Der Vater fragte wieder, was passiert sei und die Kleine hickste und jaulte und heulte, aber zwischen den Hicksern konnte man etwas hören, das klang wie: “Sie hat mir an den Haaren gezogen.” Der Vater rief in Richtung Schwimmlehrerin: “Wie können Sie ihr am Haar ziehen…?” Die Schwimmlehrerin kam noch ein Stück näher, zog die Stirn in Falten, schüttelte den Kopf und sagte etwas wie: “Sowas passiert. Schwimmenlernen ist nicht leicht.” Und dann noch: “Wenn Sie wollen, dass ihr Kind schwimmen lernt, gehen sie am besten hinaus. Bleiben Sie nicht hier.” Der Vater stand auf, begann zu brülllen: “Ich lasse mir von ihnen doch nicht verbieten, hier zu sitzen. Was für eine Frechheit.” Die Schwimmlehrerin guckte, als ob ihr die Worte fehlten. Das kleine Mädchen schrie lauter als zuvor.

Ich überlegte kurz, ob ich etwas sagen sollte. Etwas wie: “Moment, ich glaube die Kleine hat einfach etwas Wasser geschluckt.” Aber irgendwie fühlte es sich seltsam an, sich einzumischen, Gerade weil ich nicht hundertprozentig sicher war, ob es tatsächlich so war, wie ich dachte. Der Streit neben mir eskalierte: “Entschuldigen Sie sich doch wenigstens. Entschuldigen Sie sich gefälligst bei meiner Tochter”, brüllte der Vater und begann die Schwimmlehrerin lautstark zu beleidigen. “Ich wollte doch nur….”, begann sie mehrmals. “Aber ich….” Sie zuckte mit den Schultern und schwamm ein paar Züge vom Beckenrand weg. “Sollen wir reden?”, fragte sie noch, aber der Vater brüllte: “Machen Sie jetzt weiter! Das ist unfair für die anderen Kinder. Ich werde mich nach der Stunde über sie beschweren.”

Das kleine Mädchen stand noch immer weinend neben dem Beckenrand. “So, du machst jetzt weiter”, sagte der Vater zwischendurch in ihre Richtung Tochter. Die Kleine schrie, dass sie nie, nie wieder dahin wollte. Sondern nach Hause. “Geh doch zu einer der anderen Schwimmlehrerinnen, du musst ja nicht zu der,” sagte der Vater. Die Kleine blieb . Die Eltern tobten weiter: “Ich lass mir doch von so einer nicht sagen, dass ich hier nicht zu sein habe”, rief der Vater. “Nicht mal entschuldigt hat sie sich!”, jammerte die Mutter. Das Mädchen weinte. Eine andere Mutter kam, bekam die Geschichte mit vom Haareziehen erzählt und diskutierte  mit. “So eine Frechheit!”, hörte ich immer wieder.

Nach der Schwimmstunde, das Mädchen hatte die gesamte übrige Zeit schluchzend bei ihren Eltern am Rand gestanden, zog die Mutter ihrer Tochter einen Bademantel über, zog sie in Richtung Umkleide und sagte zu ihrem Mann: “Ich gehe mit der Kleinen schon mal vor, sie soll nicht mitkriegen wenn du dich beschwerst.” Der Vater schimpfte vor sich hin.

Bevor ich mit meinem Sohn rausging, überlegte ich noch einmal, ob ich nicht hingehen sollte. Sagen sollte, dass ich glaube, dass die Kleine lediglich ein wenig Wasser geschluckt und sich erschrocken hatte, dass die Schwimmlehrerin sie sofort auf den Arm genommen und getröstet, also meiner Meinung nach alles richtig gemacht hatte. Okay, dass sie vielleicht einfach “Entschuldigung” hätte sagen können. Aber dass ich das Gefühl habe, dass Ganze hier viel zu heiß gekocht wird.

Ich habe nichts gesagt. Ich habe nachgedacht, während mein Sohn sich anzog. Darüber, dass ich nächstes Mal vielleicht auch lieber gehe, um es meinem Kind und den Schwimmlehrern leichter zu machen, eine Beziehung aufzubauen. Darüber, dass es wohl dazu gehört, dass Kinder sich erschrecken, Schwierigkeiten haben, nicht alles sofort hinbekommen und dass man das als Eltern wohl einfach aushalten muss. Darüber, wie man mit Konflikten umgeht. Dass es doch viel besser gewesen wäre, wenn der Vater sich erst einmal in Ruhe die Version der Schwimmlehrerin angehört hätte. Und selbst wenn er ihr Verhalten als falsch empfunden hätte, wäre es nicht besser gewesen, seine Tochter an die Hand zu nehmen und mit ihr zusammen nach der Stunde zum Schwimmteam zu gehen, um die Sache zu klären? Und um gegebenfalls einfach um eine Entschuldigung zu bitten? So hätte die Tochter neben der Schwimm- auch noch eine Stunde in Konfliktlösung gehabt. Und ich? Hätte ich etwas sagen müssen? Hättet ihr etwas gesagt?

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Liebe Grüße,

Claudi